Morde an Aktivisten im Irak: Töten mit System

Der Irak steht vor einer Parlamentswahl, seit Monaten erschüttern Morde das Land. Die Opfer sind Kritiker der mächtigen Milizen.

Demonstranten tragen Fahnen und ein Plakat mit dem Abbild des getöteten Aktivisten Ihab al-Wasni

Demonstranten mit einem Foto des getöteten Milizen-Kritikers Ihab al-Wasni Ende Mai in Bagdad Foto: Khalid Mohammed/ap/dpa

KAIRO taz | Irgendeine Überwachungskamera zeichnet die Morde fast immer auf. Meist wird jemand am helllichten Tag auf offener Straße vor seinem Haus oder im Auto von einem Exekutionskommando vom Motorrad aus niedergeschossen. Es sind die Bilder, die dann im Fernsehen laufen oder in sozialen Medien verbreitet werden.

Wie die Szenen der politischen Morde im Irak, so ähneln sich auch die Profile der Opfer: Aktivisten oder Journalisten, die öffentlich die Allmacht religiöser Parteien und schiitischer Milizen anprangern, entweder in der Hauptstadt Bagdad oder im Süden des Landes.

Seit 2019, als eine Protestwelle gegen Korruption, Misswirtschaft und Machtmissbrauch durch Milizen und die Regierung das Land erschütterte, wurden bis zu achtzig Aktivisten ermordet. Viele Reformer haben sich inzwischen in die als sicher geltenden kurdischen Gebiete im Norden des Landes oder ins Ausland geflüchtet.

Die irakische Feministin und politische Reformaktivistin Israa Abed ist eine von ihnen. Sie spricht über Internettelefon von ihrem Versteck in den kurdischen Gebieten aus, wo der Arm der vom Iran gesteuerten Milizen wahrscheinlich nicht hinreicht: „Ich habe Drohbotschaften erhalten. Sie kennen meine Nummer, denn sie leben unter uns, geben sich zum Teil sogar selbst als Aktivisten aus“, erzählt sie im Gespräch mit der taz.

Premier zeigte Verständnis für Protest

Mehrere Dutzend Aktivisten würden sich aktuell zwischen den kurdischen Gebieten und Bagdad hin und her bewegen. Für viele sei das Leben in den kurdischen Gebieten zu teuer und das in Bagdad zu gefährlich, sagt Abed. Auf beiden Seiten könnten sie sich nicht allzu lange aufhalten.

Noch Ende 2019 waren viele vor allem junge Aktivisten gegen die grassierende Korruption auf die Straße gegangen. Ihr Ärger richtete sich nicht nur gegen die Zentralregierung in Bagdad, sondern auch gegen die religiösen Parteien und schiitischen Milizen, die für viele zum Inbegriff der Selbstbereicherung und des Postenschacherns geworden sind.

„Durch unsere Proteste haben wir ihnen die religiösen Masken vom Gesicht gerissen“, beschreibt Israa Abed die damalige Zeit des gefühlten Aufbruchs. „Hinter ihrem heiligen Vorhang kam ihr wahres Gesicht zum Vorschein, ihre Korruption, ihre krummen Geschäfte, ihr Stehlen im Namen der Religion.“

Immerhin haben sie erreicht, dass der damalige Ministerpräsident Adel Abdul Mahdi zurücktrat. Wenige Monate später wurde die Protestbewegung von der Coronapandemie ausgebremst. Auch der bis heute regierende Premier Mustafa al-Kadhimi, der bei Amtsantritt seine Sympathie für die Protestbewegung ausdrückte, hat wenig an dem verrotteten politischen System verändert.

Milizen schalten Kritiker aus

Mehr oder wenig machtlos sieht al-Kadhimi zu, wie die Milizen ihre Kritiker ausschalten. Erst letzten Monat wurde Ihab al-Wasni, einer der Organisatoren der Proteste, in der schiitischen Stadt Kerbala erschossen. Weniger als 24 Stunden später fiel der Journalist Ahmad Hassan in der ebenfalls mehrheitlich schiitischen Stadt Diwanija einem Mordanschlag zum Opfer.

In einer nach dem Mord an al-Wasni veröffentlichten Telefonaufzeichnung zwischen al-Wasni und Fahem al-Taie, einem weiteren Kritiker der Milizen, hatten beide die Befürchtung ausgesprochen, dass sie demnächst selbst an der Reihe sein könnten. „Einer der Miliz-Kommandanten, Qassem Musleh, wird kommen, um unsere Knochen zu brechen“, sagten sie. Kurze Zeit nach dem Gespräch waren beide tot, auf offener Straße erschossen. Die Aufzeichnung verbreitete sich in sozialen Medien im Irak wie ein Lauffeuer.

„Er ist ein Mörder, Musleh ist ein Teil der iranischen Killermaschine, die im Irak ihr Unwesen treibt“, sagt Israa Abed. Musleh, einer der Kommandanten der schiitischen Volksmobilisierungseinheiten, einer Schirmorganisation schiitischer Milizen, die 2014 gegründet worden war, um den Islamischen Staat (IS) zu bekämpfen, wurde inzwischen festgenommen – ein Politikum, denn seine Miliz ist eng mit dem irakischen Sicherheitsapparat verwoben.

Musleh wird vorgeworfen, gegen die irakischen Antiterrorgesetze verstoßen zu haben. Jedoch glauben nur wenige Iraker, dass er tatsächlich auch zur Rechenschaft gezogen wird. Zu mächtig seien seine Beschützer im Regierungs- und Sicherheitsapparat.

Wahl im Oktober

Musleh ist kein Einzelfall: Laut einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Bericht der UN-Mission in Bagdad wurden im Zusammenhang mit den Aktivistenmorde zwar zahlreiche Untersuchungen angeleiert. Sie liefen aber allesamt ins Leere. Kein einziger der Morde hat bislang zu einem Gerichtsprozess geführt oder gar zu einer Verurteilung.

Wie sich das alles auf die für Oktober angesetzte Parlamentswahl auswirken wird, ist unklar. Unter Aktivisten im Irak wird kontrovers diskutiert, ob es klug ist, die Abstimmung zu boykottieren. „Wir haben nicht nur ein Problem mit den Mördern, sondern mit dem gesamten politischen System“, sagt Abed.

Auf Dauer aber werde die Politik der Einschüchterung durch politische Morde nicht aufgehen. „Wir bleiben wie ein Messer in ihrem Fleisch. Wir werden nicht still bleiben. Wir ordnen nur unsere Karten neu, schließen unsere Ränge und warten auf unsere Chance“, sagt Abed oder hofft sie, während sie sich irgendwo im kurdischen Nordirak vor ihren potenziellen Mördern versteckt.

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