Protected Bike Lanes: Breit Rad fahren in Kreuzberg

Pop-up war gestern: Die geschützte Radspur auf dem Kottbusser Damm ist „verstetigt“. Ein Problem bleibt das hartnäckige Ignorieren von Parkverboten.

Radspur mit Protektoren neben parkenden Autos

Ein Hauch von Hartgummi gegen den Raumhunger der Autos: Protektoren auf dem Kottbusser Damm Foto: dpa

Montagvormittag auf dem Kottbusser Damm: Die Junisonne brennt auf den Asphalt, über den sommerlich bekleidete RadlerInnen und Autos mit heruntergelassenen Fensterscheiben rollen. Eigentlich Radspuren mit Corona-Antriebwirkt alles ganz relaxt auf der Bezirksgrenze von Kreuzberg und Neukölln – und das ist auf jeden Fall im Sinne der Politikerinnen und VerwaltungsmitarbeiterInnen, die sich am schattigen Rand des Zickenplatzes eingefunden haben, um ein kleines Highlight zu feiern: Die „Verstetigung“ einer der ersten Pop-up-Radspuren im Bezirk ist abgeschlossen.

Nur 14 Monate hat das gedauert: „Gar nicht so schlecht“, findet Monika Herrmann, die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg. Ihrem Bezirk „gehört“ die gesamte Straße bis zur östlichen Häuserkante. Im April 2020 ging es hier mit gelben Folienstreifen und rot-weißen Baustellenbaken los, jetzt haben die bis zu 2,50 Meter breiten Spuren eine frische Oberfläche und werden durch sogenannte Protektionselemente aus Hartgummi vor Gefährdungen aus dem Kfz-Bereich geschützt. Die Spur links neben der Radspur ist eine Lieferzone, dem Fließverkehr für Autos und Lastwagen bleibt nur eine Spur. Rund 300.000 Euro hat das gekostet, weiß ein Bezirksamtsmitarbeiter.

Faktisch sah es früher oft so aus: Nicht nur auf der heute den Fahrrädern vorbehaltenen Fläche wurde geparkt, sondern auch daneben in zweiter Reihe. So dramatisch ist die Veränderung also gar nicht für die fahrenden Autos, allerdings gibt es praktisch keine „normalen“ Parkplätze mehr auf dem Kottbusser Damm – nur eben Halteflächen zum Be- und Entladen. Allerdings wird auf denen an diesem Montag durch die Bank ordnungswidrig geparkt. Indirekte Folge: Hundert Meter vom Zickenplatz entfernt sind die Recycling-Männer mit ihrem Laster einfach über die schwarz-weißen Protektoren gefahren und stehen halb auf der Radspur, damit sie in Ruhe die Wertstofftonnen der Nachbarschaft leeren können.

Berliner Laisser-faire

„Das sind alles klare Ordnungswidrigkeiten“, sagt Felix Weisbrich, Leiter des bezirklichen Straßen- und Grünflächenamts, „aber leider ist genau das der Berliner Alltagszustand.“ Und Bürgermeisterin Herrmann, die im Bezirksamt die Zuständigkeit für Verkehrsangelegenheiten hat, meint: „Die Durchsetzung der Straßenverkehrsordnung ist eines der größten Probleme in Berlin. Da werden für eine Laisser-faire-Haltung angebliche Ermessensspielräume vorgeschoben.“

Ihre Kritik richtet sich gleich an zwei Behörden – das SPD-geführte Ordnungsamt des Bezirks und die Berliner Polizei. „Mit der Fahrradstaffel hätte die Polizei ein hervorragendes Instrument, um diese Ordnungswidrigkeiten zu ahnden – und das würde sich nicht nur heute richtig lohnen.“ Herrmann, die gute Chancen hat, im September ins Abgeordnetenhaus gewählt zu werden, will nach eigener Aussage das „ganze System umbauen“: Das bezirkliche Straßenamt soll die Überwachung des ruhenden Verkehrs durchführen, eine Zuständigkeit, die es einst bei der Ausgliederung aus dem Ordnungsamt nicht mitnehmen durfte.

Bei einem anschließenden Termin auf der Bergmannstraße, wo an diesem Tag die Arbeiten für den geplanten Zweirichtungs-Radweg beginnen, erläutert Herrmann ihre Pläne, die noch weiterreichen und die sie auch als Landespolitikerin vorantreiben möchte: Die Überwachung der Parkraumbewirtschaftung, die in absehbarer Zeit den gesamten Innenstadtbereich abdecken wird, soll künftig stark automatisiert ablaufen, wie beispielsweise in Amsterdam. „Das sieht dann etwa so aus, dass Sie zum Parken Ihr Kennzeichen angeben müssen, im Normalfall per App.“ Durch regelmäßiges Scannen der Nummernschilder, etwa von einem Lastenrad aus, lasse sich dann mit einem Bruchteil an Personal überwachen, wer ordnungswidrig parkt – ihm oder ihr wird der Bußgeldbescheid dann einfach zugeschickt.

Beim Ordnungsamt würden dadurch genügend Kapazitäten frei, um beispielsweise schnell gegen Falschparker auf Radwegen vorzugehen. Herrmann hat das in einem Brief an Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) vorgeschlagen, die beim Fototermin am Montag auch mit von der Partie ist. Das Prinzip sei natürlich für ganz Berlin gedacht, aber: „Wir bieten uns da gerne als Modellbezirk an.“

Zurück zum Kottbusser Damm: Auch wenn am Montagmittag alles ganz reibungslos wirkt, gehen die Meinung unter den Anliegern immer noch auseinander, ob die Neuaufteilung der Straße wirklich so vorteilhaft ist. Der Spätibesitzer gegenüber dem Zickenplatz streckt den Daumen hoch und findet: „Passt!“ Ja, anfangs sei es mit den Pop-up-Spuren ein bisschen chaotisch gewesen, aber mittlerweile sei auch klar, dass Rettungseinsätze auf der Radspur abgewickelt werden können. Und die könne ja jetzt nicht mehr zugeparkt werden. Straßenamtsleiter Weisbrich bestätigt das – ihm zufolge sind die Spuren sogar breit genug für die großen Löschzüge der Feuerwehr.

„Mehr Stress als vorher“

Mit gemischten Gefühlen betrachtet der Barista in der „Kaffeekirsche Roastery“ an der Ecke zur Böckhstraße die Veränderungen: „Ich fahre selbst Fahrrad und finde die Wege natürlich gut“, sagt er, „aber weil der Platz einfach weniger geworden ist, gibt es jetzt mehr Stress und Gehupe als vorher.“ Er habe auch mitbekommen, dass die Feuerwehr bei einem Brand am Kottbusser Damm in der vergangenen Woche eben nicht gut durchgekommen sei.

Deutliche Kritik übt eine langjährige Kiezbewohnerin: „Es musste sich ganz sicher etwas ändern“, findet sie, „aber es kann doch nicht Sinn der Sache sein, dass die Autos jetzt die Menschen auf den Gehwegen im Stop-and-Go vollstinken!“ Seit dem Start der Pop-up-Maßahme irritiere es sie, dass nun mit dem Radverkehr eine andere Gruppe von StraßennutzerInnen bevorzugt werde.

An die FußgängerInnen, von denen auf dem Damm sehr viele unterwegs seien, werde nicht gedacht. Dass Autofahrende durch diese Neuverteilung des Straßenraums ihre Verkehrsmittelwahl überdenken würden, daran glaubt sie jedenfalls nicht: „Das Auto ist und bleibt ein Statussymbol für die Menschen im Kiez.“

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