Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien: Für viele Serben bleibt er ein Held

Das UN-Jugoslawien-Tribunal fällt am Dienstag sein endgültiges Urteil gegen Ratko Mladić. In erster Instanz wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt.

Frau, die an einem Wandgemälde vorbei geht. Darauf ist ein Mann in Uniform abgebildet, der militärisch grüßt

Noch immer für Viele ein serbischer Held: Wandgemälde zu Ehren von General Mladić in Belgrad Foto: Darko Vojinovic/ap

SPLIT taz | Für Milorad Dodik, den führenden Politiker der Serben in Bosnien und Herzegowina, ist Ratko Mladić kein Kriegsverbrecher, sondern nur ein Mann, der „seine Pflicht“ erfüllt hat. In den vergangenen Wochen leugnete Dodik mehrmals den Genozid in Srebrenica von 1995, bei dem mehr als 8.000 Bosniaken ermordet wurden. Und mit dieser Meinung weiß der nationalistische Populist die Mehrheit der Serben hinter sich. Mladić, Stabschef der Armee der bosnischen Serben während des Kriegs im ehemaligen Jugoslawien, wird sogar von vielen als Held verehrt.

In der Weltöffentlichkeit ist Ratko Mladić ein Symbol für die 1992 bis 1995 vor allem von serbischer Seite begangenen Verbrechen: die sogenannten ethnischen Säuberungen, denen Zehntausende Zivilisten, vor allem der muslimischen Volksgruppe, zum Opfer fielen. Ziel war es, alle Nichtserben aus den von Mladić eroberten Gebieten zu vertreiben. Zwei Millionen Menschen verloren ihre Heimat.

Am Dienstag soll Ratko Mladic das endgültige Urteil des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag entgegennehmen. Von der ersten Instanz wurde er 2017 schon zu lebenslanger Haft verurteilt.

Von den Opfern und der Mehrheit der öffentlichen Meinung in Europa und der Welt als „Schlächter des Balkans“ tituliert, von vielen Serben aber als „Held“ gefeiert, wird der 77-jährige Mladić auch nach der wahrscheinlichen Bestätigung des erst­instanzlichen Urteils eine umstrittene Figur bleiben, an der sich Konflikte entzünden. Es gibt zwar keinen Krieg mehr, es gibt aber einen Krieg über die Interpretation der Geschichte.

Immer noch ein Kriegsheld

Die Reaktionen in der serbischen Öffentlichkeit zeigen, dass die Mehrheit der Serben bis heute das Angebot des UN-Gerichts nicht angenommen hat, die im serbischen Namen begangenen Verbrechen zu individualisieren, indem einzelne Täter dafür angeklagt und verurteilt werden. Indem Ratko Mladić, Radovan Karadzić und andere in einem großen Teil der serbischen Öffentlichkeit immer noch als Kriegshelden angesehen werden und das UN-Gericht als antiserbische Institution im Auftrage eines westlichen Imperialismus definiert wird, schottet man sich ab.

Das UN-Jugoslawien-Tribunal (ICTY) wurde 1993 vom UN-Sicherheitsrat eingerichtet, um Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens zu ahnden. Von 1997 bis 2004 wurden 161 Personen dort angeklagt. 111 Prozesse wurden zu Ende geführt, mit 90 Schuldsprüchen und 21 Freisprüchen. Ende 2017 wurde das Tribunal geschlossen, ebenso das Ruanda-Tribunal (ICTR). Ein „Residualmechanismus“ (MICT) wickelt die noch offenen Verfahren beider Tribunale in Den Haag und Arusha ab.

General Mladić wurde im Mai 2011 in der serbischen Vojvodina verhaftet und gegen den Protest rechtsextremer Nationalisten an das ICTY überstellt. Am 22. November 2017 wurde er in 10 von 11 Anklagepunkten schuldig gesprochen, unter anderem wegen Völkermords in Srebrenica, Verfolgung, Auslöschung, Mord und Deportation, und zu lebenslanger Haft verurteilt. Er legte Berufung ein und jetzt fällt das Berufungsurteil.

