Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Paradise Lost

Foto: Roberta Sant'anna

Das Gerede über die Angst geht mir auf den Zeiger“, sagt die junge Frau und lehnt sich auf dem Café-Stuhl in der Sonne zurück.

„Angst wovor?“, fragt ihr Freund.

„Dass man nach Corona wieder frei ist.“

„Macht mir auch ein bisschen Angst!“

„Wovor hast du in dem Kontext Angst?“

„Vor der übertriebenen Freiheit eben.“

„Was ist übertriebene Freiheit?“, fragt sie.

„Na, wenn du in wirklich allem frei wählen kannst.“

„Das kann niemand nirgends, das ist Einbildung.“

„Na, dann eben frei wählen in der Alltagsgestaltung, als Mensch in diesem Land mit einem anständigen Einkommen.“

„Was ist ein anständiges Einkommen?“, fragt sie.

„Deins zum Beispiel, du verdienst echt viel mehr als ich!“

„Wird das Post-Corona wieder ein Problem-Thema werden, Max?!“

„Nö, aber klar, dass jemand mit deinem Einkommen keine Angst vor nichts hat.“

„Aber es geht im Leben doch nicht nur um Geld, Schatz.“

„Es geht immer irgendwie um Geld im Leben, Sophie, oder um Sex!“

„Geld oder Sex? Unsinn!“

Die Frau am Nebentisch sagt:

„Ich war als Neu-Rentnerin auch froh, dass ich im Lockdown aufgehört hab, unter Erlebniszwang zu stehen, immer diese Angst, was zu verpassen, jetzt, wo ich so viel Zeit hab, dieser Druck, Neues zu lernen, so viele Länder wie möglich zu besuchen, furchtbar!“

„Ich fürchte mich nur davor, bei der Arbeit wieder Hände schütteln zu müssen“, sagt Sophie.

„Wegen der schweißnassen?“, fragt der Mann der Frau und nickt verständnisvoll.

„Nee, wegen der Hierarchien, weil ich es dann wieder muss, Leuten die Hände zu schütteln, die in meinem Laden noch über mir stehen und die ich hasse!“

„Du solltest endlich kündigen, ist deine freie Entscheidung“, sagt Max.

„Aber der Job ist krisenfest und ich hab doch sogar während Corona eine fette Gehaltserhöhung gekriegt.“

„Dann schüttel’weiter Hände und lächel’am besten dabei“, sagt Max.

„Die Masken werden mir fehlen, dann kann man sehen, wenn ich nicht lächele“, sagt Sophie.

„Du solltest öfter lächeln, steht dir“, sagt Max.

„Die Masken werden mir fehlen, dann kann man sehen, wenn ich nicht lächele“, sagt Sophie

„Du bist so ein Chauvinist!“

„Dann geh doch nach deiner zweiten Impfung wieder daten!“

„Müsste ich nicht, wenn du endlich aufhörst frustriert über dein Leben zu sein.“

„Ich werde mich nicht für dich ändern, mit oder ohne Pandemie!“

Der Mann sagt: „Wir feiern nächsten Monat Silberhochzeit, ihr jungen Leute rennt immer gleich voreinander weg, wenn mal was schwierig wird!“

„Ja, genau“, sagt die Frau, „wenn man bei jedem Problemchen gleich romantisch schlappmacht, ist man zur Liebe vielleicht ungeeignet.“

„’ne Pandemie würd’ich jetzt nicht als Problemchen bezeichnen“, sagt Sophie.

„Genau“, stimmt Max zu, „wir hocken uns seit eineinhalb Jahren ohne Lebensreife auf der Pelle, wir haben ein Recht auf Trennung!“

„Aber dann trennen Sie sich doch Max und Sophie, jetzt gleich hier, Pandemie hin oder her, sie sind frei, das zu tun. Übertrieben frei!“