Eine Wahl ohne Bäume

Die Bürgerinitiative Platanen am Deich fordert vor der Deichamts-Wahl, dass die Kan­di­da­t*in­nen Stellung zu den bedrohten Platanen am Weserufer beziehen. Mit einem Gutachten hatte sie zuletzt darauf aufmerksam gemacht, dass ein Erhalt der Bäume möglich sei

Der Frühling kommt, auch bei den bereits angeschlagenen Platanen Foto: Alina Götz

Von Alina Götz

Am Freitag ist Deichamtswahl. Links der Weser werden 20 Kan­di­da­t*in­nen gewählt, die sich fortan um die Deichsicherheit kümmern sollen. Thema Nummer eins am Neustädter Weserufer sind nach wie vor die 136 bedrohten Platanen zwischen Piepe und Eisenbahnbrücke. Die Bürgerinitiative Platanen am Deich (BI) bemängelte zuletzt die fehlenden Transparenz seitens der Kan­di­da­t*in­nen, die sich bislang nicht öffentlich zu den Platanen geäußert hätten. Ein von der BI in Auftrag gegebenes Gutachten hatte Ende April gesagt, dass die Bäume bleiben könnten.

Zwei Deichverbände – auf jeder Weserseite einer – kümmern sich in Bremen um den Schutz vor Hochwasser und Sturmfluten und die Be- und Entwässerung der Grundstücke. Das wichtigste Organ der Verbände ist das Deichamt. Gewählt werden seine Mitglieder alle fünf Jahre von den Ei­gen­tü­me­r*in­nen der Grundstücke. Am 4. Juni, also am kommenden Freitag, ist der Stichtag für den Eingang der Briefwahlunterlagen.

Deichamt nicht zuständig

Die Mitglieder des Deichverbands der linken Weserseite können Kan­di­da­t*in­nen der Listen „Bürger für Deichsicherheit“ und „Für sichere Deiche“ wählen. Beide verweisen auf Nachfrage darauf, dass das Deichamt beim Thema Platanen gar nicht zuständig sei. „Aufgrund der hohen politischen Brisanz und der öffentlichen Wahrnehmung, aber auch bedingt durch die Komplexität und die hohe finanzielle Belastung im Bereich Planung, Gestaltung und Ausführung“ habe man die Aufgabe vollständig an die Bausenatorin übergeben, sagt Bürger-für-Deichsicherheit-Kandidat Nils Plewnia. Ebenso dürfe der Deichverband die sogenannte Stadtstrecke gar nicht umsetzen, „da ein großer Teil dieser Hochschutzmaßnahme viele städtebauliche Elemente umfasst“. Nur für die Unterhaltung der Deiche ist der Verband später zuständig.

Plewnia wünscht sich als gebürtiger Neustädter zwar den Erhalt der Platanen, auch die Liste Für sichere Deiche sei „stets bestrebt, ökologische Gesichtspunkte mit einzubeziehen“, so Kandidatin Simona Möbius. Die Deichsicherheit habe jedoch immer Priorität, sagen beide. Eine Bewertung des Gutachtens übersteigt nach den Auskünften beider Listen sowohl die Zuständigkeit als auch die Kompetenz der Kandidat*innen.

„Es wäre richtig gewesen, wenn sie zu einigen Punkten konkret ihre Haltung gesagt hätten“, sagt BI-Sprecher Gunnar Christiansen dennoch. „Denn den Menschen hier ist wichtig, was mit den Platanen passiert.“ Und es gehe nicht nur um die Bäume, sondern auch um Hochwasserschutz, „der mit unserer Variante wesentlich schneller umzusetzen wäre“, sagt Christiansen.

Die Variante, von der Christiansen spricht, wurde jüngst von der Deichbaufirma CDM Smith mit einem Gutachten bestätigt. In Auftrag gegeben wurde es von der BI, finanziert von Spenden der Baumpat*innen. Es sieht eine sogenannte Spundwand vor, die auf der Landseite für den nötigen Schutz sorgen soll. Sie würde zwischen Straße und Bäumen eingelassen werden. Für die Arbeiten müssten die Bäume nur minimal zurückgeschnitten werden – entgegen der bisherigen Einschätzungen der Behörde, laut der diese Arbeiten auf den engen Straßen gar nicht möglich seien.

