Liebe deine Feindbilder

Die CDU-Fraktion konstruiert faktenfrei einen Zusammenhang zwischen einem Transparent, der Gefahr, die vom Linksextremismus ausgeht, und einer vermeintlichen rot-grün-roten Blindheit für diese

Rebellen überall: Die Konrad-Adenauer-Stiftung dokumentiert ein Transparent an der Buchte Foto: KAS

Von Eiken Bruhn

Das Schöne an Feindbildern ist, dass man sie dort aufhängen kann, wo es einem gerade passt. Was einigen Linken „der Staat“ oder „die Bullen“ sind, sind der CDU „die Autonomen“ oder „die Linksextremisten“. So kann sie sich gut als Hüterin der inneren Sicherheit gerieren, die nicht-extreme Nor­mal­bür­ge­r*in­nen vor gefährlichen Rändern schützt. Vor allem im Vorwahlkampf findet sich ein Plätzchen für das Feindesbild. Vielleicht ist das die plausibelste Erklärung dafür, warum die CDU-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft die Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichts für einerseits persönliche Angriffe auf die grüne Sozialsenatorin Anja Stahmann nutzt – und andererseits, um der rot-rot-grünen Koalition zu unterstellen, auf dem linken Auge blind zu sein.

Der Reihe nach: Am Donnerstag stellte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) den Verfassungsschutzbericht fürs vergangene Jahr vor. Darin wird auf 21 Seiten beschrieben, wie Rechts­ex­tre­mis­t*in­nen morden, Andersgesinnte angreifen und gezielt versuchen, den Staat zu unterhöhlen, indem sie sich in der Exekutive wie Polizei und Bundeswehr vernetzen. Mit dem Ziel, einen Staat zu errichten, in dem Vielfalt und die freie Entfaltung des Individuums keinen Platz haben. Da kann einem angst und bange werden, selbst wenn der Verfassungsschutz keine Kenntnis darüber hat, dass Bremen eine besondere Hochburg des Rechtsextremismus wäre.

Aber das ist offenbar nichts, worüber sich die CDU-Fraktion sorgt. Denn sie pickt sich die 21 Seiten heraus, die der Verfassungsschutz über den Linksextremismus geschrieben hat. Diese zeigen auf, wie verschiedene Gruppierungen versuchen, sich dem Ziel einer klassenlosen und herrschaftsfreien Gesellschaft zu nähern. Zunehmend unter Einsatz von Gewalt, auch in Bremen. Das stellte der Innensenator im Titel der Pressemitteilung für die Berichtvorstellung heraus: „Linksextremistische Szene nimmt eine gefährliche Entwicklung“.

Die CDU konstruiert daraus, dass Bremens linke Regierung das Problem des Linksextremismus bisher ignoriert hätte und erst jetzt der „Innensenator endlich Farbe“ bekenne. Das ist eine mehr als steile These. Denn jeder Verfassungsschutzbericht seit 2008 – dem Amtsantritt Mäurers als Innensenator – benennt ja die Gefahren des Linksextremismus. „Linksextremisten sind kein Phänomen vergangener Jahrzehnte, sondern spielen auch heute noch eine nicht zu unterschätzende Rolle“, heißt es etwa 2008. Oder 2019: „Im Bereich des Linksextremismus ließ sich im vergangenen Jahr eine quantitative Steigerung der Militanz feststellen.“ Dies sei „besorgniserregend“.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung schlägt wegen eines Transparents Alarm

Auch gibt es einen Grund, warum die jüngeren Verfassungsschutzberichte dem Linksextremismus eine größere Aufmerksamkeit geben als die der Vorjahre: Die Militanz hat stark zugenommen. „Insgesamt 51 Sachbeschädigungen und Brandanschläge auf Fahrzeuge und Gebäude“ verzeichnet der aktuelle Bericht, „nach 31 solcher Taten im Vorjahr“, was damals ebenfalls als „Höhepunkt“ dargestellt wurde.

Genau diese Entwicklung, die bundesweit beobachtet werden kann, hätte laut CDU-Fraktion verhindert werden können. Nur wie? Das steht nicht in ihrer Pressemitteilung. Der darin zitierte innenpolitische Sprecher Marco Lübke ist auf einer Familienfeier, deshalb muss die Pressesprecherin der CDU-Fraktion nach Rücksprache mit ihm seine Position erklären. „Es ist wichtig, dass der Innensenator sich so klar geäußert hat, davon geht eine Signalwirkung aus“, sagt sie. Und dass Lübke erwarte, dass linksextremistische Gruppen genau so verfolgt, beobachtet und gegebenenfalls verboten würden wie rechtsextremistische.

Das ist nun aber genau das, was Bremens SPD-Innensenator und seine Dienststellen machen. Sonst gäbe es weder verfolgte Straftaten noch Einträge im Verfassungsschutzbericht. Wie praktisch, dass es noch Koalitionspartner gibt. Wie oberpraktisch, dass die grüne Sozialsenatorin Anja Stahmann vor über 20 Jahren mal bei der Naturfreundejugend gearbeitet hat. Dem Verein gehört „die Buchte“, ein rosarot gestrichener Altbau in der Buchtstraße. In dem selbst organisierten Gebäude in bester Innenstadtlage treffen sich verschiedene Gruppen, darunter einige, die sich dem Antifaschismus verschrieben haben.

Derzeit hängt ein Transparent an der Fassade, das „Freiheit für Lina!“ fordert. Gemeint ist eine 26-jährige Studentin, der die Bundesanwaltschaft die Bildung einer linksextremen kriminellen Vereinigung vorwirft. Sie befindet sich seit November in Untersuchungshaft. Auf dem Transparent steht zudem ein Spendenaufruf für die Rote Hilfe samt Kontodaten. Die Rote Hilfe unterstützt Linke, wenn gegen diese wegen ihrer politischen Aktivitäten ermittelt wird oder sie sich vor Gericht verantworten müssen. Im aktuellen Bremer Verfassungsschutzbericht heißt es über den Verein, er habe eine „stabilisierende Funktion für die gewalt­orientierte linksextremistische Szene“.

Das Transparent hatte die CDU-Fraktion bereits am Mittwoch skandalisiert, nachdem die Konrad-Adenauer-Stiftung Alarm geschlagen hatte. „Die Sozialsenatorin finanziert in Bremen ganz offensichtlich einen Jugendverein, der Kinder und Jugendliche dazu bringt, linksextreme Straftäterinnen zu unterstützen“, hieß es in einer Pressemitteilung. Dies zu verhindern, sollte gerade ihr als ehemaliger Mitarbeiterin „ein besonderes Anliegen sein“. Hier schließt sich der Kreis zum Verfassungsschutzbericht. Denn das Transparent dient der CDU als Beleg der „rot-rot-grünen Verharmlosung der linken Szene als tolerable Jugendkultur“. Damit müsse „endlich Schluss sein“.