Abtreibung aus Ärztesicht: Verweigern ist der Normalfall

Was muss sich ändern, damit mehr Ärz­t*in­nen bereit sind, Abbrüche vorzunehmen? Zwei Me­di­zi­ne­rin­nen erklären, wo es hakt.

Eine Demonstrantin hält ein Schild mit der Aufschrift "Mein Bauch gehört mir".

Nicht nur die Frauen stoßen auf Hürden, sondern auch die Ärz­t*in­nen Foto: Stefan Boness/Ipon

HANNOVER taz | Strafrecht. Das ist das erste, was die meisten Me­di­zin­stu­den­t*in­nen hören, wenn es im Studium um das Thema Schwangerschaftsabbruch geht. Und das, sagt zumindest die junge Ärztin Karla Winter, ist ein großer Teil des Problems.

Karla Winter ist nicht ihr richtiger Name, aber weil sie sich sonst zur Zielscheibe für Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen macht, gibt sie Interviews unter einem Pseudonym. Winter arbeitet unter anderem für Pro Familia in Bremen und nimmt dort Abbrüche vor. Sie engagiert sich auch in der Weiterbildung von niedergelassenen Gy­nä­ko­lo­g*in­nen und Hausärzt*innen.

Die 32-Jährige glaubt, dass die Verankerung im Strafrecht und das verdruckste gesellschaftliche Klima die wesentlichen Gründe dafür sind, dass es in vielen Regionen immer weniger Ärz­t*in­nen gibt, die Abbrüche anbieten.

„Für meine Generation ist das halt nicht mehr so sehr ein Politikum wie für die Generationen vor uns, die sich viel mehr als An­wäl­t*in­nen der Frauen begriffen haben. Wir sind groß geworden mit der Erzählung: Hier gibt es doch alles mögliche an Verhütungmethoden, da seid ihr auch in der Pflicht, euch darum zu kümmern. Und wenn dann doch mal etwas schief geht – na ja, dann bist du irgendwie selbst schuld.“

Dass es den Abbruch für solche Fälle immer noch gebe, fänden die meisten Me­di­zi­ne­r*in­nen gut, glaubt Winter. Die wenigsten lehnten den Eingriff kategorisch ab. Nur durchführen möchten sie ihn nicht. Auch ihr sei lange nicht bewusst gewesen, dass es da einen Mangel geben könnte. Doch der zeichnet sich immer deutlicher ab. Für die betroffenen Frauen bedeutet das: längere Wege, höherer Aufwand und keine Chance mehr darauf, sich von einem Arzt, einer Ärztin begleiten zu lassen, den, die man kennt und dem, der man vertraut.

Es fehlt an Leitlinien und Weiterbildungen

Dabei könnte es viel einfacher sein: Der medikamentöse Abbruch ist relativ problemlos in jeder Praxis zu bewerkstelligen. Wer eine Zulassung für ambulante Operationen hat, kann auch Saug-Kürettagen durchführen. Aber es fehlt an Kenntnissen und Erfahrungen, sagt Helga Seyler, die sich jahrzehntelang im Familienplanungszentrum in Hamburg für das Thema engagiert hat. Das läge daran, dass es eben immer noch ein „Schmuddelthema“ sei, mit dem man sich lieber nicht im Detail befasst.

Und gezwungen wird dazu ja keiner. Noch immer kämpft die pensionierte Frauenärztin Seyler zusammen mit den „Doctors pro Choice“ darum, das Thema in der fachärztlichen Fort- und Weiterbildung zu verankern. „Es gibt bisher keine gesicherte Ausbildung für diesen Bereich und auch keine medizinischen Leitlinien, aus denen hervorgeht, wie ein Abbruch fachgerecht durchgeführt werden sollte.“

Das wird sich allerdings ändern. Derzeit arbeitet die Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe an einer Leitlinie, wie sie der taz auf Nachfrage bestätigte.

