Querdenker wollen selbst lehren: Schule mit Antisemitismus

Seitdem die Präsenzpflicht durch die Pandemie ausgesetzt ist, bilden sich private Lerngruppen. Was frei und selbstbestimmt klingt, hat üble Wurzeln.

Eine Menschenansammlung, in deren mitte fünf Männer stehen. Einer von ihnen hält ein Schild mit der Aufschrift: "Hände weg von unsern KIndern - Keine Masken - Keine Tests _ Keine Impfung"

Kein Geschichtsunterricht? Querdenken ist vielleicht einfach so ähnlich wie querlesen Foto: imago/Christina Häußler/Einsatz-Report 24

HAMBURG taz | Kein Lehrplan, keine Inhaltsvorgaben vom Staat: Freies Lernen möchte die sogenannte „School of Bliss“ (SoB) möglichst bald anbieten. In Zukunft solle sie ein „modernes Lernkonzept mit glücklichen Kinder und Lernbegleitern“ umsetzen, heißt es im Telegram-Kanal „School of bliss – by Life in Flow“ mit 4.446 Abonnent:innen.

In der Coronapandemie mit dem längerfristigen Wegfall der Präsenzpflicht haben sich vielerorts private Lerngruppen gebildet. Lehrende und Eltern bestärken sich gegenseitig in ihrer Suche nach neuen Bildungsideen. Eine SoB soll im Raum Lüneburg entstehen. Initiatorin Jacky Herder aus dem schleswig-holsteinischen Heide betreut Interessierte.

Seit Anfang des Jahres werden die Zoom-Konferenzen mit Herder auf norddeutscher SoB-Ebene beworben. Die Unternehmerin berichtet online vom „Martyrium“ ihrer Kinder durch Maskenzwang und Politikunterricht. Sie habe beschlossen, zum 1. September 2021 eine eigene Schule in Dithmarschen zu eröffnen und wünsche sich eine weitere Vernetzung: „Je größer wir werden, desto unaufhaltsamer werden wir!“

Die Eltern aus den SoB-Gruppen seien „erst einmal daran interessiert, eine gegenstaatliche Schule zu gründen – fernab von Schulgesetz und Bildungsplan“, erklärt eine Person mit Zugang zu den geschlossenen Gruppen der taz. Die Ablehnung von Coronatests und Impfungen treibe die meisten an, doch auch rechte Inhalte würden „am laufenden Band“ unwidersprochen gepostet. Bereits vorgefertigte Musterbriefe an Schulleitungen gegen staatliche Pandemie-Eindämmungsmaßnahmen finden sich auch in diesen Telegram-Kanälen.

„Parasitäres System“

Die strategische Vorgehensweise ähnelt denen von ElternStehenAuf und Klagepaten, Initiativen innerhalb des „Querdenken“-Spektrums. In den bundesweiten SoB-Gruppen werden Videos und Audios eines „Dawid Snowden“ verbreitet, der das „parasitäre System entmachten und entsorgen!“ will und über die „Drecks-Regierung“ und die „Armleuchter“ von Polizei wettert. „Snowden“ spielt wütend darauf an, dass jede Tyrannei in der Geschichte, „nur mit einem Krieg gegen diese Strukturen“ abgewendet worden sei.

Eine zentrale Inspiration für die „School of Bliss“ stellt die „Anastasia“-Buchreihe von Wladimir Megre dar. Der russische Unternehmer heißt eigentlich Pusakow. Sein zehnbändiges Epos wechselt zwischen fiktionalen Passagen und direkter Anrede der Leser:innen, um die Botschaft der erdachten Hauptfigur Anastasia zu verbreiten. Dazu gehört, dass Juden und Jü­din­nen „die Macht über die Menschen“ bekommen wollten und „viel Geld“ konzentrierten, weswegen sie verfolgt würden. Auch heißt es, der erste Geschlechtsakt von Frauen würde deren spätere Kinder prägen. Die widerlegte Vererbungsvorstellung der Telegonie geht in den Büchern so mit altbekannter antisemitischer Hetze einher. Im Geiste der Buchreihe hat sich von Russland aus eine rechts-esoterische Bewegung formiert, deren deutsche „Familienlandsitz“-Projekte eigene Schulen anvisieren.

Irem H., Wortführerin der Schulgründungsinitiative Lüneburg versichert im internen Kreis, sie seien regional „super vernetzt“. Ein Austausch von Talenten sei bereits im Gang, mal böte ein Elternteil oder ein SoB-Lernbegleiter Kochen, Basteln, unternehmerisches Denken oder Physik an. „Wir machen was Gutes und sind energetisch geschützt, weil wir fokussiert sind“, betont sie.

Ein typisches antisemitisches Bild

Eine Formel aus dem Spektrum der SoB lautet: „Sobald wir uns von dem alten Schulsystem gelöst haben, soll es in freies Lernen übergehen.“ Genaueres wird nicht preisgegeben. Zur Lüneburger Gruppe zählt auch Vincent Dietz. Der Pädagoge hat nach eigenen Angaben bei der SoB bereits „Module“ als „Lernbegleiter“ gebucht. Dietz trat am 3. April auf der Hauptbühne von „Querdenken“ in Stuttgart auf. Im Reichsideologiesprech verkündete er, dass das Grundgesetz keine Gültigkeit mehr habe. Daher könnten nun „freie Lernorte“ geschaffen werden.

In Hamburg scheiterte eine Schulgründungs-initiative. Sie scheint nach Schleswig-Holstein ausweichen zu wollen

Das Konzept der „School of Bliss“ lehnt sich auch an den Lernvorstellungen von Ricardo Leppe an. In einem Video bekunden Leppe und Herder die gemeinsamen Bemühungen für ein neues Lernen. Die SoB bietet kostenpflichtige Lernmodule von Leppe mit an. Die Idee dahinter solle so aussehen, dass Eltern je nach Möglichkeit die Kinder unterrichten und dabei von „Lernbegleitern“ unterstützt würden, die „entindoktriniert“ sind. Die Kosten für die Ausbildung in Offline-Modul-Treffen sind nicht öffentlich einsehbar.

Bekannt ist aber, dass Leppe in Österreich den Verein „Wissen Schafft Freiheit – Vereinigung zur Stärkung, Aufklärung und Verbreitung von Wissen und Bildung“ betreibt. Auf der Webseite gibt der Verein Ernährungs- und Gesundheitsempfehlungen und bewirbt die umstrittene „germanische Heilkunde von Dr. med. Ryke Geerd Hamer“. Dem vor wenigen Jahren verstorbenen Arzt war in Deutschland die Zulassung auch wegen seiner Methoden entzogen worden. Hamer behauptete, die „dumme alte Schulmedizin“ sei eigentlich „eine jüdische Medizin“ – ein typisches antisemitisches Bild, das schon zu Zeiten des Nationalsozialismus bemüht wurde.

In Hamburg scheiterte jüngst eine Schulgründungsinitiative aus dem Querdenken-Milieu. Nachdem die taz darüber berichtete, zog die Initiative den Antrag bei der Schulbehörde zurück. Sie scheinen stattdessen nach Schleswig-Holstein ausweichen zu wollen: Die ehemalige Anmelderin von Querdenken 40 schreibt bei Telegram, dass sie für ihre zukünftige Schule in Norderstedt die „ganze Einrichtung aus der Gemeinschaftsschule Horn“ geschenkt bekämen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.