Und auch beim Blick auf Zeit und Kosten gewinnt die vermeintliche Alternative: Die Gutachter schätzen die Kosten für die Wand auf 950.000 Euro – zuzüglich weiterer Elemente zum Hochwasserschutz, Vorbereitungs- und Planungskosten. Bauzeit wäre ein halbes bis ein Jahr. Das Konzept der Behörde veranschlage dagegen Kosten von mindestens 38 Millionen Euro und eine Bauzeit von fünf bis neun Jahren.

Platanen kränkeln schon

Die Senatorin für Umwelt und Stadtentwicklung prüft seit Jahren verschiedene Varianten der Deicherhöhung. Bisher favorisiert sie eine, in der die Platanen gefällt werden müssten. Denn ein Erhalt, so hieß es bislang, sei aufwendig und wenig erfolgversprechend, weil die teils mit Pilz befallenen Platanen durch Beschnitt und Umbau zusätzlich unter Stress geraten würden. Zudem würde die Deichsicherheit darunter leiden, der teils aus Schutt besteht.

Die Rückmeldungen, die die BI nach dem Gutachten aus der Öffentlichkeit bekam, seien positiv gewesen, so Christiansen. „Der Tenor war: Wenn es eine Alternative gibt, wäre die doch besser.“ Mit diesem „Rückenwind“ laufe das Volksbegehren inzwischen gut, durch das die BI die Platanen gesetzlich schützen lassen will: 17.000 Unterschriften seien schon zusammen gekommen; 24.000 brauche man. „Es ist ganz wichtig, dass es jetzt eine fachlich abgesicherte Expertise gibt, dass andere Hochwasserschutzmaßnahmen möglich sind, um die Platanen zu halten“, sagt Christiansen über die Bedeutung des Gutachtens. Als Laie sei man der Behörde gegenüber häufig im Nachteil gewesen, „jetzt sind wir auf Augenhöhe“.

Die BI forderte vor einem Monat im Weser Kurier erneut Gespräche mit der Behörde ein und erinnerte an den Satz im Koalitionsvertrag: „Sollte sich im Verfahren – entgegen bisheriger Erkenntnisse – ergeben, dass die Möglichkeit besteht, Platanen zu erhalten, wollen wir sie nutzen.“ Ein Beteiligungsverfahren kommt derweil ins Rollen: Mitte Mai treffen sich BI und Behörde mit einer externen Moderation, um zu besprechen, wie genau dieses aussehen kann, sagt Christiansen.

„Wir prüfen das BI-Gutachten sorgfältig und bereiten den Runden Tisch vor“, sagt Jens Tittmann, Sprecher von Bausenatorin Maike Schaefer, einen Monat nach Veröffentlichung. Eine inhaltliche Einschätzung gibt er nicht. „Sollte sich über das neue Gutachten ergeben, dass mehr Platanen erhalten bleiben können als bisher angenommen, werden wir das sicherlich auch tun.“

Grundsätzlich gelte aber: Die Deichsicherheit geht vor. „Wenn der Deich bricht, wird eine Bürger-Initiative nicht zur Verantwortung gezogen. Wir schon“, sagte auch Senatorin Schaefer selbst Anfang letzten Jahres der taz. Aber einfach weg sollen die Bäume nicht: Sie würden durch 500 größere und im Gegensatz zu den Platanen heimische und insektenfreundliche Bäume ersetzt werden sollen, davon genau 136 direkt auf dem Deich.

Linke fordert Prüfung

Die Linksfraktion hatte sich nach der Wahl dafür eingesetzt, dass der genannte Passus im Koalitionsvertrag steht. „Das Hauptargument des Ressorts war zuletzt, dass der Deichkörper zu instabil sei, um erhalten werden zu können“, sagt umweltpolitischer Fraktionssprecher Ingo Tebje. „Das wird von dem Gutachten elegant pariert: Durch die Übergabe des Hochwasserschutzes an die binnenseitige Spundwand ist eine bauliche Verstärkung des Gründeichs nicht mehr nötig, weil er technisch gesehen kein Deich mehr ist.“ Er fordert eine ergebnisoffene Prüfung durch den Senat. Wenn es eine hochwassersichere Alternative gebe, bei der die Platanen erhalten werden, dann sei auch ein Volksentscheid zum Platanenerhalt zulässig. „Das muss der Senat bedenken.“