Ausbildung während Corona: SOS bei den Pflege-Azubis

Die Pandemie hat Pflegekräfte besonders gefordert, viele überlegen, den Beruf zu verlassen. Doch wie geht es denen, die noch in der Ausbildung sind?

Pflegeschülerin wickelt ein Bein mit Thrombose-Verband

Verbinden will gelernt sein: Eine Pflegeschülerin übt am Beim einer Mitschülerin Foto: Jens Büttner/dpa

Carla Meyerbach hatte gerade wieder ein paar Wochen Theorie­unter­richt. Wie bei vielen anderen Schü­le­r:in­nen heißt das derzeit immer noch: Onlineunterricht am Computer zu Hause. Und wie bei vielen anderen funktioniert nicht immer alles reibungslos. „Neulich war die Niere Thema, aber die Seite zum Lernen hat bis zum Schluss nicht funktioniert“, erzählt sie. Die Auszubildenden müssen das Thema nun eigenverantwortlich nachholen.

Viele Azubis mussten anpacken wie examinierte Pflegekräfte

Meyerbach ist in ihrem zweiten Ausbildungsjahr zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Sie lernt in einer Klinik in Norddeutschland und heißt eigentlich anders, möchte ihren richtigen Namen aber lieber nicht veröffentlicht wissen. Die Pandemie hat für sie vieles verändert. Wichtige praktische Übungen, wie rückenschonendes Arbeiten oder Blutentnahme an Puppen, die die Auszubildenden sonst in der Schule machen, sind in den letzten Monaten ausgefallen.

Sie habe manchmal das Gefühl, weniger Erfahrungen sammeln zu können, sagt Meyerbach. Der normale Krankenhausalltag hat in den vergangenen Monaten kaum stattgefunden. Monatelang arbeitete sie auf einer Coronastation. Die Abteilung, in der sie eigentlich für einen Ausbildungseinsatz eingeplant war, war kurzerhand dazu umfunktioniert worden. Das Arbeitsklima in der Klinik habe sich verändert, sagt sie. „Viele sind gestresst, nicht nur die examinierten Pflegekräfte.“

Auch der Tod spiele eine größere Rolle. „Es passieren so viele schlimme Sachen, so viele Todesfälle“, sagt Meyerbach. „Man müsste eigentlich auf die Auszubildenden eingehen, sie fragen, ob sie darüber reden möchten, aber dafür ist keine Zeit.“ Ein Seminar zum Thema Tod und Sterben konnte nur online stattfinden. Normalerweise wären Kerzen angemacht worden, jetzt seien die Kameras aus gewesen und niemand habe sich getraut, etwas zu sagen, berichtet Meyerbach.

8,2 Prozent mehr als im Vorjahr

Sie hat ihre Ausbildung im November 2019 begonnen, bis zum Beginn der Pandemie blieben ihr nur ein paar Monate. Rund 71.300 Menschen starteten im selben Jahr die Ausbildung in der Altenpflege, der Kranken- oder der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Das waren 8,2 Prozent mehr als im Vorjahr.

Das klingt nach guten Nachrichten. Der Fachkräftemangel in dem Bereich ist enorm, die Zahl der Pflegebedürftigen steigt und steigt von Jahr zu Jahr. Die Bundesregierung hat auch deshalb unter anderem eine Ausbildungsoffensive gestartet. Der Pflegeberuf soll aufgewertet werden, es soll mehr Auszubildende in diesem Bereich ­geben. Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung von Pflegekräften sollen sich verbessern.

Das ist auch nötig, schließlich ist nicht nur wichtig, dass viele einen Pflegeberuf lernen. Die Auszubildenden sollen die Ausbildung möglichst auch abschließen und lange im Beruf bleiben. Beides ist nicht selbstverständlich.

Umfragen zeigen immer wieder, dass Pflegekräfte darüber nachdenken, den Beruf zu verlassen. Aktuelles Beispiel ist eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin unter Mit­ar­bei­te­r:in­nen der Intensivstationen, Notaufnahmen und Rettungsdienste aus dem April. Knapp ein Drittel der Befragten gab an, den Beruf in den nächsten zwölf Monaten auf­geben zu wollen – drei Viertel davon aufgrund der Belastungen durch die Corona­pandemie.

Viele berichten von Überforderung

Die zusätzlich verschlechterten Arbeitsbedingungen betreffen auch die Auszubildenden. Die Bundespflegekammer und der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung warnten in den vergangenen Monaten, dass seit Beginn der Pandemie mehr Auszubildende die Ausbildung abbrechen. Viele Auszubildende berichten von Überforderung.

Auch Nico Baumann sagt, dass die Auszubildenden oft genauso anpacken müssen wie ­examinierte Fachkräfte. Dass die Auszubildenden dieselbe Qualität der Ausbildung genießen wie vor der Pandemie, glaubt er nicht. Der 24-Jährige hat im August 2019 sein Examen zum Gesundheits- und Krankenpfleger gemacht und ist Vorsitzender der Konzern- Jugend-und-Auszubildenden-Vertretung der Helios-Kliniken.

