Ein Mädchen bei Querdenken-Demo trägt ein Schild mit der Aufschrift "Nein zum Impfzwang" auf dem Rücken

Foto: Arnulf Hettrich/imago

Verschwörungsmythen an der Schule:Die Entschwörung

Lehrkräfte, Eltern, Schü­le­r*in­nen – alle sind konfrontiert mit Verschwörungsmythen. Längst sind sie im Klassenraum angekommen. Was tun?

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3.6.2021, 13:33  Uhr

Peer Gärtner* ist zu spät. Als er versucht, seine Schü­le­r*in­nen im Unterricht gegen Verschwörungsmythen zu stärken, bevor sie bei ihnen ankommen, muss er feststellen: Sie sind längst da. Lügen über ein Virus aus dem Labor, über Bill Gates, über eine Regierung, die die Bevölkerung angeblich unterdrücken will – sie haben längst den Weg zu seinen Schü­le­r*in­nen an einer bayerischen Mittelschule gefunden. „Die ganzen typischen Erzählungen waren bei den Schülern schon aufgeploppt.“ Gärtner hat ein Problem.

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30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland halten Verschwörungserzählungen für wahrscheinlich richtig oder sicher richtig, wie eine repräsentative Befragung von Infratest dimap zwischen Oktober 2019 und Februar 2020 mit mehr als 3.200 Teilnehmenden ergab. 11 Prozent sind laut der im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung durchgeführten Studie überzeugte Verschwörungsgläubige – und das noch vor der Pandemie.

Die Schule ist kein geschlossener Raum, bei dem gesellschaftliche Entwicklungen außen vor bleiben. Ideen werden hineingetragen durch Eltern, Schüler*innen, Lehrkräfte – auch Verschwörungsmythen. Und so sehen sich Schü­le­r*in­nen mit verschwörungsideologischen Lehrkräften konfrontiert, Leh­re­r*in­nen müssen mit Verschwörungsmythen von Schü­le­r*in­nen und Eltern umgehen.

Das spürt auch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). „Die Anfragen zum Umgang mit Verschwörungsideologien haben sich von 2019 bis 2021 mehr als verdreifacht und machen jetzt etwa ein Viertel aller Anfragen an uns aus“, sagt Berater Michael Sulies. Auch im Kontext Schule konnte die MBR diese Steigerung feststellen. Sulies erreichen Fortbildungsanfragen für Re­fe­ren­da­r*in­nen und Beratungsgesuche zum Umgang mit Verschwörungsideologien im Kollegium, bei Schü­le­r*in­nen und Eltern.

Frage eines Schülers

„Warum bezeichnen mich Leute als Nazi, wenn ich auf ‚Querdenken‘-Demos gehe?“

Peer Gärtner sah sich schon vor der Pandemie mit verschwörungsgläubigen Jugendlichen konfrontiert. Der Geschichts- und Politiklehrer spricht in Ruhe mit ihnen, fühlt nach, woher die Einstellungen stammen. „Dort, wo die eigenen Ängste gelagert sind, docken Verschwörungsmythen an“, erklärt Beate Leinberger. Sie ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und Professorin für Soziale Arbeit an der Internationalen Hochschule Nürnberg. Seit dem Ausbruch des Virus wachse die Angst. Verschwörungsmythen betrachtet Leinberger als Plattformen, die Gläubigen Orientierung gäben. „Ein Mythos kann einen wahren Kern haben, an den die Jugendlichen sich klammern, mit dem sie argumentieren.“ Aktuell bieten viele ihnen diese Plattformen an.

Oft sind es die Eltern, die den Jugendlichen den Zugang zu Verschwörungsideologien eröffnen. Das erlebt Christoph Becker*. Der Politiklehrer unterrichtet an einer Privatschule in Berlin. Mindestens drei seiner Siebt- und Achtklässler seien durch ihre Eltern dem „Querdenken“-Milieu nahe, begleiteten sie sogar auf Demonstrationen. Becker will sie damit nicht alleine lassen. Er nutzt Online-Einzelgespräche mit den Jugendlichen, fragt sie, was sie auf der Demo erlebt haben, wie es ihnen gefallen hat. „So kann ich sehen, welchen Erlebnissen die Schülis ausgesetzt sind, und kann es mit ihnen gemeinsam einordnen.“

Auf einem Klapptisch stehen fünf Megafone. Auf ihnen sind Sticker der verschwörungsideologischen "Querdenken"-Bewegung angebracht.

