Der Blues nach der Coronaimpfung: Und was kommt jetzt?

Über die erste Impfung habe ich mich riesig gefreut. Mit der zweiten begann dann dieser Druck? Will ich wirklich in das alte Leben zurück?

Man sieht ein Dokument

Bedeutet Freiheit. Nur, welche? Foto: MiS/imago

Gratuliere“, sagte der Bundeswehrsoldat, als er meine Unterlagen im Velodrom entgegennahm. Der erste Eintrag datiert von Mitte April, nun sollte die zweite Impfung dazukommen. „Hat sich die Adresse geändert?“ Ich schüttelte den Kopf.

„Gratuliere zur zweiten Impfung“, sagte auch die rothaarige Ärztin, ein wenig sah sie aus wie Luise Wolfram, die als „Tatort“-Kommissarin Linda Selb in Bremen ermittelt. „Heute Abend können Sie mit einem Gläschen Wein feiern.“

An diesem Abend aber war mir nicht nach Feiern zumute. Auch nicht in den Tagen danach, obwohl mich jeder dieser Tage dem Ziel näherbrachte: Zwei Wochen nach dem zweiten Impftermin bräuchte ich beim Stöbern in den Geschäften oder im Café kein negatives Testergebnis mehr vorzeigen. Der Zettel mit den beiden Stempeln und dem Datum würde genügen.

Stimmte etwas nicht mit mir? Ich erinnerte mich, wie ich mich über den ersten Piks gefreut hatte. Bald schon würde ich vor einem schweren Krankheitsverlauf geschützt sein. Und als die Außengastronomie aufmachte, waren wir am ersten Abend essen. Endlich wieder Normalität. In der taz schrieb ich vom „Glücksgefühl auf Bestellung“.

Und nun? Statt Glück fühlte ich erst mal nur wachsenden Druck. Mehr als ein Jahr war vergangen ohne diesen Druck namens „Rückkehr ins normale Leben“. Stattdessen hatte sich eine Spannung aufgebaut, die anstelle dieses normalen Lebens getreten war. Coronahabachtstellung, in allen Situationen eingeübt. Und just in dem Moment, als die Habachtstellung weg war, stand die Vorstellung vom normalen Leben vor mir wie eine unüberwindliche Hürde.

Die ersten Nächte schlief ich schlecht. Kopfschmerzen und Schwindel kamen dazu. Auch das eine Nebenwirkung der zweiten Impfung: Hypochonder wie ich konnten sich mehr als ein Jahr auf eine einzige Furcht konzentrieren. Nun kamen die anderen mit Wucht zurück. „Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da?“ Blöd nur, dass ich mich gegen euch nicht impfen lassen kann.

Im Buchladen habe ich einen Reiseführer gekauft. Bretagne. Nächstes Frühjahr. Ein bisschen Vorfreude – oder doch nur ein müdes Lächeln?

Ein anderer Versuch. Am Donnerstag werde ich wandern und danach in einen See springen. Alleine der Gedanke entspannt mich. Vielleicht kann das alte normale Leben noch ein wenig warten. Vielleicht gibt es ja ein neues, normales Leben, an das ich mich halten kann. Und wenn ich nach dem Baden noch irgendwo ein Glas Wein kriege, ohne vorher eine Teststation aufzusuchen, würde ich mich vielleicht doch freuen.

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