Impf-Kampagne für Geflüchtete: Impfen gegen die Angst

In den Unterkünften ist das Coronarisiko hoch und die Impfquote unterirdisch. Der Flüchtlingsrat startet deshalb eine Social-Media-Kampagne.

Eine Frau im Arztkittel steht vor einer Kamera mit Teleprompter.

Kurze Videos beantworten die häufigsten Fragen Foto: Flüchtlingsrat Niedersachsen/Future III

HANNOVER taz | Die Idee ist so bestechend simpel, dass man sich fragt, warum das nicht längst einer gemacht hat: Mit einer Social-Media-Kampagne unter dem Hashtag #weexplainforeveryone geht der Flüchtlingsrat Niedersachsen jetzt an den Start. Ärzt*innen, die selbst eine Mi­grationsgeschichte haben, erklären darin in 16 Sprachen, warum es wichtig ist, sich impfen zu lassen.

Denn die Impfquoten in den meisten Unterkünften für Geflüchtete sind miserabel: Bei 20 bis 30 Prozent liegen sie immer noch – obwohl die Be­woh­ne­r*in­nen von Gemeinschaftsunterkünften ein erheblich höheres Risiko haben, sich zu infizieren und schwere Krankheitsverläufe zu entwickeln. Deshalb wurden sie bereits in die Priorität 2 eingeordnet und werden in den meisten Bundesländern schon seit Februar oder März zur Impfung aufgerufen.

Laura Müller, die das Projekt beim Flüchtlingsrat koordiniert, wundert sich über die Impfzurückhaltung allerdings überhaupt nicht. „Da fehlt es einfach an Information, an der richtigen Ansprache, an vertrauensbildenden Maßnahmen“, sagt sie. Viele hätte beispielsweise überhaupt nicht nachvollziehen können, warum sie jetzt bevorzugt geimpft würden.

„Versuchen Sie sich das doch einmal vorzustellen: Gerade noch hagelt es Quarantäneanordnungen und Maßregelungen. Und als nächstes steht jemand da und will ihnen eine Spritze in den Arm jagen“, sagt Müller. Prompt hätten Gerüchte die Runde gemacht, der neu entwickelte Impfstoff solle an den Geflüchteten getestet werden.

Faltblätter und Aushänge sind nicht immer das Mittel der Wahl

Vor allem am Anfang seien zudem die verfügbaren Infomaterialien in anderen Sprachen viel zu hochschwellig und komplex ausgefallen, sagt die Aktivistin. Es reicht eben nicht aus, jemandem die Übersetzung von RKI-Informationen in die Hand zu drücken. Mittlerweile haben zwar viele Kommunen bessere Faltblätter zur Hand – aber wenn man die erst kurz vor der Impfaktion verteilt, hilft das eben auch nicht unbedingt.

Die Flüchtlingsratskampagne setzt hingegen da an, wo die meisten ihre Informationen herbekommen: Aus den sozialen Netzwerken. In kurzen – circa 18 Sekunden – Filmchen klären die Ärz­t*in­nen darüber auf, warum Impfungen wichtig sind und dass sie bestimmt nicht unfruchtbar machen. Dazu gibt es Links zu FAQs und weiteren Informationen in verschiedenen Sprachen.

Diese professionellen Clips hat die Werbeagentur Future III produziert. Sie sollen auch als Werbeclips platziert werden und dann hoffentlich viral gehen. Unterstützt und finanziert wird das Ganze vom Büro der Landesintegrationsbeauftragten Doris Schröder-Köpf und der Lotto-Stiftung.

Einer der Ärzte, die dabei mitmachen, ist Mohamed Jabarin. Der steckt gerade in seiner Facharztausbildung und ist von einem Kollegen in der Neurologie des Friederikenstifts angesprochen worden. „Als Palästinenser liegt mir Flüchtlingspolitik natürlich am Herzen“, sagt er, „immerhin ist mein Volk seit Jahrzehnten in Flüchtlingscamps in allen möglichen Ländern verstreut.“ Er hat sich deshalb sofort bereit erklärt, den Text auf Arabisch und Englisch einzusprechen.

Einen Überblick über Impfaktionen gibt es nicht

Dass es rund um die Impfung Fragen und Befürchtungen gibt, kennt er auch aus seinem eigenen Umfeld, als Mediziner sei man da ja immer gefragt. „Das ist auch keine Frage der Herkunft oder der Bildung, glaube ich – das kommt auch von deutschen Akademikern.“ Allerdings sei bei vielen Geflüchteten sicher das Misstrauen höher. „Das ist eben so, wenn man aus korrupten, intransparenten, undemokratischen Systemen kommt und da die entsprechenden Erfahrungen gesammelt hat.“

Und auch hier allzu oft von Informationen und Teilhabe ausgeschlossen wird, würde Laura Müller an dieser Stelle noch ergänzen. Sie hofft, dass die Social-Media-Kampagne nur der erste Auftakt ist. „Am Ende müssen die Verwaltungen natürlich daran anknüpfen und weitere Impfungen organisieren.“

Einen wirklichen Überblick, in welchen Einrichtungen wie umfassend geimpft wurde, gibt es nicht, weil dafür in der Regel die Kommunen zuständig sind. Die schicken dann entweder mobile Impfteams in die Unterkünfte oder organisieren Gruppentermine in den jeweiligen Impfzentren.

In den Aufnahmeeinrichtungen des Landes liege die Impfquote derzeit auch bei 20 bis 40 Prozent, sagt eine Sprecherin. Derzeit sei man dabei, die Prozesse so umzuorganisieren, dass Neuankömmlingen möglichst rasch ein Impftermin angeboten werde und sie nicht länger auf den nächsten Gruppentermin warten müssten. Auch für Unentschlossene und Nach­züg­le­r:in­nen soll es immer noch weiter eine Möglichkeit geben, einen Impftermin beziehungsweise einen Platz auf der Warteliste zu bekommen.

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