Die fehlenden Leitlinien macht Seyler dafür verantwortlich, dass immer noch so unverhältnismäßig viele Ausschabungen durchgeführt würden, obwohl das nicht das Mittel der Wahl sei. Es ist aber die Technik, die in der Facharztausbildung ganz sicher gelehrt wird, weil sie auch nach Fehlgeburten zum Einsatz kommt.

Bei den Fachgesellschaften hatte die Frauenärztin bisher auf Granit gebissen. „Viele möchten das Problem oder die Notwendigkeit einfach gar nicht sehen.“ Und argumentieren ansonsten gern mit der Freiwilligkeit.

Tatsächlich kann kein Arzt und keine Ärztin gezwungen werden, einen Abbruch vorzunehmen – auch nicht zu Übungszwecken. Aber warum, fragt Seyler, sollten die Betroffenen das nicht einfach erklären können – wie Kriegsdienstverweigerer früher? Dann würden die sich eben aus Gewissensgründen von diesem Teil der Weiterbildung befreien lassen.

Im Moment ist es umgekehrt, hat auch Karla Winter erfahren. „Das hat man mir von Anfang an gesagt: Wenn du das jetzt machst, musst du dich andauernd rechtfertigen. Dafür, dass man es nicht macht, muss man sich nie rechtfertigen.“

Praxisinhaber haben Angst vor zu vielen Anfragen

Dabei, sagt ihre Kollegin Seyler, könne es doch eine zutiefst bedeutsame und deshalb befriedigende Arbeit sein, Patientinnen in dieser Krisensituation gut zu begleiten. Sie verstehe ja schon, dass es in bestimmten Gegenden sicher schwierig sei, sich den Stempel „Abtreibungspraxis“ einzuhandeln. Aber letztlich habe es je­de*r niedergelassene Me­di­zi­ne­r*in in der Hand, wie viele Termine er oder sie dafür vergibt.

Karla Winter, Ärztin in Bremen

„Für meine Generation ist das halt nicht mehr so sehr ein Politikum wie für die Generationen vor uns, die sich viel mehr als An­wäl­t*in­nen der Frauen begriffen haben“

Die Befürchtung mancher Kolleg*innen, mit Anfragen überrannt zu werden, hält Seyler jedenfalls für übertrieben. Man könne die Leistung problemlos auf die Patientinnen beschränken, die man sonst auch betreut, so wie es jetzt eine Bremerhavener Praxis geplant hat. Das ist auch der Grund, warum sich viele Praxen nicht auf die offizielle Liste eintragen lassen, auf der Adressen aufgeführt sind, die Abbrüche vornehmen.

Auch Karla Winter hält solche Bedenken für vorgeschoben. „Dieses Argument, aber dann kommen die Schwangeren ja nicht mehr zu mir, finde ich seltsam. Zu uns kommen ja auch ganz viele Mütter, die eben kein weiteres Kind wollen oder jetzt gerade keines. Die würden sich sicher gern immer von ihrer Ärztin betreuen lassen.“

Das Problem ist, dass die Pra­xis­be­trei­be­r*in­nen schon sehr gewillt sein müssen, sich mit dem Thema ausein­anderzusetzen: mit der rechtlichen Lage, der Methodik, der anderen Abrechnung, weil Abbrüche ja auch keine Kassenleistung sind.

Die große Frage wird nun sein, wie lange sich der Konzentrationsprozess auf immer weniger Großpraxen oder Fachkliniken noch fortsetzen muss, bevor sich jemand bemüßigt fühlt, zu handeln. Karla Winter glaubt, dass es erst noch sehr viel schlimmer werden muss, bevor es einen politischen Aufschrei geben wird.

Helga Seyler ist da optimistischer: „Ich sehe viele junge, engagierte Feministinnen, da bewegt sich schon etwas.“ Auch wenn man die gut vernetzten Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen und ihre hartnäckigen Versuche, auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen, keinesfalls unterschätzen sollte.

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