Laute Menschenfänger: „Querdenken“ Protest unter dem Motto „Kinderlächeln ohne Angst“ Foto: David Young/dpa

Die Schü­le­r*in­nen nehmen dieses Angebot an. Relativ ungefiltert berichteten sie dann von angeblich gefährlichen Tests und nutzlosen Masken. Und sie haben Fragen an Becker: „Warum bezeichnen mich Leute als Nazi, wenn ich auf ‚Querdenken‘-Demos gehe?“ Becker spricht mit ihnen über die Symbole, die auf diesen Demos regelmäßig gezeigt werden, über ihre antisemitische Bedeutung.

Hast du solche Symbole schon mal auf den Demonstrationen gesehen?“

Nein, aber ich werde darauf in Zukunft mal achten.“

Hast du schon mal Gewalt gegen Journalisten auf den Demos gesehen?“

Joah, es wurde schon rumgeschubst. Aber auch von der Polizei gegen Demonstranten.“

Glaubst du, eine Demonstration muss sich von solchen Aussagen distanzieren?“

Auf alle Fälle. Nazis sind ja scheiße und das will man nicht auf einer guten Demo haben, die eigentlich nur gegen Corona ist.“

Rote Linien und Mikrofone

Laut Psychotherapeutin Leinberger ist es wichtig, den Jugendlichen zuzuhören, sich mit ihren Perspektiven auseinanderzusetzen und möglichst neutral zu diskutieren. „Eine Diskussion lebt von These und Antithese. Ein Mythos aber ist eine Verfestigung von nur einem dieser Bestandteile.“ Die Diskussion als Ausweg aus einer Gedankensackgasse. Schü­le­r*in­nen bloßzustellen sei jedoch „nicht Sinn der Sache“. Stattdessen müsse ein Raum für Ideen geöffnet werden, auch für die Ideen der anderen Schüler, sagt Leinberger. „Wenn ein Schüler, der einem Verschwörungsmythos anhängt, mitbekommt, dass da 28 Menschen anders denken, ist das eine Möglichkeit, angeregt zu werden.“ Nur so sei man in der Lage, den eigenen Standpunkt zu verändern.

Doch manchmal lassen sich Standpunkte nicht ändern. Gärtner kennt das Scheitern. Bei zwei Schü­le­r*in­nen dringt er auch nach noch so umfangreichen Gesprächen nicht durch. „Fakten und Aufklärung haben nicht gefruchtet. Die Beziehung zu mir war nicht prägend genug, als dass sie von ihrer Ideologie hätten ablassen können.“ Er trifft mit den Schü­le­r*in­nen eine Vereinbarung über Dinge, die in seinem Klassenraum nicht gesagt werden dürfen, zieht eine rote Linie.

Was untergeht während der Pandemie, wenn Erwachsene übers Homeoffice streiten, über Impfreihenfolgen und geschlossene Restaurants, sind häufig die Belange von Kindern und Jugendlichen. Und dann käme Querdenken, so Leinberger, und biete eine Botschaft: Bei mir dürft auch ihr das Mikrofon halten.

Bei vielen „Querdenken“-Demonstrationen sind auch Kinder, skandieren gemeinsam mit den Erwachsenen, nicht selten sind sie auch Thema der Demo, etwa wenn erlogen wird, Kinder würden durch das Tragen von Masken sterben. Und auch auf der Bühne sind Kinder zu finden. Im November 2020 steht eine 11-Jährige bei einer dieser Demonstrationen auf einer Bühne in Karlsruhe. Sie vergleicht sich mit Anne Frank, weil sie wegen der Coronamaßnahmen leise ihren Geburtstag mit Freundinnen feiern musste, damit die Feier nicht auffliegt. Am Ende der Rede wird geklatscht. „Wenn die Eltern applaudieren, ist das für die Kinder eine tolle Situation, ähnlich dem Lob für eine Eins in der Schule“, sagt Leinberger. „Die Kinder merken überhaupt nicht, dass sie instrumentalisiert werden.“

Verunsicherung bei Jugendlichen

Dabei unterscheidet Leinberger zwischen Kindern bis zum Alter von etwa 12 Jahren und Jugendlichen. Kinder hätten weniger Möglichkeiten, zu verstehen, was Verschwörungsmythen überhaupt sind. „Jugendliche haben aufgrund ihrer gereifteren Hirnentwicklung mehr Möglichkeiten, Informationen und Nachrichten zu verstehen und können diese dann anders verarbeiten.“ Doch dieses Begreifen kann zu Konflikten in der Familie führen.

