Abgeordnetenhaus-Wahl in Berlin: Eher blass als grün

Die Grünen und die CDU sehen nach der jüngsten Umfrage ein Duell zwischen sich, reden die SPD klein und betrachten die Wahl als Richtungsentscheidung.

Bettina Jarrasch steht vor einem grünen Hintergrund

Will grüne Bürgermeisterin werden: Bettina Jarasch im vergangenen Oktober Foto: dpaSpitzenkandidatin Bett

Berlin taz | Stoppt das den Negativtrend? Mehrere vorwiegend blassgrün gefärbte Plakate stehen vor einem Café im Gleisdreieckpark auf Ständern, davor Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch und die Landesvorsitzenden ihrer Partei, Nina Stahr und Werner Graf. Die Grünen sind in der kurz zuvor veröffentlichten neuesten Umfrage wie auf Bundesebene abgestürzt, von neun Prozentpunkten Vorsprung vor der CDU Ende April ist ein einziges Pünktchen geblieben. Nun also der Start der Plakatkam­pagne. 2,5 Millionen Euro investieren sie diesmal in ihren Wahlkampf, weit mehr als 2016 mit 1,6 Millionen. Stoppt das also den Trend? Die Grünen-Antwort darauf steht bereits in einem roten Kasten auf jedem der Plakate: „Klar geht das.“

Auf 27 Prozent waren die Berliner Grünen in den Umfragen angestiegen, CDU und SPD lagen scheinbar abgeschlagen bei 18 und 17. Selbst nach über zweieinhalb Jahren als beliebteste Partei in Berlin war das eine weitere Steigerung. Nun aber der Absturz parallel zum Sinkflug der Grünen-Werte auf Bundesebene, wo es diverse Diskussionen um Spitzenkandidatin Annalena Baerbock gab.

Diese Kopplung macht ein Problem noch klarer: Genauso wie die Berliner Grünen vom bundesweiten Höhenflug ihrer Partei profitiert haben, schlägt sich auch ein bundesweiter Negativtrend nieder. Es fehlt der Faktor, der Wähler – bislang nur Befragte – stärker differenzieren ließe zwischen der Baer­bock- und der Berliner Ebene.

Das müsste eigentlich Jarasch als Spitzenkandidatin sein. Die ist auch in der Partei beliebt und tourt durch die Stadt, soweit Corona das zulässt – aber ihre Bekanntheit ist beschränkt. In der von RBB und Morgenpost bei Infratest dimap in Auftrag gegebenen Umfrage kannten nur 29 Prozent ihren Namen, 85 Prozent hingegen den von SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey. Jarasch sei „für viele in Berlin nach wie vor eine Unbekannte“, kommentiert der RBB dazu.

Grüne Symbolkraft

Damit konfrontiert sagt Jarasch im Gleisdreieckpark, dass am Ende immer noch die Wähler entscheiden würden, nicht die Umfragen – wobei es aber eben genau Wähler sind, die da befragt wurden. Parteichefin Stahr sieht auch gar keinen Grund, mehr Eigenständigkeit zu betonen, statt für den 26. September für fünf Grünen-Stimmen zu werben: Dort steht neben der Abgeordnetenhaus- und der Bundestagswahl mit jeweils erst- und Zweitstimme auch noch die Wahl der Bezirksparlamente an: „Ich mache mir um die Bundesebene gerade gar keine Sorgen.“

Spitzenkandidat Die CDU hat bei ihrem ersten Präsenz-Parteitag seit 2019 offiziell ihren Spitzenkandidaten nominiert. Für Kai Wegner, der auch als Landesvorsitzender wieder gewählt wurde, stimmten 90,4 Prozent von 281 Delegierten.

Wahlprogramm Die Christdemokraten beschlossen auch ihr Wahlprogramm. Ihr Generalsekretär Stefan Evers sprach den Grünen dabei Öko-Kompetenz ab. Die Grünen seien „inzwischen eine sozialistische Plattform mit Bio-Siegel.“

In den Gleisdreieckpark sind die Grünen zur Plakatvorstellung gegangen, weil der für sie Symbolkraft hat: Ein grüner Ort, der ursprünglich mal eine Autobahn werden sollte, was aber an Bürgerprotesten scheiterte – das zeige, was grüne Stadtplanung bewirken kann.

Was dabei auffällt: Die Grünen argumentieren genau so, wie es tags darauf auch beim CDU-Landesparteitag zu hören sein wird, der Kai Wegner nun auch offiziell zum Spitzenkandidaten macht: Sie spitzen die Entscheidung am 26. September zu einer Richtungsentscheidung zu, zwischen sich und der Union. Das wird am Samstag bei der CDU deren Generalsekretär Stefan Evers zu einem überraschender Satz bringen: „Bettina Jarasch hat recht.“ Auch für die CDU ist es ein „die oder wir“. Bloß mit der grünen Interpretation geht Evers nicht einher, die da lautet: Grüne Veränderung gegen ein „Weiter so“ mit der CDU.

SPD kleingeredet

In noch einer Sache sind sich beide Parteien einig: Sie lassen dabei die SPD außen vor, reden sie runter, sehen sie angeblich nicht mehr als Konkurrent um den Wahlsieg. „Sie sehen die Werte, die SPD stagniert bei 17 Prozent“, sagt Stahr. Inhaltlich verortet sie das sozialdemokratische Programm weit weg von den Grünen: „Die SPD versucht, die bessere CDU zu sein.“

Die Union wiederum versucht Unterschiede zwischen SPD-Wahlprogramm, in dem viel von Sicherheit und Bauen die Rede ist, und dem Handeln der SPD in der rot-rot-grünen Koalition herauszustreichen: Die SPD tue so, als sei sie in der Opposition gewesen.

Die Frage dabei ist: Ist dieses von Stahr konstatierte Stagnieren der SPD nicht eigentlich ein Erfolg für die Sozialdemokraten? Denn zwischen beiden Umfragen lag das, was bei der SPD als größtmöglicher Unfall galt: Dass die Freie Universität ganz offiziell Spitzenkandidatin Franziska Giffey den Doktortitel aberkannte. Wenn aber das und ihr Rücktritt als Bundesfamilienministerin nur zu einem Stagnieren statt zu einem Absturz führt, legt das nahe, dass das Vertrauen in Giffey kaum erschüttert ist. Es werden die nächsten Umfragen sein, die zeigen, wie stark Giffey bei nun viel stärker möglichen größeren Veranstaltungen anstelle eines Onlinewahlkampfs mit ihrer Bekanntheit mobilisieren kann.

Die im Gleisdreieckpark vorgestellten Grünen-Plakate sollen nun die Stadt prägen, 15.000- bis 20.000-mal mit den neun Motiven in Größe DIN-A1, was so groß ist, wie vier klassische Schulzeichenblöcke. Das rund dreieinhalb mal drei Meter messende Großplakat, auf dem Jarasch mit dynamischer Armbewegung und ernster Miene nach links aus dem Bild schreitet, soll 500 Mal zu sehen sein. „Berlin zur grünen Hauptstadt machen“ steht da groß, und mit kleinerer Schrift für jene über 70 Prozent der Berliner, die die Frau auf dem Bild derzeit nicht kennen: „Mit Bettina Jarasch im Roten Rathaus“.

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