Neue Gewalt im Ostkongo: Kriegsrecht bringt erst mal Krieg

Mindestens 65 Menschen sterben im Ostkongo beim einem blutigen Massaker. Die Provinz Ituri, wo Rebellen der ADF nun aktiv sind, versinkt in Gewalt.

Kongolesische bewaffnete Soldaten stehen am Straßenrand

Kongolesische Soldaten in der Provinz Nord-Kivu, einem der Gewalt-Brennpunkte im Ostkongo Foto: Olivia Acland/reuters

BERLIN taz | Erst waren es drei Tote. „Die Suche dauert an, um weitere Leichen im Busch zu finden“, berichtete am Montagmorgen Gili Gotabo, Koordinator des zivilgesellschaftlichen Dachverbands des Distrikts Irumu in der ostkongolesischen Provinz Ituri über den nächtlichen Überfall in der Kleinstadt Boga, wo 26.000 Kriegsvertriebene schutzlos leben. Einen weiteren Toten gebe es im Nachbarort Tchabi.

Einige Stunden später waren es schon 39 Tote. Dann 50. Dann 65. Es ist damit die blutigste Nacht im Ostkongo dieses Jahr. Ituri und Nord-Kivu sind seit dem Amtsantritt von Kongos Präsident Félix Tshisekedi 2019 die wichtigsten Brennpunkte von Gewalt in der Demokratischen Republik Kongo. Von den laut UN 5,2 Millionen Binnenvertriebenen des Landes entfallen auf diese beiden Provinzen 3,5 Millionen, rund ein Drittel ihrer Gesamtbevölkerung.

Die mörderischste bewaffnete Gruppe ist die ursprünglich ugandische ADF (Allied Democratic Forces) im Gebiet um Beni in Nord-Kivu. Sie hat ihre Aktivitäten nach Ituri ausgeweitet – ihre Rückzugsgebiete sind die dichten Wälder im Grenzgebiet der beiden Provinzen. Nach UN-Angaben hat die ADF in Ituri im Jahr 2020 mindestens 849 Menschen getötet. Auch für das neue Massaker wird sie verantwortlich gemacht.

Wer kann, greift zu den Waffen

Angesichts hartnäckiger Verdächtigungen, dass Teile der Armee mit der ADF unter einer Decke stecken, haben sich unzählige lokale Milizen zur Selbstverteidigung gebildet. Sie rekrutieren auf ethnischer Grundlage und lassen damit alte Feindschaften aus den Kongokriegen vor zwanzig Jahren wieder aufleben.

Eine Karte der Demokratischen Republik Kongo mit der Markierung der Kleinstadt Boga im Osten des Landes

Foto: taz

Im April erreichten die Massaker der Miliz FPIC (Patriotische Integrationistische Kräfte des Kongo) Außenviertel der Provinzhauptstadt Bunia. Die FPIC rekrutiert sich aus der Lendu-Volksgruppe und macht Jagd auf Hema – schon vor zwanzig Jahren war das die Hauptkonfrontationslinie in Ituri. Im Süden Ituris um Boga wiederum lassen sich immer mehr Nande und Hutu nieder, die zwei größten Volksgruppen der Nachbarprovinz Nord-Kivu, deren Politiker dort miteinander verfeindet sind.

Während die ADF in Nord-Kivu als Miliz ugandischer Nande gilt, wird sie in Ituri als Speerspitze einwandernder Hutu bewertet. Diese hält man pauschal für Fremde aus Ruanda. Mehrere traditionelle Führer der Region um Boga und Tchani wurden bereits getötet, weil sie Land an Hutu verkauft hatten.

Dieser Wirrwarr macht deutlich, wieso das Kriegsrecht, das Kongos Präsident Félix Tshisekedi am 30. April über Ituri und Nord-Kivu verhängte und das seit 6. Mai gilt, noch nichts gebracht hat. Es wurden nicht nur neue Militärgouverneure und Militärbürgermeister ernannt, auch die gesamte Kommandoebene der Armee wurde umbesetzt.

Das bringt zunächst vor allem Unordnung – und ein Machtvakuum dort, wo die Armee nicht präsent ist und wo die zivilen Autoritäten jetzt nicht wissen, ob sie eigentlich noch im Amt sind. Jeder, der kann, greift nun zu den Waffen.

In Nord-Kivu monopolisiert der Ausbruch des Nyiragongo-Vulkans am 22. Mai alle Aufmerksamkeit. In Ituri will Militärgouverneur Johnny Luboya die ADF gnadenlos bekämpfen, wie er sagt – aber aktuell schlägt nicht die Armee zu, sondern die ADF. Derweil beklagen in Ituris Hauptstadt Bunia Zivilisten Übergriffe von Soldaten im Namen des Kriegsrechts. Lonema Vadjeru, Präsident des Honoriatorenverbands von Ituri, äußerte vor wenigen Tagen Enttäuschung über Untätigkeit gegen Milizen und sagte: „Wir stellen fest, dass das Banditenwesen in Bunia blüht und dass die Milizen ihre Aktivitäten in Anwesenheit der Militärbehörden wieder aufgenommen haben.“

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