Joscha Falck, Kreisverbandsvorsitzender der GEW Roth-Schwabach-Hilpoltstein

„Wir wissen, dass das dem Kind schadet – massiv! Aber wir können nichts tun“

Wenn ihre Eltern an Verschwörungserzählungen glauben, litten Kinder und Jugendliche, sagt Leinberger. „Besonders Jugendliche erkennen sehr gut, in welche Ideen die Eltern sich begeben, und haben ihre eigene Meinung dazu.“ Auch wenn sie versuchten, die Taten und Gedanken der eigenen Eltern für gut zu befinden, merkten sie: Da ist etwas nicht stimmig. „Das bringt eine hohe Verunsicherung dessen, in wie weit man den eigenen Eltern noch vertrauen kann.“ Manche der Jugendlichen gingen dann mit ihren Eltern in den Konflikt.

Gärtner und Becker finden es wichtig, auch mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. Bei Becker entstehen dabei immer wieder Konflikte. Manche Eltern beschränkten sich darauf, ihm Youtube-Kanäle von Co­ro­nal­eug­ne­r*in­nen zu empfehlen. Andere schrieben ihm E-Mails, in denen sie einen kritischeren Umgang mit den Maßnahmen der Bundesregierung fordern oder dass sich die Schule über die Hygienemaßnahmen hinwegsetzt. Immerhin zahle man ja Schulgeld. Einige Eltern schickten ihre Kinder gar nicht mehr in die Schule. Während ihre Mit­schü­le­r*in­nen im Wechselunterricht sind und sich ihr Leben langsam wieder normalisiere, blieben sie ausschließlich im Online-Unterricht. Bei ihnen sieht Becker momentan besonders große Motivationsprobleme.

Ein Kind und zwei Erwachsene im Vordergrund bei einer Demo. Das Kind trägt einen Pullover auf dem Buttons angebracht sind, die gegen den sogenannten "Impfzwang" sind. Einer der Männer trägt ein "Querdenken"-Shirt.

Während andere Kinder und Jugendliche wieder in die Schule gehen, müssen manche zuhause bleiben Foto: Pau Zinken/dpa

Joscha Falck, Kreisverbandsvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Roth-Schwabach-Hilpoltstein, beobachtet, dass manche Eltern ihre Kinder selbst in den letzten Wochen vor der Abschlussprüfung nicht in die Schule lassen. „Wir wissen, dass das dem Kind schadet – massiv! Aber wir können nichts tun“, sagt Falck. Gleichzeitig würden manche Leh­rkräfte den Schü­le­r*in­nen die Situation erleichtern wollen, versuchen, digitale Lernangebote zu schaffen, während sie den normalen Präsenzunterricht weiterführen. „Wir müssen akzeptieren, dass wir an diese Kinder nicht mehr rankommen, dass wir sie verlieren. Oder wir müssen uns zerreißen“, so Falck. „Viele Lehrer machen das gerade. Sie leisten mehr, als sie können. Das wird nicht lange gut gehen.“ Die GEW frage derzeit regelmäßig, wie es den Kol­le­g*in­nen geht, versuche ein Stimmungsbild zu bekommen, auch zum Thema Burnout.

Falck ist überzeugt, dass die Zeit zu Hause, ohne den Klassenverbund, bei den Jugendlichen Spuren hinterlassen wird, die über Lernlücken hinausgehen – weil sie zu Hause mit Meinungen bombardiert würden, dass alles erfunden sei, ohne Mitschüler und Lehrer, die regulierten. „Und gleichzeitig, während sie zu Hause sitzen, findet in der Schule, in ihrer Peer Group, eine Realität statt, in der sie keine Rolle mehr spielen.“ Falck geht davon aus, die sozialen Auswirkungen der Pandemie auf die Schü­le­r*in­nen noch ein ganzes Jahr lang zu spüren. Mindestens.

