AfD vor Landtagswahl Sachsen-Anhalt: Der müde Sturm

Die AfD in Sachsen-Anhalt wirkt verbraucht, punkten will sie mit schrillen Positionen. Ihr Spitzenmann ist ein Ex-Schrottautohändler.

Teilnehmer einer Kundgebung der AfD stehen auf dem Marktplatz Weißenfels

Zieht keine Massen auf den Marktplatz – AfD-Kundgebung in Weißenfels am 20. Mai Foto: Sebastian Willnow/dpa

DRESDEN taz | Die Wahlkampfauftritte der AfD Sachsen-Anhalt lassen nicht gerade eine 20-Prozent-Partei vermuten, eher eine „Altpartei“. Ihrer Ignoranz gegenüber der Pandemie folgend, hält sie am traditionellen Straßenwahlkampf fest. Doch auf den Markt in Weißenfels sind vor wenigen Tagen nur hundert Anhänger gekommen, in Magdeburg kaum mehr. Auch der angekündigte große Apokalyptiker und Rechtsaußen Björn Höcke erscheint nicht.

Umso lauter brüllt heiser und im Führerduktus der stellvertretende Landesvorsitzende Hans-Thomas Tillschneider. Revolutionäre Aufruhrstimmung erzeugt er in Weißenfels damit auch nicht gerade. Die heterogene Anhängerschaft scheint nur gekommen, um ihre schlechte Laune gemeinschaftlich zu zelebrieren.

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„Wir sind nicht verpflichtet, alle Hungerleider dieser Welt durchzufüttern“, hetzt Tillschneider, in grüner Trachtenjacke mit Hornknöpfen. „Unser Geld für unser Volk!“ Und wenn er Verständnis für alle Impfverweigerer bekundet, folgt er den ersten acht Seiten des AfD-Landtagswahlprogramms, das Kritiker der Coronaschutzmaßnahmen einzufangen versucht.

Tillschneider, promovierter Islamwissenschaftler und strammer Nationalist, ist in der Landtagsfraktion und Landespartei Sachsen-Anhalt der eigentliche Scharfmacher. Der 43-Jährige wird seit dem Vorjahr vom Verfassungsschutz mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht.

Bismarck und Hindenburg als Vorbild

Er war Mitglied der Patriotischen Plattform der AfD, pflegt Kontakte zu den Identitären, zu Burschenschaften, zur Ein-Prozent-Bewegung, zu Pegida, zum Compact-Magazin oder dem Antaios-Verlag von Götz Kubitschek. Aber Tillschneider ist nicht der Spitzenkandidat seiner Partei zu den bevorstehenden Landtagswahlen. Möglicherweise könnten sich gutbürgerliche Unzufriedene von seiner Radikalität abgeschreckt fühlen.

Auch der AfD-Landeschef Martin Reichardt steht nicht auf Platz eins, sondern will wieder in den Bundestag. Als Spitzenkandidat wurde der eher hausbackene 54-jährige KfZ-Mechaniker Oliver Kirchner nominiert. Aber auch er unterzeichnete 2015 die „Erfurter Resolution“, mit welcher der völkisch-nationalistische „Flügel“ der AfD seinen Weg zur Beherrschung der gesamten Partei antrat.

Kirchners Idole sind die früheren Reichskanzler Bismarck und Hindenburg, wie die Dekoration seines Landtagsbüros zeigt. Bis zum Einzug in den Landtag 2016 handelte der gebürtige Magdeburger noch mit Schrottautos, legte dann aber eine steile politische Karriere hin. Er verdankt sie dem Zerwürfnis des früheren Partei- und Fraktionschefs André Poggenburg mit der AfD 2018, der daraufhin den inzwischen bedeutungslosen „Aufbruch Deutscher Patrioten“ gründete. Zwei Jahre zuvor hatte dieser die AfD noch zum Sensationswahlergebnis von 24,3 Prozent geführt.

