Paragraf 218 verhindert Lösungen: Abgebrochene Gesundheitspolitik

Zum Scheitern verurteilt sind Versuche von Kommunen, die Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen zu verbessern.

Historische Aufnahme einer Pro-Choice-Demonstration

Eine Demonstration gegen den Paragrafen 218, 1973 in Bonn Foto: imago

BREMEN taz | Einen Shuttle-Service für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch brauchen? Ja, so etwas gibt es. Heute nicht mehr für Tausende, die in die Niederlande reisen wie bis in die 80er- und 90er-Jahre. Sondern nur noch vereinzelt, innerhalb Deutschlands. Dort, wo es weit und breit keine Praxen oder Kliniken gibt, die den ambulanten Eingriff durchführen oder das Medikament verschreiben, das eine Fehlgeburt auslöst. In Norddeutschland gab es solche Versorgungswüsten bisher nur im tief ­katholischen Westen Niedersachsens, wie eine taz-Recherche vor vier Jahren zutage förderte.

Doch die weißen Flecken auf der Landkarte werden größer, auch im vermeintlich liberalen Norden. Das liegt vor allem daran, dass Ärz­t*in­nen in Rente gehen, die die Auseinandersetzungen um das Abtreibungsrecht Ende des vergangenen Jahrhunderts miterlebt und sich deshalb bewusst dafür entschieden haben, Menschen in dieser Situation zu helfen. Sie finden keine Nachfolger*innen, weil bei jüngeren Ärz­t*in­nen und Studierenden das Bewusstsein dafür fehlt, dass es sich beim Schwangerschaftsabbruch um eine medizinische Notwendigkeit handelt. Außerdem haben viele Angst vor der Auseinandersetzung mit selbsternannten Lebensschützer*innen, die Ärz­t*in­nen und Pa­ti­en­t*in­nen im Internet nachstellen und vor Praxen belästigen.

Hinzu kommen Klinik-Fusionen und -übernahmen durch konfessionelle Träger wie derzeit in Flensburg, wo eine evangelische und eine katholische Klinik zusammengehen. Die katholische Kirche lehnt Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich ab, ein Arbeitskreis sucht derzeit nach Lösungen, einen Ersatz zu schaffen, wenn ab dem Jahr 2023 die Fusion vollzogen ist.

Ähnlich ist es in Nordhorn direkt an der niederländischen Grenze gelaufen, dort fusionierten 2007 eine kommunale und eine katholische Klinik. Oder im niedersächsischen Schaumburg. Dort war vor fünf Jahren bekannt geworden, dass der evangelikale ­Agaplesion-Konzern, der die kommunalen Kliniken übernommen hatte, keine Abtreibungen durchführen würde. Ende 2017 eröffnete der Neubau, viele Frauen aus dem Landkreis hatten sich dafür eingesetzt, dass ein externes Ärzteteam in den Klinikräumen den Eingriff durchführen würde.

Darunter befand sich auch Heidemarie Hanauske, Geschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt im Landkreis Schaumburg, die dort die gesetzlich vorgeschriebenen Schwangerschaftskonfliktberatungen anbietet. Sie hat sich einen vorsichtig formulierten Satz zurecht gelegt, weil sie immer noch die Hoffnung hat, dass sich die Situation verbessert. „Die Rahmenbedingungen im Klinikum sind für die Frauen und die kooperierende Praxis, die die Abbrüche vornimmt, sehr schwierig.“ So schwierig, dass viele in eine gynäkologische Praxis außerhalb des Landkreises fahren würden.

Shuttle-Service zur Abtreibung

Manchmal verabschieden sich auch säkulare Kliniken aus der Versorgung, wie in Cuxhaven vor über einem Jahr. Häufig steckt dahinter ein Chefarzt, der seiner Abteilung Schwangerschaftsabbrüche verbietet wie im Jahr 2016 im wendländischen Dannenberg.

Den eingangs erwähnten Shuttle-Service gibt es für Frauen aus Bremerhaven und Umgebung. Dort hatte im Dezember vergangenen Jahres der letzte Arzt seine Praxis aufgegeben; die kommunale Klinik macht nur vereinzelt Abbrüche. Seitdem müssen Frauen 130 Kilometer nach Hamburg oder 65 Kilometer nach Bremen fahren.

Das Abtreibungs-Taxi brauchen viele, weil sie kein Geld für den Zug haben, sich nicht zutrauen, die Strecke mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zu bewältigen. Oder weil sie nach einer Vollnarkose nicht allein fahren dürfen, aber niemanden in ihre Pläne einweihen können.

Ein Paar aus einem Bremer Vorort hatte nach einem Medienbericht entschieden, in diesen Fällen zu helfen. Mit einer kostenlosen Autofahrt oder der Übernahme des Zugtickets. Die taz hat mit den beiden gesprochen, aber öffentlich äußern können sie sich nicht.

Ihr Handeln, das sie mit einem Verantwortungsgefühl für Menschen in Not begründen, ist, wie alles, was das Thema berührt, ein juristischer Graubereich. Sie könnten nach Paragraf 219a, der Werbung für und Informationen über den Schwangerschaftsabbruch verbietet, angezeigt und im schlimmsten Fall verurteilt werden.

Und sie müssten mit Anfeindungen und Angriffen von Personen rechnen, die Frauen ein Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper absprechen – weil sie das Recht auf körperliche Unversehrtheit eines Embryos oder Fötus höher werten. Der Abtreibungsparagraf 218, der Schwangerschaftsabbrüche als Tötungsdelikte in einer Liga mit Mord und Totschlag brandmarkt, macht es ihnen leicht.

