Abituraufgabe zu rassistischem Text: Schlechte Wortwahl

In einer Prüfungsaufgabe des Deutsch-Fachabiturs wurde rassistische Sprache verwendet. Eine Schwarze Schülerin kritisiert das, die Schule blockt ab.

Ein Duden liegt vor Beginn der Abiturprüfung in Deutsch im Gymnasium Bürgerwiese in der Sporthalle auf einem Tisch.

Rassistische Texte im Abi: In Detmold haben die Kontroll­instanzen versagt Foto: Robert Michael/dpa

BERLIN taz | Die Analyse von Kurzgeschichten liegt Emma K. Die Schülerin aus einem kleinen Ort bei Bielefeld zögerte deshalb nicht lange, als sie vorvergangenen Mittwoch im Deutsch-Fachabitur ihre Aufgabe aussuchen sollte. „Aber als ich das Aufgabenblatt umdrehte, sind mir sofort diese Worte ins Auge gesprungen“, erzählt sie am Telefon.

Mehrmals wird in der ihr vorgelegten Kurzgeschichte „Eine schöne Beziehung“ aus den 1980ern das N-Wort verwendet, rassistische Einstellungen gegenüber Schwarzen Menschen reproduziert. „Grete Hehmke hat doch Grund, an den Umgangsformen der Schwarzen zu zweifeln“, heißt es etwa. Und: „Es gibt auch anständige N***.“

„Man kann eine gute Intention haben und das Ergebnis ist trotzdem rassistisch“, kommentiert Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), die Aufgabe. Rassismus ließe sich nicht brechen, indem rassistische Redewendungen und Sprache verwendet würden. Die Begriffe würden damit festgeschrieben, Rassismus bleibe Teil unseres Sprachschatzes.

„Wir haben jetzt 2021. Warum kann in Schultexten nicht einfach die politisch korrekte Bezeichnung für Schwarze Menschen verwendet werden?“, fragt Emma. Die Schwarze Schülerin konfrontiert ihre Lehrerin. „Ich habe sofort gefragt, warum wir einen solchen Text lesen müssen“, erzählt die 18-Jährige.

Das Problem­­bewusstsein fehlt

Sie könne daran nichts ändern und das sei auch nicht ihre Verantwortung, habe die Lehrerin entgegnet, die sich auf wiederholte Nachfrage der taz nicht zu dem Fall äußern will. Auch die Schulleitung des Anna-Siemsen-Berufskollegs in Herford schweigt.

„Es gibt genug Schultexte, die antirassistisch sind, die anderen muss man aus dem Verkehr ziehen“, fordert Della. Im Bezirk Detmold haben dahingehend gleich mehrere Kontroll­instanzen versagt, wie aus der Antwort des nordrhein-westfälischen Schulministeriums auf taz-Anfrage hervorgeht.

Die Aufgaben für die dezentrale Fachhochschulreifeprüfung Deutsch seien von Fachlehrkräften mehrerer Berufskollegs gemeinsam erarbeitet und als Prüfungsvorschlag zunächst den Schulleitungen und im Anschluss der Bezirksregierung zur Genehmigung vorgelegt worden, heißt es aus dem Ministerium. Nach der Genehmigung durch die Bezirksregierung sei die Kurzgeschichte an den Schulen zum Einsatz gekommen. Laut Bezirksregierung wurde der Text an 26 der 57 Berufskollegs im Bezirk Detmold verwendet.

Warum niemandem aufgefallen ist, dass eine Geschichte, die das N-Wort nutzt, nicht ins Deutsch-Abi gehört? „Das Problembewusstsein fehlt“, konstatiert Della. „Deswegen müssen wir davon ausgehen, dass es sich hier nicht um einen Einzelfall handelt.“

Noch ein rassistischer Vorfall

Immerhin: das nordrhein-westfälische Schulministerium scheint mit der Aufgabenauswahl nicht glücklich gewesen zu sein. Insbesondere die Wortwahl sei „aus heutiger Sicht problematisch“, könne große Betroffenheit vor dem Hintergrund individueller Erfahrungen auslösen „und verfehlt dann vollkommen die von dem progressiven Autor ursprünglich angestrebte Wirkung“.

Die Wortwahl in der Aufgabenstellung ist aber nicht das Einzige, was Emma problematisch findet. „Ich hätte mir gewünscht, dass meine Lehrerin mich ernst nimmt und anerkennt, dass der Text verletzend für mich ist“, sagt sie. „Und dann dafür sorgt, dass ich so eine Aufgabe nicht bearbeiten muss.“ Stattdessen verweist die Lehrkraft ihre Schülerin an den Bezirk Detmold.

Und so sind es Emma und ihre Mutter, die Kontakt zu Schulministerium und Bezirksregierung aufnehmen. „Es ist wirklich sehr schwierig, sich gleichzeitig auf die Prüfungsvorbereitung zu konzentrieren“, sagt die Abiturientin. Außerdem hat sie Sorge, mit welchen Situationen sie in der Schule noch konfrontiert werden wird.

Schülerin kann Prüfung wiederholen

Zu Recht: Eine Woche nach dem Vorfall, am Tag der Englischprüfung, sprach eine andere Lehrerin sie auf dem Schulhof an. Sie habe zwei Mal das N-Wort verwendet, von Musikalität der Schwarzen geredet und Emma gefragt, ob sie sich denn nicht integriert fühle, wie die Schülerin berichtet.

Emma ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, nichts in ihrer Biografie deutet darauf hin, dass das anders sein könnte. Die Bezirksregierung erklärt auf taz-Anfrage, die zuständigen Mit­ar­bei­te­r*in­nen seien dafür sensibilisiert worden, die möglichen Auswirkungen von Texten auf einzelne Schü­le­r*in­nen in Prüfungssituationen noch stärker zu beachten.

Die pädagogische Dezernentin habe um Entschuldigung für die persönliche Betroffenheit gebeten, Emma kann die Prüfung wiederholen. „Es geht hier aber nicht nur um die Betroffenheit einzelner Schwarzer Schüler*innen“, sagt Della, „wir sind als Gesellschaft insgesamt von Rassismus betroffen – egal ob Schwarz oder weiß.“

Sich gegen Rassismus in der Schule zu wehren, dürfe nicht an einzelnen Schü­le­r*in­nen hängenbleiben. Schließlich gebe es eine extreme Abhängigkeit im Schüler-Lehrer-Verhältnis. „In den wenigsten Fällen haben die Schü­le­r*in­nen den Mut, selbst dagegen vorzugehen“, so Della. Vielmehr müssten angehende Lehrkräfte im Studium Diskriminierungssensibilität lernen.

An Mut fehlt es Emma nicht. Sie engagiert sich bei der antirassistischen Gruppe Rise Up in Bielefeld, am Samstag hat die 18-Jährige bei einer Demo gegen Polizeigewalt zum Todestag von George Floyd eine Rede gehalten. „Das hat mich em­powert.“

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