„Keine Opferrolle für ländliche Regionen“

Hagen Berndt, 61, Leiter Kommunale Konfliktberatung im VFB Salzwedel

Meine Perspektive ist die aus einer sehr ländlichen, dünn besiedelten, strukturschwachen Region, aber ich wehre mich gegen eine Opferdarstellung unserer Region. Es gibt hier viele Leute die neue Ansätze entwickeln. Aber häufig wird in der Landespolitik nicht berücksichtigt, welche Bedürfnisse es in der Bevölkerung gibt. Wir beraten zu kommunalen Konflikten und hören immer wieder, dass es eine Kluft zwischen Verantwortlichen in Städten und Gemeinden und der Zivilgesellschaft oder Bevölkerung gibt. Was auf Landesebene beschlossen wird, nimmt häufig die Ballungsräume in den Blick und kommt in den entlegenen Regionen sehr spät an. Wir versuchen, eine zivilgesellschaftlich-staatliche Zusammenarbeit auf die Beine zu stellen, um die anstehenden Zukunftsaufgaben mitzugestalten. Das braucht eine finanzielle Ausstattung ebenso wie Personal in den Behörden.

In Sachsen-Anhalt haben wir eine demokratische Krise, deshalb müssen die demokratiebildenden Projekte gestärkt werden. Das Landesprogramm für Demokratieentwicklung ist finanziell viel zu dünn aufgestellt. Es ist erstaunlich, dass das spätestens seit der letzten Landtagswahl nicht ausgebaut wurde. Es gab vielfältige Veränderungen im Land, ob durch die Migrationspolitik 2015/16, durch die Elbeflut 2013 oder die heißen Sommer. In denen wurde zum Beispiel Wasser aus den Gärten und Feldern der ländlichen Regionen abgeleitet, um die Elbe schiffbar zu machen. Bei den Leuten kommt dann an: Wir sind nichts wert, wir sind ja nur der ländliche Raum.

Es gibt Gemeinden, die uns gesagt haben, dass seit den 1990ern kein Politiker der Bundes- oder Landesebene mehr bei ihnen aufgetreten ist. Es macht was mit den Menschen, wenn man nur das Gebiet der Überschwemmungen oder der Wölfe ist. Es ist wichtig, diese Menschen mehr zu hören und wahrzunehmen, welche Ideen und welches Innovationspotenzial vorhanden sind, sowie gleichzeitig Räume für Aushandlungen zu schaffen. Denn Krisen führen auch dazu, dass Menschen sich aufmachen und neue Dinge entwickeln.

Protokoll: Sarah Ulrich