Im Schulunterricht, in den Medien sowie im öffentlichen Diskurs wird die nationalistische Position ohne Wenn und Aber durchgesetzt. Intellektuelle, Journalisten, Künstler und andere Kritiker, die das anders sehen, werden mundtot gemacht.

Ratko Mladić ist für die serbischen Nationalisten das Symbol ihrer Eroberung der Hälfte des Territoriums von Bosnien und Herzegowina. Die damit einhergehenden ethnischen Säuberungen waren nicht bloße Folge des Krieges, sondern dessen ausdrückliches Ziel. Würde die serbische Seite die eigenen Kriegsverbrechen anerkennen, müsste sie an der Existenzgrundlage der aus diesem Krieg hervorgegangenen serbischen Teilrepublik Republika Srpska zweifeln.

So aber fordert deren Regierungschef Dodik seit Jahren immer wieder, die Republika Srpska vom Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina abzuspalten und mit Serbien zu vereinigen, was die Friedenslösung des Vertrages von Dayton zerstören würde.

Die internationale Gemeinschaft hatte zwar in Dayton 1995 die serbische Eroberungspolitik abgesegnet, indem sie Bosnien und Herzegowina auf ethnischer Grundlage aufteilen ließ und somit den Teilstaat Republika Srpska faktisch anerkannte. Aber sie hat auch die bosnischen Grenzen garantiert.

Mit dem Urteil in Den Haag wird indirekt noch einmal bestätigt, dass die Republik Srpska aus ethnischen Säuberungen hervorgegangen ist, also aus dem Auseinanderreißen der multinationalen bosnischen Gesellschaft. Sie ist Produkt eines Kriegsverbrechens. Doch diese hochbrisante Schlussfolgerung führt bisher nicht zu politischen Konsequenzen.

Zwar ist es dem scheidenden Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina, Valentin Inzko, gelungen, wenigstens die Entfernung des Namens von Radovan Karadzić vom Eingang eines Studentenwohnheimes in der serbisch dominierten Stadt Pale bei Sarajevo durchzusetzen. Doch sein groß angekündigtes Projekt, die Verherrlichung von Kriegsverbrechern unter Strafe zu stellen, ist versandet.

Es fehlt bisher einfach am politischen Willen. Die USA haben zwar Milorad Dodik mit einem Einreiseverbot belegt, und auch die EU könnte, wie von der Zivilgesellschaft gefordert, mit ähnlichen Maßnahmen und der Sperrung von Konten jene abstrafen, die mit Geschichtsklitterung weiterhin Hass und Zwietracht säen. Doch das geschieht nicht.

Mit gutem Beispiel vorangehen

Die Zivilgesellschaft in Sarajevo hat immerhin durchgesetzt, dass ein Denkmal für mehrere Dutzend Serben errichtet wird, die von muslimischen Kriminellen während der Belagerung der Stadt 1992 bis 1995 aus Rache oder anderen niedrigen Beweggründen ermordet wurden. Man will also mit gutem Beispiel vorangehen und so auf die serbische Seite positiv einwirken, damit auch die ihre Verbrechen anerkennt.

Doch der Wunsch, um der Zukunft willen überall die geschichtliche Wahrheit zu akzeptieren und so einen echten Friedensprozess zu initiieren, kann nicht erfüllt werden, wenn alle Initiativen dazu in der serbischen Teilrepublik blockiert oder kriminalisiert werden. Und an das wirkliche Problem, die Verfassung von Bosnien und Herzegowina zu ändern, die Macht der ethnisch verfassten Teilstaaten zu beschneiden und die Rechte aller Bürger gleich welcher Religion und Volksgruppe zu gewährleisten, trauen sich EU und USA nicht heran, zumal Russland Serbien politisch und militärisch unterstützt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.