Helfen könnte die Soziale Arbeit und Vereine. „Jugendliche, die nach Außen gehen und sich von den Eltern ablösen, brauchen diesen Zwischenschritt“, erklärt Leinberger. Doch wenn die Sportvereine, die Jugendclubs, die Schulen nicht oder nur phasenweise geöffnet sind, dröselt sich das Sicherheitsnetz der Regulation und der Geborgenheit auf. „Wir bräuchten für jede Jahrgangsstufe mindestens eine pädagogische Fachkraft, die sofort verfügbar ist, wenn Verschwörungserzählungen oder rechte Ideologien im Unterricht aufkommen“, fordert deswegen GEW-Mann Falck. Eine Lehrkraft könne das bei 30 Schü­le­r*in­nen pro Klasse nur bedingt leisten. „Doch an Bayerischen Mittelschulen haben wir in der Regel ein bis zwei Fachkräfte für 300 bis 400 Schüler.“

„Mahnwache“ mit Lehrkraft

An der Freien Waldorfschule Schopfheim sind nicht die Jugendlichen das Problem. Im Frühjahr 2020 beginnt eine Gruppe von Menschen wöchentlich sogenannte „Mahnwachen“ auf dem Marktplatz abzuhalten. Bald berichtet die Badische Zeitung darüber, welche Verschwörungserzählungen dort verbreitet werden und dass auch Waldorf-nahe Personen unter den Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen sind. Auch Freia Arncken bemerkt das. Sie ist Schülerin der Waldorfschule, steckt gerade mitten in ihren Abiturprüfungen. Es seien teilweise Eltern bei den „Mahnwachen“ gewesen, aber auch mindestens eine Lehrerin und eine Schulbegleiterin. Mitte Dezember 2020 schreibt letztere der Waldorfschule einen Brief.

Darin vergleicht die Frau die Situation von Co­ro­nal­eug­ne­r*in­nen mit der von jüdischen und homosexuellen Menschen im Nationalsozialismus. Und sie forderte die Schule auf, sich an ihre Seite zu stellen, etwas gegen die sogenannte „Hetze“ der Presse zu unternehmen – obwohl die Schule sich bereits öffentlich von der „Mahnwache“ distanziert hat. Arncken geht der Brief zu weit. „Die Formulierungen kommen vom rechten Rand. Es ist die Rhetorik, bei der ich dachte: Das ist absolut nicht in Ordnung, egal was die Intentionen dahinter sind.“

Auf einem Schultisch liegen eine Federmappe, eine Brille, eine FFP2-Maske und ein Schnelltest.

Testen in der Schule – für manche Beteiligte ein ideologisches Problem Foto: Christoph Soeder/dpa

Sie wendet sich an eine Lehrerin, bittet um Rat und wird darin bestärkt, selbst aktiv zu werden. Gemeinsam mit Klas­sen­ka­me­ra­d*in­nen verfasst sie kurz vor Weihnachten einen offenen Brief, den viele Schü­le­r*in­nen der Waldorfschule unterzeichnen. Immer mehr Menschen zeigen ihre Zustimmung. Auch von der Schule kommt viel positive Rückmeldung. Inzwischen sei die Schulbegleiterin nicht mehr an der Schule, erzählt Arncken.

Christoph Becker, Lehrer

„Jemand müsste uns den Workshop in die Schule tragen.“

Auch an anderen Schulen in ganz Deutschland kommt es immer wieder zu ähnlichen Fällen. In Berlin beschweren sich Schü­le­r*in­nen eines Oberstufenzentrums über einen Berufsschullehrer, der auf Youtube Verschwörungsideologien verbreitet – und laut ihnen auch im Unterricht. Erst als sie sich an den RBB wenden, der groß darüber berichtet, wird der Lehrer abgemahnt.

„Wenn Leh­re­r*in­nen vor Schü­le­r*in­nen verschwörungsideologische, rassistische oder antisemitische Äußerungen vertreten, ist das ein Grund einzuschreiten“, sagt auch Sulies von der MBR. Es mache aber einen Unterschied, wer das tue. „Der Raum Schule ist durch Hierarchien geprägt, und die Handlungsmöglichkeiten von Schüler*innen, die allein schon durch die Noten von Leh­re­r*in­nen abhängig sind, sind andere als die im Kollegium.“ Während Eltern und Kollegium sich auch an höhere Hierarchieebenen wenden können, sei das für Schü­le­r*in­nen manchmal schwieriger. Vernetzung mit anderen Schü­le­r*in­nen und Lehrer*innen, denen sie vertrauen, sei aber eine gute Möglichkeit, mit dem Erlebnis umzugehen. Auch der Schritt an die Öffentlichkeit könne eine Möglichkeit sein.