Keine Aussicht auf Besserung

Es sind keine vereinzelten Spinner, die so denken. Vielleicht ist es nicht mehr die Mehrheit der Gesellschaft, weil das Thema seit Ende 2017 dank der Gießener Ärztin Kristina Hänel und ihrer Un­ter­stüt­ze­r*in­nen wieder auf der Tagesordnung ist und vor allem Jüngere das geltende Recht zunehmend kritisch sehen. Aber deren einflussreichster Teil.

Denn im Jahr 2021, genau 150 Jahre nach Inkrafttreten des Paragrafen 218, gibt es kaum Aussichten darauf, dass der Gesetzgeber das Abtreibungsrecht liberalisiert – und Frauen damit ein Recht einräumt, ohne Bevormundung und Strafandrohung darüber zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austragen wollen oder nicht.

Vor allem CDU und FDP halten eisern an Verbot und Zwangsberatung fest, wie eine Debatte über das Thema im Deutschen Bundestag Anfang März zeigte. Die Redebeiträge der Abgeordneten von CDU, CSU und FDP unterschieden sich zwar von denen der AfD im Ton – nicht aber im Inhalt.

Sie alle eint die Vorstellung, dass die Hürden für einen Schwangerschaftsabbruch so hoch wie möglich gelegt werden müssen– um zu verhindern, dass Frauen „ohne jede Einschränkung bis zur Geburt“ Schwangerschaften abbrechen, wie es die FDP-Rednerin und der CSU-Redner behaupteten. Nachweise für diese These gibt es nicht. Internationale Studien sprechen dafür, dass ein rigides Recht eher die Fallzahlen ansteigen lässt.

Dieses Nicht-Handeln auf Bundesebene hat konkrete Auswirkungen auf die Handlungsmöglichkeiten vor Ort. Es gibt im Norden durchaus Politiker*innen, die sich der Verantwortung stellen und sich nicht wegducken. Doch sie können nicht viel mehr tun, als sich wie in Flensburg und Bremerhaven an runden Tischen zu treffen – und zu hoffen, dass sich doch noch ein*e Me­di­zi­ne­r*in breit schlagen lässt, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten.

Straftat kann keine Kassenleistung sein

Denn der Strafrechtsparagraf 218 verhindert die staatliche Steuerung des Angebots. Weil eine Straftat keine Kassenleistung sein kann, können Kliniken nicht verpflichtet werden, einen Sicherstellungsauftrag zu erfüllen wie bei anderen medizinischen Eingriffen. Erschwerend kommt hinzu, dass im Schwangerschaftskonfliktgesetz extra festgehalten ist, dass niemand verpflichtet ist, „an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken“.

Viele Bemühungen zielen daher darauf, beim ärztlichen Nachwuchs anzusetzen. Aber auch das ist zum Scheitern verurteilt, wie das Bundesland Bremen erfahren hat. Das wollte ein eigenes Fortbildungsprogramm zu Abtreibungsmethoden auflegen und musste im Februar mitteilen, dass das nicht geht. Zudem liegt die ärztliche Weiterbildung in den Händen der Ärztekammern, für die universitäre Ausbildung sind die Universitäten zuständig.

Andere Bundesländer machen es sich leichter: Sie leugnen das Problem von vornherein. So war die Versorgung von ungewollt Schwangeren in Niedersachsens Westen immer schon miserabel, aber bis heute gibt es im oder aus dem Emsland und der Grafschaft Bentheim keine Mandatsträger*innen, die sich des Problems annehmen.

Länder erkennen keine Unterversorgung

Auch die Landesregierung ist untätig. Seit vier Jahren fragt die taz regelmäßig das Gesundheits- und Sozialministerium, was es dafür zu tun gedenkt, dass die Wege kürzer werden. Ebenso regelmäßig lautet die Antwort: „Dem Ministerium liegen keine Informationen über Versorgungslücken im Land Niedersachsen vor.“ So ähnlich lautete die Antwort der schleswig-holsteinischen Landesregierung auf eine SPD-Anfrage im Oktober: Es lägen „zum jetzigen Zeitpunkt keine Hinweise für eine Unterversorgung“ vor. Beide Länder werden von der CDU mitregiert.

Dabei haben die Ministerien sogar recht. Denn nirgends ist definiert, wie weit die Wege sein dürfen. Im Schwangerschaftskonfliktgesetz heißt es lediglich: „Die Länder stellen ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicher.“

Doch was ist ausreichend? Diese Frage beantworten Landesministerien gern mit dem Verweis auf zwei Sätze aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1993: „Zum anderen kann es in einer solchen Situation auch der Schwangeren eine Hilfe in der Not sein, wenn sie für einen ersten Arztbesuch die An- und Rückreise – auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln – an einem Tag bewältigen kann. Es wird ihr leichter, die Betreuung eigener Kinder während ihrer Abwesenheit zu regeln; der Arbeit braucht sie nur für eine relativ kurze Zeit fernzubleiben.“

Nun sind es zwar meistens mindestens zwei Arztbesuche, die anstehen, einer für die Aufklärung, einer für den Eingriff. Und Betreuung für jüngere Kleinkinder zu finden ist nie leicht, erst recht wenn niemand von der Reise wissen darf. Aber vielleicht muss man diese Sätze vor dem Hintergrund lesen, dass zum Zeitpunkt des Urteils viele Frauen nach Holland fuhren – da war die Organisation noch umständlicher als heute.

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