Immer mehr studieren ohne Hilfe vom Staat

Weniger als ein Viertel der Bremer Studierenden bekommt aktuell Bafög, zwölf Prozent weniger als 2010. Die Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes hat kaum etwas gebracht, sagen DGB und Asta – und fordern einen Strukturwandel

Haben vielleicht einfach zu viel gearbeitet und deshalb keinen BaFöG-Anspruch: Studierende Foto: Gregor Fischer/dpa

Von Mahé Crüsemann

Bafög wird dieses Jahr 50 Jahre alt, genau wie die Bremer Uni – doch den Anspruch, die Chancen auf Bildungsgerechtigkeit zu erhöhen, unabhängig von der finanziellen Situation der Familien, erfüllt das Bundesausbildungsförderungsgesetz in Bremen für immer weniger Menschen. Im Bundesland konnten 2019 nur etwa 23 Prozent der Stu­den­t:in­nen eine finanzielle Ausbildungsförderung beziehen. 2010 waren es noch etwa 35 %. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht darin ein großes Problem und fordert grundlegende Reformen.

Bafög soll insbesondere die Mittelschicht entlasten, so steht es auf der Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Aber gerade diese Mittelschicht habe immer weniger Zugang zu einer Förderung, sagt Miriam Bömer, Gewerkschaftssekretärin der DGB Region Bremen-Elbe-Weser. „Die Ungleichheit in der Gesellschaft der letzten Jahre nimmt zu“, sagt sie. „Und die Zahlen der geförderten Studierenden sinken weiter.“

Bremen ist mit dem Problem nicht alleine. Anderswo ist der Trend sogar noch deutlicher. In ganz Deutschland erhielten laut Statistischem Bundesamt, gemessen an der Gesamtzahl der etwa 2,9 Millionen bundesweit eingeschriebenen Studierenden, im Jahr 2019 nur rund 11 % eine BAföG-Förderung. Das waren 7,1 Prozent weniger als noch im Jahr davor.

2019 gab es deshalb eine Reform des Gesetzes. Der Wohnzuschlag für Bafög-Geförderte wurde angehoben. Und der Förderungshöchstsatz stieg von 735 Euro auf 861 Euro monatlich. Dennoch sinken die Gefördertenzahlen weiter.

Die Bremer Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann (CDU) verteidigt die Reform von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek und die sinkenden Bezugszahlen: „Seit 2014 haben wir den Mindestlohn in Deutschland“, sagt Motschmann. „Die Zuverdienstmöglichkeiten für Studierende haben sich dadurch natürlich deutlich verbessert.“ Daran könne es liegen, dass immer weniger Studierende Bafög-berechtigt seien, vermutet sie. Der Bedarf an Unterstützung sei gesunken.

Dass Eltern ihre Kinder heute möglicherweise besser finanziell unterstützen können, könnte ein weiterer möglicher Grund für die sinkenden Gefördertenzahlen sein: „In Familien verdienen heute oft beide Elternteile“, sagt Motschmann. Vor einigen Jahren sei es noch üblicher gewesen, dass nur einer in der Familie verdient habe. „Dadurch ist jetzt möglicherweise das Einkommen insgesamt in vielen Familien so hoch, dass die Kinder kein BAföG brauchen.“

Der DGB aber glaubt nicht an diese Erklärung. Das Entgelt der Eltern von Studierenden sei zwar nominell gestiegen, aber nicht real, so Bömer. In Wirklichkeit reichten die Tarifabschlüsse der letzten Jahre nicht aus, um die Inflation auszugleichen. Das bedeutet: Es steht zwar mehr Lohn auf der Abrechnung der Eltern, die Lebenshaltungskosten wie beispielsweise Miete fressen das Einkommen einer Familie aber praktisch direkt wieder auf.

„Für viele Menschen bedeutet das, dass sie trotz höherer Löhne real das gleiche Einkommen haben“, sagt Bömer. Viele Kinder, die studieren möchten, kommen dadurch offiziell über die sogenannte Freibetragsgrenze, obwohl in Wirklichkeit gar nicht mehr Geld da ist als noch vor ein paar Jahren – ihre Eltern verdienen auf dem Papier zu viel.

Nicht nur das Einkommen entscheidet darüber, wer eine Förderung im Studium bekommt. Viele Bafög-Bezieher*innen fallen auch irgendwann aus dem System, weil sie ihre Regelstudienzeit überschreiten. Bundestagsabgeordnete Motschmann heißt das gut. „Wir müssen Anreize schaffen, dass die Ausbildung in der Kernzeit, die dafür angedacht ist, auch geschafft wird“, sagt sie.

„Der Idee des

BAföG liegt ein veraltetes Familienbild zugrunde“

Marlin Meier, Referent für Hochschulpolitik vom AStA der Uni Bremen

Da das Studium in Deutschland für Studierende in der Regel kostenfrei sei, übernehme der Staat ohnehin schon eine große finanzielle Last. „Ich würde nicht immer danach fragen: Was kann der Staat für mich tun, sondern auch: Was kann ich für den Staat tun?“, sagt Motschmann. Deutschland könne und müsse schließlich nicht immer für alles bezahlen.

Allerdings: Zwei Drittel aller Studierenden muss neben ihrem Vollzeitstudium auch noch arbeiten. „Das ist schon für sich ein Problem“, sagt Marlin Meier, Referent für Hochschulpolitik im Allgemeinen Studienausschuss der Uni Bremen (Asta).

Der Asta der Uni Bremen habe darum versucht, zumindest auf Landesebene möglichst viel von dem auszugleichen, was die Bundesregierung an Schaden angerichtet habe: „Wir haben zum Beispiel über die Verlängerung der individuellen Regelstudienzeit während Corona zwei Semester länger Bafög erkämpft“, sagt Meier.

Dem eigentlichen Problem werde man aber nur mit einer echten Strukturreform gerecht. Grundsätzlich habe man Bafög als Instrument seit Jahren kaputtgespart. Meier sagt, er habe die Hoffnung, dass sich nach der Bundestagswahl etwas tun könnte. „Der Idee des Bafög liegt ein veraltetes Familienbild zugrunde“, sagt der Asta-Vertreter. „Man geht praktisch davon aus, dass Eltern, deren Einkommen knapp über der Freibetragsgrenze liegt, ihre Kinder auch finanziell unterstützen können und wollen.“ Die Realität sehe aber heute oft anders aus, sagt er. „Da muss das System angepasst werden.“