die woche in berlin
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Die neue Partei namens Klimaliste könnte den Grünen den Einzug ins Rote Rathaus vermasseln. Der massive Polizeieinsatz bei einer Brandschutzbegehung in einem teilbesetzten Haus in der Rigaer Straße am Donnerstag zeigt die Prioritäten von R2G. Die Debatte über die Zukunft der Schinkel’schen Bauakademie hat auch nach Jahren noch kein Ergebnis gezeitigt

Die Sache mit der Fünf-Prozent-Hürde

Die Kandidatur der Klimaliste könnte die Grünen schwächen

Einer neuen Partei namens Klimaliste reicht also nicht, was vor allem die Grünen in ihrem Wahlprogramm zur Klimarettung vorsehen – sie tritt selbst zur Abgeordnetenhauswahl an. Gute Sache, könnte man meinen, warum nicht, ist das Angebot halt breiter, und nach der Wahl können ja alle zusammenarbeiten.

Könnte man sagen – wäre da nicht die Sache mit der 5-Prozent-Hürde. Ist die Klimaliste überraschend erfolgreich und bekommt am 26. September mehr als eben jene 5 Prozent der abgegebenen Stimmen, dann ist eben der Klimaschutz umso stärker im Parlament vertreten. Ist das aber erwartbarerweise nicht so, und sie bekommt weniger, im schlimmsten Fall 4,9 Prozent, so sind das genau 4,9 Prozent, die den Grünen zum Einzug ins Rote Rathaus fehlen könnten. Denn diese Klimalisten-Stimmen, die sich mutmaßlich aus Grünen-Anhängern speisen dürften, fallen dann einfach unter den Tisch.

Klassisches Beispiel dafür, was eine weitere Kandidatur anrichten kann, war die US-Präsidentschaftswahl 2000. Da trat neben dem auch in Umweltfragen stark engagierten demokratischen Vizepräsidenten Al Gore und dem Republikaner George W. Bush der Verbraucheranwalt Ralph Nader für die Grünen an. Der kam auf rund 2,7 Prozent und allein im Bundesstaat Florida, wo weniger als 1.000 Stimmen über den Sieg entschieden, auf fast 100.000 Stimmen. Spätere Umfragen legten nahe, dass das Gore die Präsidentschaft gekostet haben könnte.

Daraus zu schließen, dass die Klimaliste also einen grünen Wahlerfolg gefährdet, wäre aber falsch – genauso falsch wie die Annahme, dass Nader den USA einen Präsidenten Bush und nachfolgend den Irakkrieg beschert hat. Mit ihrem Antritt macht die Klimaliste lediglich ein Angebot: Es liegt an jeder einzelnen Wählerin, an jedem einzelnen Wähler, sich zu entscheiden und das Ergebnis zu verantworten – wer statt Gore Nader wählte, musste wissen, was er tat.

Wer, um mal zur Berliner Abgeordnetenhauswahl zurückzukehren, zwar Defizite im grünen Klimaprogramm sieht, aber auf jeden Fall eine grüne Regierungschefin will, muss eben die Grünen wählen – wer anders gewichtet, wird sich für die Klimaliste entscheiden. Es ist wie im Einzelhandel: Wer den örtlichen Tante-Emma-Laden erhalten will, darf da nicht bloß noch ein paar Eier und ein vergessenes Tütchen Backpulver kaufen, wenn um die Ecke ein großer Supermarkt eröffnet.

Was hat noch mal Winston Churchill über die Demokratie gesagt? Sie sei „die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen“. Die Freiheit der Wahl beinhaltet eben auch die Freiheit der Kandidatur. Es gibt keine Vorgaben, nach welchen Kriterien jemand seine Stimme vergibt, ob nach langer Lektüre von Wahlprogrammen oder weil eine Partei die schöneren Kulis am Wahlkampfstand hatte. Es gibt bloß die Hoffnung, dass sich vielleicht nicht zu viele von den Kulis leiten lassen. Wobei sich die Grünen natürlich mühen könnten, auch in der Kuliwertung vorne zu ­liegen. Stefan Alberti

Alles für den Kapitalismus

Rigaer Straße: teurer Einsatz für eine Brandschutzprüfung

So viel Schall und Rauch um fast nichts. Am Ende des gigantischen Polizeieinsatzes mit etwa 1.000 Beamt:innen, die eine Brandschutzbegehung der teilbesetzten Rigaer Straße 94 durchsetzen sollten, zogen Polizei und Gutachter überraschend schnell wieder ab. Für den Brandschutz hatten sich alle Wohnungen problemlos geöffnet – trotz des teils gewalttätigen Widerstands gegen die Polizei im Vorfeld.

Kein Wunder: Schon am Mittwoch hatten die Be­woh­ne­r:in­nen erklärt, man werde die Türen öffnen – wenn Polizei und Ver­tre­te­r:in­nen des unbekannten Eigentümers draußen blieben. Dass dies funktionieren kann, hatte Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) bewiesen, als er eine ähnliche Prüfung sowie zwei Kontrollen derselben ohne jedes Blaulicht vollziehen ließ. Spannend werden die Ergebnisse der jetzigen Kontrolle sein. Gravierende Mängel, die eine sofortige Räumung rechtfertigen würden, wurden aber offenbar nicht festgestellt.