Die radikalsten Kreise der Landes-AfD desertierten aber nicht zu Poggenburg, sondern blieben. Darunter auch Kirchner, der zu dessen Nachfolger an der Spitze der Landtagsfraktion aufstieg. In der letzten Landtagssitzung vom April verteidigte Kirchner übrigens den nun fraktionslosen Poggenburg, als der von Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch gemahnt wurde, endlich zur Sache zu reden.

Extremes Personal und extreme Inkompetenz

Im Wahlkampf scheint Kirchner Kreide gefressen zu haben. In Fragerunden von Rundfunk und Printmedien gibt er sich Mühe, anschlussfähig an die Mitte zu wirken. Natürlich wettert er gegen die „Rotationseuropäer“, also die Sinti und Roma im Magdeburger Norden, gegen den „linksradikalen“ Miteinander e.V. und sieht im Synagogen-Attentäter von Halle einen Einzeltäter. Aber er interpretiert Höckes Holocaust-„Denkmal der Schande“ auch als Erinnerung an die „Schande, die Deutschland auf sich geladen hat“, sieht in Juden „Menschen wie wir“ und räumt ein, dass die AfD eine „männergeprägte Partei“ sei.

Solche Köder können freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Landesverband Sachsen-Anhalt mit zuletzt 1.366 Mitgliedern als einer der radikalsten in der AfD gilt. Ein Blick in das in rüdem Ton gehaltene Wahlprogramm lässt ahnen, warum ihn das Landesamt für Verfassungsschutz im Januar dieses Jahres als rechtsextremen Verdachtsfall eingestuft hat.

„Die AfD bekennt sich ausdrücklich zum Recht, Waffen zu besitzen“, lautet einer dieser Wildwest-Sätze, die an den nur knapp gescheiterten Bewaffnungsantrag auf dem Dresdner Bundesparteitag erinnern. Die Landeszentrale für Politische Bildung soll abgeschafft und durch ein „Landesinstitut für staatspolitische Bildung und kulturelle Identität“ ersetzt werden. Gleichstellungspolitik speziell an Universitäten gilt der AfD als Teufelszeug, „denn sie arbeitet mit der systematischen Privilegierung von Frauen und diskriminiert gezielt Männer“.

Der Satz „Kunstfreiheit ist kein Anspruch, jeden Schund gefördert zu bekommen“ zielt auf Neue Musik oder Theater, denen die so genannte Alternative die Förderung halbieren oder komplett streichen will. Ausdrücklich nimmt sie sich dabei die Gleichschaltung von Kultur und Medien im Orban-Ungarn zum Vorbild.

Für solches Getöse war die AfD in der ablaufenden Legislaturperiode auch im Landtag berüchtigt und kassierte 16 der insgesamt 18 Ordnungsrufe. Hinter den Kulissen in den Ausschüssen sah es nach Beobachtungen des Politikwissenschaftlers Michael Kolkmann von der Uni Halle-Wittenberg hingegen viel dürftiger aus: „Sacharbeit findet praktisch nicht statt.“

Ungeachtet des extremen Personals und dessen extremer Inkompetenz hat der AfD-Bundesvorsitzende Meuthen für den Wahltag am 6. Juni die Entscheidungsschlacht propagiert, um erstmals stärkste Kraft in einem Bundesland zu werden. Genau dieses Ziel aber könnte, wie 2019 in Sachsen, Wähler abschrecken und zur CDU zurückführen. In Umfragen liegt die AfD derzeit bei 20 Prozent und damit hinter dem Schockergebnis von 2016. Aber spätestens seit jenen 12,9 Prozent, welche die rechtsextreme DVU 1998 aus dem Stand bei der Landtagswahl erreichte, gelten die Wähler in Sachsen-Anhalt als die unberechenbarsten in Deutschland.

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Am 06. Juni 2021 hat Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag gewählt. Die CDU wurde mit deutlichem Abstand zur AfD stärkste Kraft.

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