Türkei und Europas Flüchtlingspolitik: Plötzlich „sicheres Drittland“

Athen will künftig keine Asylanträge mehr von Menschen aus Staaten wie Syrien akzeptieren. Grund sei die Einreise über die „sichere“ Türkei.

Menschen vor einem großen weißen Zelt, ein Mädchen trägt eine Plastiktüte

Geflüchtete im Lager Mavrovouni auf der griechischen Insel Lesbos Foto: Elias Marcou/reuters

ISTANBUL taz | Mit dem Bau aufwendiger Grenzschutzanlagen an der Landesgrenze zur Türkei und illegalen Push-Back-Aktionen gegen Flüchtende auf dem Meer hat sich Griechenland im letzten Jahr mithilfe der EU immer weiter abgeschottet. Jetzt hat die Regierung von Ministerpräsident Kyrios Mitsotakis bekannt gegeben, dass sie Asylanträge der meisten Flüchtlinge erst gar nicht mehr akzeptieren will.

In einer geradezu beiläufigen Erklärung gab der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis Anfang der Woche bekannt, dass Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Somalia künftig dort keinen Asylantrag mehr stellen dürfen, wenn sie über die Türkei gekommen sind. Dabei handelt es sich um jene fünf Staaten, aus denen in den letzten Jahren die meisten Asylbewerber nach Griechenland gekommen waren.

„Das ist ein wichtiger Schritt für die Bekämpfung der illegalen Migration und der Bekämpfung der verbrecherischen Schleuser“, begründete Mitarakis den Schritt. Hintergrund der Entscheidung ist, dass die Türkei nach Einschätzung der griechischen Regierung für Menschen aus diesen Staaten ein „sicheres Drittland“ sei. Damit schafft sich die konservative Regierung jetzt eine juristische Grundlage, um Flüchtlinge aus den Hauptfluchtländern von vornherein abzuweisen.

Griechenland war in den letzten Monaten in die Kritik geraten, weil die Küstenwache immer brutaler gegen Flüchtlinge auf dem Meer zwischen der türkischen Küste und den griechischen Inseln vorging. Schlauchboote wurden in türkische Gewässer abgedrängt und der Motor zerstört; Flüchtlinge, die es dennoch auf eine der Inseln geschafft hatten, wurden festgenommen, geschlagen, beraubt und dann wieder zur türkischen Küste zurückgebracht.

200 Kilometer Stahlzaun

Diese illegalen Push-Backs wurden nicht nur von der türkischen Küstenwache beklagt, sondern auch von unabhängigen Beobachtern vielfach dokumentiert. Auch auf dem Festland hat Griechenland kräftig in seine Grenzschutzanlagen zur Türkei investiert. Neue Stahlzäune und digitale Überwachungsanlagen auf über 200 Kilometern sowie sogenannte Geräuschkanonen, mit denen Flüchtende schon in großer Entfernung mit der akustischen Stärke eines Jet-Motors beschallt werden können, sollen einen Grenzübertritt verhindern. Drei Milliarden Euro soll die EU dafür zur Verfügung gestellt haben.

All das hat Wirkung gezeigt. Nach Angaben des griechischen Bürgerschutzministeriums werden aktuell nur noch 9.000 Flüchtlinge auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos festgehalten statt noch 40.000 vor einem Jahr. Das liegt zum einen daran, dass die Regierung viele Flüchtlinge in Lager auf das Festland überführt hat. Vor allem aber kommen kaum noch welche nach.

Dass Griechenland nun keine Asylanträge aus den besagten Staaten annimmt, soll dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Menschen aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Bangladesch und Somalia, die jetzt in der Türkei leben, sollen wissen, dass sie „in Griechenland keine Chance mehr haben“, sagte Mitarakis.

Die türkische Regierung hat sich zu der Entscheidung, ihr Land zum sicheren Drittstaat zu erklären, offiziell nicht geäußert. Lediglich die regierungsnahe Tageszeitung Sabah empörte sich über den „heuchlerischen Beschluss“. Die griechische Regierung lasse sonst keine Gelegenheit aus, „die Türkei als aggressiv und menschenrechtsfeindlich anzuprangern, und jetzt sind wir plötzlich sicheres Drittland“. Die Angst vor den Flüchtlingen trage offenbar zur Wiederannäherung von Griechenland an die Türkei bei.

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