LGBTQ in Russland: Heimlich ausgewiesen

Nazar Gulewitsch, trans, wird direkt nach seiner Entlassung aus russischer Haft nach Belarus abgeschoben. Nicht einmal seine Frau darf er kurz sehen.

Ein POlizeibeamter vor Regenbogenfahne

Ein Polizeibeamter bei der „X St Petersburg Pride“ im August 2019 Foto: Anton Vaganov/reuters

BERLIN taz | Die russischen Behörden können Vollzug melden: Nazar Gulewitsch ist am Donnerstag unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Haft nach Belarus abgeschoben worden. Das berichtete der Pressesprecher des Russischen LGBTQ-Netzes, Tim Beszwet, gegenüber dem russischen Onlineportal insider.ru. Laut Beszwet soll Gulewitsch, der trans ist, einen Anwalt des russischen LGBTQ-Netzes selbst darüber informiert haben.

Demnach sei der 38-Jährige bereits gegen 13 Uhr zur belarussisch-russischen Grenze gebracht worden. Auf dem Weg dorthin sei er von einem Konvoi begleitet und gezwungen worden, mehrere Dokumente zu unterschreiben. Zudem hätten ihn Polizisten bedroht. Die ganze Zeit über habe er nicht telefonieren und mit seinem Anwalt sprechen dürfen, auch ein Gang auf die Toilette sei ihm verweigert worden.

Beszwet zufolge habe der Chef der Migrationsbehörde (UWM) bei einem Treffen mit dem Anwalt Fragen zum derzeitigen Aufenthaltsort von Gulewitsch nicht beantwortet. Der Prozess der Abschiebung habe begonnen, habe es lediglich geheißen.

Zuvor hatte ein Mitarbeiter der Föderalen Strafvollzugsbehörde (FSIN) Gulewitschs Ehefrau mitgeteilt, dass dieser um 12 Uhr freigelassen werde. Nach Angaben des Leiters der Haftanstalt sei die Freilassung jedoch bereits um 9 Uhr erfolgt. „Das Innenministerium hält das Thema Rechte von LGBTQ-Personen für toxisch. Deshalb wurde alles versucht, um Nazar vor den Augen der Öffentlichkeit zu verstecken und die Deportation heimlich durchzuführen“, sagte der Jurist Aleksandr Belik gegenüber insider.ru.

Neuer Pass

Gulewitsch ist belarussischer Staatsbürger. 2004 unterzieht er sich in Minsk einer ersten geschlechtsangleichenden Operation, bei der beide Brüste entfernt werden. Er bekommt einen neuen belarussischen Pass, der auf seine neue Identität ausgestellt wurde, leistet seinen Wehrdienst ab und geht nach Moskau. Dort wird er 2018 festgenommen. Angeblich soll er sich als Direktor einer Firma widerrechtlich eine Immobilie angeeignet haben.

Mit der Festnahme beginnen für Gulewitsch ein Leidensweg und eine Odyssee der besonderen Art. Denn kein Gefängnis fühlt sich für ihn als Trans*­per­son zuständig. Am 27. Juli 2020 wird er wegen Betruges zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt hat Gulewitsch bereits verschiedene Haftanstalten hinter sich. In einer davon heiratet er seine Freundin.

Schließlich landet er vor wenigen Wochen im Gefängnis Nr. 1 der russischen Stadt Twer. Die meiste Zeit sitzt er in Einzelhaft, auch in Twer verbüßt er den Rest seiner Strafe im Karzer – aus Sicherheitsgründen, wie es offiziell heißt. Einmal versucht Gulewitsch auch, sich das Leben zu nehmen.

Bereits am 6. Mai informiert Tatjana Sucharewa, Menschenrechtlerin und juristischer Beistand von Gulewitsch, über dessen geplante Abschiebung nach Belarus sowie ein achtjähriges Einreiseverbot nach Russland als „unerwünschte“ Person. Das seien schwerste Menschenrechtsverletzungen, so Sucharewa. Sie kündigt an, gegen diese Entscheidung juristisch vorgehen zu wollen.

Ob ihr das gelingen und ob es etwas bewegen wird, ist genau so wenig klar wie das weitere Schicksal von Nazar Gulewitsch. „Nazar ist jetzt in Belarus aufgetaucht, am Rande der Straße, ohne Gewissheit darüber, wie und wo er hingehen soll“, hieß es am Donnerstag in einer Stellungnahme des Russischen LGBTQ-Netzes.

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Mehr Geschichten über das Leben in Belarus: In der Kolumne „Notizen aus Belarus“ berichten Janka Belarus und Olga Deksnis über stürmische Zeiten – auf Deutsch und auf Russisch.

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