Bakus Jugend träumt von Europa: In Elvins Welt

Unsere EM-Kolumnistin trifft einen Taxifahrer, einen Büdchen-Besitzer und einen Papierflieger-Experten mit Red-Bull-Erfahrung.

Schlendernde Schüler vor Riesenrad in Baku.

Schlenderndes Jungvolk in Baku: Und der Fußball ist auch immer dabei Foto: REUTERS/Valentyn Ogirenko

Ich stehe vor dem Stadion in Baku und bewundere Elvins Nonchalance. Elvin ist einer der Volunteers, und wie sehr viele junge Männer hier hat er ein Treffen vorgeschlagen. Allein, Elvin hat gerade online mündliche Uni-Prüfung. Das Handy vor der Nase, redet er wechselseitig mit dem Prof und mit mir. Weil es aber doch etwas lästig ist, dass ständig der Prof etwas fragt, verschieben wir das Treffen auf ein paar Stunden später.

Er hat bestanden. Elvin ist in Baku geboren, sein gesamter Habitus ist völlig anders als der des gleich alten Kioskbesitzers vom Dorf, mit dem ich zuletzt unterwegs war. Elvin spricht Englisch, nicht Russisch, und statt pantürkischer Träume will er unbedingt nach Europa. Er klagt über die strengen Gesetze im Land – wer einmal im Knast gesessen habe, habe keine Chance mehr, eine legale Arbeit zu finden. ­Elvin will weg hier. Er will dringend sein Englisch verbessern, und so üben wir.

Die Bude, wo wir sitzen, einer dieser Pizza-Burger-Burrito-Orte am Stadion, kenne ich. Das Essen ist grausam und der Besitzer fantastisch, ein älterer russischsprachiger Mann mit Charme und der Melancholie aus Sowjet­zeiten. Er trägt eines dieser selbst gestochenen Seemanns-Herzen auf dem Arm und weicht mir beim Essen nicht von der Seite. Er ist Bayern-Fan („In Aserbaidschan läuft jedes Bundesliga-Spiel“), schwärmt für Arjen Robben und kritisiert den Kommerz.

Papierfliegen mit Red Bull

„Früher war Fußball anders. Heute haben sie seine Seele verkauft.“ Es ist das erste Mal, dass ich in Baku solche Kritik höre. Mich beschleicht das Gefühl, dass die Älteren anders geprägt sind. Auf dem Weg zum Flughafen spreche ich mit dem alten Taxifahrer, der sehr vehement den Kapitalismus kritisiert. „Früher hatte ich freie Wochenenden, wir haben gelebt, Reiche gab es nicht. Heute gibt es nur zwei Arten von Menschen hier: Oligarchen und Arme.“ Er klagt über die gestiegenen Preise, die Korruption, seine prekäre Arbeit und den Stress. Und schwärmt von alten Zeiten in Sankt Petersburg.

Für Elvin dagegen ist der Fixpunkt im Westen, der große Traum Österreich. Ein Land, das er völlig ironiefrei als Red-Bull-Country bezeichnet. Red Bull nämlich hat ihn einst dorthin eingeladen. An diesem Punkt stellt sich heraus, dass Elvin aserbaidschanischer Meister im Papierflieger-Fliegen ist. Das kam im Wesentlichen, weil er sich dachte, so schwer könne das doch nicht sein, und so schwer war es dann auch nicht. Der Meistertitel, „das war der schönste Moment meines Lebens“.

Der zweitschönste war, dass Red Bull ihn daraufhin zur Weltmeisterschaft nach Salzburg einlud. Es gab sehr viel Rum und Wodka und sehr viel Red Bull, wie viel von jedem pro Nacht, zählt Elvin sehr detailliert auf. Als ich gehe, sagt er noch, er habe zwei Geschenke für mich mitgebracht, eine Linse fürs Handy und einen Kuli. Schreiben und Fotografieren, weil ich ja Journalistin sei. „Der Stift ist deine Waffe“, erklärt er fast feierlich. Und er solle mich erinnern, dass ich einen Freund in Baku hätte. Ich werde Baku vermissen.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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