Zu Beginn der Pandemie erreichten ihn viele Anrufe von Auszubildenden. Manche hätten sich gemeldet, weil ihre Ausbildungspläne ohne Mitbestimmung verändert wurden, andere hätten moralische Unterstützung gebraucht, erzählt er.

Einige Auszubildende seien in einem Krankenhaus auch abgestellt worden, um die Be­su­cher:innen der Klinik auf Erkältungssymptome hin zu kontrollieren. Zu der Zeit gab es noch kein Besuchsverbot. Er habe sich dann dafür eingesetzt, dass das nicht mehr passiert. „Auszubildende haben schon genug dazu beigetragen, das alles läuft“, sagt er. „Allein schon, weil die praktischen Teile der Ausbildung verlängert wurden und sie damit als billige Arbeitskraft zur Verfügung standen.“

Auch das Examen wohl anders

Es werde durchaus versucht, die Ausbildung, so gut es geht, aufrechtzuerhalten, sagt er. Dennoch bleibe die Praxis­anleitung auf der Strecke. Praxis­­­anleiter:innen zeigen Auszubildenden während ihrer praktischen Einsätze beispielsweise, wie sie korrekt einen bestimmten Verband wechseln oder Katheter legen können. Mit dem neuen Pflegeberufe­gesetz von 2020 wurde festgelegt, dass 10 Prozent der Ausbildung Anleitungszeit sein soll. Dass diese Zahl immer eingehalten werden kann, scheint aber unwahrscheinlich.

Und auch das Examen ist für viele wohl anders als sonst. Manche Auszubildende konnten ihr praktisches Examen nicht wie normalerweise mit echten Pa­ti­en­t:in­nen machen, sondern mussten auf Puppen ausweichen. Bei anderen waren die Patient:innen, mit denen sie eigentlich das Examen machen sollten, am nächsten Tag nicht mehr da, weil ihre Examens­station zur Corona­station wurde.

Eine Analyse der Professorin für Pflegewissenschaft, Uta Gaidys, von der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften, lässt darauf schließen, dass viele Auszubildende solche Erfahrungen gemacht haben. Gaidys und ihre Kolleginnen haben in verschiedenen Phasen der Coronapandemie Pflegekräfte zu ihren Erfahrungen befragt und die darin enthaltenen Angaben von rund 200 Auszubildenden und Studierenden der Pflege, die diese während der zweiten Welle gemacht haben, gesondert betrachtet.

In ihrer Untersuchung, die noch von unabhängigen Wis­sen­­schaftler:innen begutachtet wird, beschreiben die Autorinnen, dass die Auszubildenden die Auswirkungen der Pandemie, wie den Personalmangel, nicht nur spüren, sondern diesen auch aktiv kompensieren müssen. „Die meisten Studienteilnehmenden erleben Ausbildungsdefizite und wenig Anleitung, müssen Verantwortung übernehmen, auch über die eigenen Kompetenzen hinaus, und fühlen sich davon überfordert“, sagt Gaidys.

Die Qualität leidet

Die Pflegewissenschaftlerin betont, dass in den Antworten durchaus auch positive Gefühle zu lesen sind, beispielsweise der Stolz, dazu beizutragen, die Krise der Pandemie bewältigen zu können und Dankbarkeit zu erfahren.

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Die Erfahrungen von examinierten Pflegekräften und Auszubildenden sind laut Gaidys sehr ähnlich. „Die Auszubildenden haben aber weniger Ressourcen, mit der Belastung und den Ängsten umzugehen“, sagt sie. „Sie sind noch jung und haben weniger Erfahrung.“

Die Entwicklung seit der Pandemie besorgt sie sehr, denn genau wie viele Pflegende befürchtet sie eine Deprofes­sio­nalisierung des Berufs, weil die Qualität der pflegerischen Versorgung leidet. Und als Lehrende an der Fachhochschule sehe sie, dass die Qualität der Leistungen der Studierenden schlechter geworden sei. „Die Pandemie bedeutet, dass die Auszubildenden schlechter vorbereitet in den Beruf gehen“, sagt Ute Gaidys. „Deswegen ist unsere Schlussfolgerung, dass wir auch während der Berufstätigkeit Schulungen und Fortbildungen brauchen.“

Carla Meyerbach hat keine Angst, schlechter ausgebildet zu sein. Sie will den Stoff nachholen, auch wenn das stressig wird. Sie sei sich aber auch bewusst, dass das für manche schwierig werden könnte. Um ihr Examen sorgt sie sich noch nicht, das steht erst Ende 2022 an. „Ich bin immer noch guter Hoffnung, dass Corona dann vorbei ist“, sagt sie.

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