Es bleibt nur Autodidaktik

Ein Handeln wie das von Arncken und den Schü­le­r*in­nen des OSZ zu fördern, auch das ist Aufgabe der Schulen. Einige Lehrkräfte bemühen sich deswegen eigenständig darum, in diesen Bereichen ausgebildet zu werden. So etwa Hannah Kempe*, die gerade an einer Haupt- und Realschule in Niedersachsen ihr Referendariat macht. Bereits während ihres Geschichtsstudiums hat sie sich gezielt damit auseinandergesetzt, wie sie Rechtsextremismus und Fake News begegnen kann. Sie hat Vorträge besucht und Jugendlichen dazu einen Workshop in einer Gedenkstätte gegeben– als Übung für sich selbst. „Denn auch, wenn ich selbst weiß, wie ich mich stark gegen Verschwörungserzählungen positioniere, muss ich ja erst lernen, wie ich das auch Jugendlichen beibringe.“

Dennoch ist Kempe sich unsicher, wie gut sie im Ernstfall reagieren wird, wenn tatsächlich das erste mal ein*e Schü­le­r*in vor ihr steht und Verschwörungsmythen vertritt. Wenn der Raum nicht ein vorbereiteter Workshop ist, sondern eine kleine Äußerung im Unterricht oder auf dem Pausenhof.

Vielen Lehrkräften fehlt die Expertise im Umgang mit Verschwörungsgläubigen. Zwar gibt es viele Workshop-Angebote von Bildungsträgern und Beratungsstellen wie der MBR, die an manchen Schulen sogar jährlich Schulungen durchführt. „Die Schulungen sind aber nicht auf den Themenbereich Verschwörungsideologien beschränkt“, so Sulies. „Dafür ist der Themenbereich erst zu kurz im Fokus der Gesellschaft. Häufiger ging es bisher um Rechtsextremismus, Antisemitismus oder Rassismus.“ Und auch Beratungsstellen, die Workshops zu Verschwörungsideologien anbieten, haben zwei große Probleme: Zum einen kosten manche von ihnen Geld. Zum anderen braucht es jemanden an der Schule, der den Workshop organisiert. Becker glaubt, dass manche Kol­le­g*in­nen so überlastet seien, dass sie sich darum im Moment nicht kümmern könnten. „Jemand müsste uns den Workshop in die Schule tragen.“

Falck, Becker, Gärtner, Kempe – sie haben während ihres Studiums gelernt, mit rechtsextremen Äußerungen im Klassenzimmer umzugehen. Doch sie alle sind Leh­re­r*in­nen in Fächern wie Politik, Sozialkunde und Geschichte. Falck sagt, Leh­re­r*in­nen aus anderen Fachbereichen hätten häufig nicht schon während des Studiums viel zu diesen Themen gearbeitet. Auch im Referendariat sei der Umgang mit rechten Ideologien selten Thema. Die meisten Lehrkräfte müssen sich ihre Strategien im Umgang mit Verschwörungsmythen selbst erarbeiten – und sie dann im Unterricht anwenden.

Doch dafür braucht es eine grundlegende Mangelware: Zeit. Becker hat Glück, er kann sie sich nehmen, hat im Geschichts- und Politikunterricht den Luxus, dass Demokratiebildung eines der übergeordneten Ziel des Lehrplans ist. Für Mathe- und Che­mie­leh­re­r*in­nen könnte es schwieriger werden. „Aber selbst wenn es nicht reinpasst, wäre es mir wert, dafür den Stoff hinten anzustellen“, sagt Becker. Die gesellschaftliche Diskussion ist ihm wichtiger, das, „was den Kids gerade auf der Seele brennt“. Dafür müsse an einer Schule immer Platz sein.

*Die Lehrer Gärtner und Becker und die Referendarin Kempe tragen in Wirklichkeit andere Namen. Da sie jedoch als Mitarbeitende von Schulen nicht ohne Genehmigung über ihre Arbeit sprechen dürfen, wurden sie von der taz anonymisiert. Ihre wahren Identitäten sind der Redaktion bekannt.

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