Was am Ende bleibt, ist eine gesellschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung, für die sich je­de:r gute Ka­pi­ta­lis­t:in schämen dürfte. Auf der Kostenseite: ein Bezirk im zweitägigen Ausnahmezustand, ein teurer steuerfinanzierter Polizeieinsatz, der mit 79 leichteren und zwei schwereren Verletzungen einherging, sowie die erhebliche Einschränkung der demokratischen Grundrechte in der Demoverbotszone.

Genutzt hat alles dagegen letztlich nur den Profitinteressen einer dubiosen Briefkastenfirma. Die hatte sich zwar sicherlich auch mehr von dem Einsatz erträumt, etwa die Feststellung aller Personalien oder gleich eine Räumung im Affekt. Die Lafone Investments Limited darf dennoch hoffen, dass im Nachklang noch Argumente herausspringen, um die Chao­t:in­nen mitsamt ihren unerklärlichen Wünschen nach einem selbstbestimmten Leben doch noch loszuwerden. Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat bereits Schützenhilfe angekündigt.

Das alles spricht Bände über die staatlichen Prioritäten im Kapitalismus – nicht zuletzt für die Polizeibeamt:innen, die wieder einmal ihren Kopf für anonyme Kapitalinteressen herhalten mussten. Zeitgleich findet der Ausverkauf der Stadt ungehemmt statt; mit allen mittlerweile hinlänglich bekannten sozialen Folgen.

Sollte eine rot-rot-grüne Regierung unter diesen Bedingungen nicht Besseres zu tun haben? Timm Kühn

Zeitgleich findet der Ausverkauf der Stadt ungehemmt statt – mit allen mittlerweile hinlänglich bekannten sozialen Folgen

Timm Kühn zum massiven Polizeieinsatz in der Rigaer Straße

Bitte nicht noch eine Kopie

Grabungen an der Schinkel’schen Bauakademie

Für das Landesdenkmalamt ist die ehemalige Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel derzeit eine überaus erfolgreiche Baustelle. Stolz wurden bei einem Rundgang am Mittwoch die Funde der derzeit laufenden Ausgrabungen präsentiert. Massive Pfeilerreste zeugen davon, dass Schinkels letztes Werk auf einem soliden Fundament stand, und die Terrakottare­liefs weisen auf eine Balance hin zwischen strenger und moderner Geometrie auf der einen Seite und dem Rückgriff auf die Ästhetik der Antike auf der anderen.

Und wie geht es nun weiter? Wenn im Herbst der Wuppertaler Architekturprofessor Guido Spars seine Stelle als Gründungsdirektor der Bundesstiftung Bauakademie antritt, soll es zunächst darum gehen, wozu eine neue Bauakademie eigentlich da sein soll. Erst danach soll es einen Architekturwettbewerb geben.

So stehen wir im Zentrum Berlins noch immer da, wo man schon 2016, also vor fünf Jahren, gelandet war. Damals hatte der Bund 62 Millionen Euro für den Wiederaufbau der Akademie freigemacht. Die Debatte über die Nutzung war voll entbrannt, für 2017 wurde der Architekturwettbewerb in Aussicht gestellt. Passiert ist bislang – nichts. Außer, dass der damals designierte Gründungsdirektor Florian Pronold nach heftigen Protesten aus der Architektenschaft einen Rückzieher machte. Dem ehemaligen SPD-Staatssekretär war vorgeworfen worden, zu fachfremd zu sein, vulgo: von Tuten und Blasen keine Ahnung zu haben.

Mit der Personalie standen auch die Debatten still. Denn geklärt ist bislang weder die Nutzung noch die Architektur. So will Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, aus der Bauakademie am liebsten ein Architekturmuseum machen. Dem widersprach aber schon vor einigen Jahren der Leiter des Architekturmuseums an der TU Berlin, Hans-Dieter Nägelke. Es gebe schon genügend Orte in Berlin, an denen man sich Architektur anschauen könne, sagte er 2017 auf einer Veranstaltung der Berliner Architektenkammer. Nägelke plädierte deshalb für die Bauakademie als ein „Schaufenster für die Baukultur in Deutschland“.

Auch um die Frage, in welcher Gestalt die Bauakademie neu entstehen soll, wird bis heute mit allen Bandagen gerungen. Auf der einen Seite stehen die Vertreter einer historisch genauen Rekonstruktion wie der Architekt Paul Kahlfeldt. „Wenn wir etwas Gutes haben, warum bauen wir das nicht wieder hin?“, sagt er. Wenn man die Bauakademie mit Ziegeln wiederaufbaue, sei das keine Attrappe, so Kahlfeldt, eher so „wie ein Stück von Beethoven, das man heute wieder aufführt“.

Demgegenüber verweisen die anderen darauf, dass Schinkel selbst immer auch das Neue gesucht habe. „Man ehrt Schinkel nicht, wenn man ihn rekonstruiert“, meint etwa der Kunsthistoriker ­Adrian von Buttlar.

Gut möglich, dass die Eröffnung des Humboldt Forums der Architekturdiskussion neuen Schwung verleiht. Natürlich hoffen die Fans eines Nachbaus à la Schinkel pur auf die Nachahmeffekte durch das Preußenschloss. Vorstellbar ist aber auch, dass die Verzögerung bei der Bauakademie eine gegenteilige Reaktion hervorruft. Denn je mehr preußischen Protz man im Schlüterhof einatmet, desto größer ist vielleicht die Abwehrreaktion beim Ausatmen: Bitte nicht noch eine Kopie. Uwe Rada