Der Hausbesuch: Sie streiten über Gott und die Welt

Sozialdemokratisch, christlich, orthodox, feministisch, gläubig, bikulturell und binational: Bei diesem Paar aus Leipzig kommt einiges zusammen.

Ein Mann und eine Frau sitzen in einem Wohnzimmer. Im Hintergrund die Fenster mit Tageslicht

Harmonisch sitzen die beiden zusammen im Wohnzimmer Foto: Thomas Victor

Ihre Nachnamen sind ellenlang und in ihrer Gleichheit verschieden. Sie heißt Alexandra Athanasopoulou Köpping. Aber er: Harald Köpping Athanasopoulos. Griechische Tradition verlangt das so.

Draußen: Das Gründerzeithaus, in das Harald und Alexandra mit ihren beiden Kleinkindern vor zwei Jahren gezogen sind, steht an einer Straßenkreuzung. Es herrscht Leere an dieser Ecke, nur der Wind streicht um die Mauern. „Schleußig ist ein Familienviertel in Leipzig“, sagt Harald Köpping Athanasopoulos.

Drinnen: „In jedem griechischen Haus gibt es ein Kreuz und Ikonen“, sagt Alexandra Athanasopoulou Köpping. Ihre Wohnung bildet dabei keine Ausnahme. Dreieinhalb kleine Zimmer, dafür zwei Balkone. Im Kinderzimmer schwimmen Guppys im Aquarium hin und her, kleine Fische mit großen Flossen. Im Wohnzimmer nimmt ein riesiger Fernseher die Hälfte der ganzen Wand ein. Daneben steht das Geburtstagsgeschenk, das Harald irgendwann für seine Frau gekauft hat – ein großes Retroradio aus DDR-Zeiten.

Entdecken: Harald ist 32, Alexandra 33. Beide sind überzeugte So­zi­al­de­mo­kra­t*in­nen und Mit­glie­der der SPD. Beide gehen regelmäßig in die Kirche. Während ihres Masterstudiums in Maastricht haben sie sich kennengelernt und ineinander verliebt.

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Glück: „Ich bin eine glückliche Frau“, sagt Alexandra. Ihre Familie mache sie glücklich. Glück verbindet sie dabei vor allem mit Stolz. „Wenn die Leiterin des Kindergartens meine Tochter lobt, dann bin ich stolz auf mein Kind und irgendwie auch glücklich“, sagt sie. Ihr Glück ist an Erfolg gebunden. Sie definiert sich sehr über ihren beruflichen und akademischen Erfolg. Ihre Promotion habe sie glücklich gemacht. „Ich bin stolz auf mich, auf das, was ich geschafft habe“, sagt Alexandra. Aber kann man nicht einfach nur so glücklich sein? Ohne Erfolg sei sie unzufrieden. „Ich würde immer darüber nachdenken, was ich falsch gemacht habe.“

Masken-Skandal: Alexandra lebte und arbeitete in Brüssel, bevor sie nach Leipzig umzog. „Die politische Situation macht mich hier sauer“, sagt sie. „Plötzlich werden Menschen in Deutschland wach und wundern sich, dass etwas mit dem politischen System nicht stimmt“, sagt sie und meint damit die Maskenskandale in der CDU. Sie sei geschockt, dass Abgeordnete in Deutschland nebenbei andere Beschäftigungen haben dürften. Deutsche könnten auch etwas von griechischen und belgischen Par­la­men­ta­rie­r*in­nen lernen, sagt sie. Dort sei den Abgeordneten eine unternehmerische Tätigkeit einfach untersagt.

Ein vierstöckiges Wohnhaus an einer Straße

Hier wohnen sie Foto: Thomas Victor

Martin Schulz an der Küchenwand: Die Politik bewegt sie. Auch wenn sie am Herd steht, sind ihre Gedanken im Europäischen Parlament. Ihr Mann provoziert sie gerne. Der SPD-Genosse Harald, der in Liverpool seine Doktorarbeit im selben Fach wie seine Frau geschrieben hat, kümmert sich weniger ums Essen als um die politische Stimmung in der Küche. Und das in Anwesenheit von Martin Schulz. Harald und Alexandra ließen sich mit dem damaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments in Brüssel fotografieren und hängten das Bild an die Küchenwand. „Das ist aber nicht der echte Martin Schulz“, sagt Alexandra und lacht. „Es war eine Pappfigur.“

Wenn Mutter kommt: Mit der Politik der Landesregierung und insbesondere dem, was „Mutti“ in der Politik macht, sind die beiden zufrieden. „Mutti macht eine gute Lokalpolitik.“ Die eigene Mutti ist gemeint, Sachsens erste Staatsministerin für Gleichstellung und Integration. Wenn Petra Köpping die Familie ihres Sohnes besucht, versuchen sie die Zeit anders zu genießen, erzählt Harald, als nur über Politik zu reden.

Streit über die Quoten. Harald ist konservativ und Alexandra liberal. „Für SPD-Verhältnisse“, betont Harald. Sie streiten vor allem über soziale Themen. „Die Verteilung von Armut und Reichtum ist für mich wichtig“, sagt Harald. Alexandra beschäftigt die Genderpolitik. Harald ist gegen Quoten und fest davon überzeugt: „Menschen sollten aufgrund ihrer Kompetenzen eingestellt werden und nicht wegen Quoten.“ Und warum passiert das nicht in der Politik, oder dominieren Männer wegen ihrer Kompetenz? „Völliger Quatsch“, sagt Alexandra. „Wir brauchen Quoten, um Frauen in unserer Gesellschaft zu fördern. Und wenn sie in die Politik kommen, dann haben auch andere Mädchen ein gutes Vorbild“, sagt sie. Und das habe Folgen. „Männer werden sich gegenüber Frauen besser verhalten, wenn Frauen ausreichend repräsentiert sind“, sagt sie. „Die Politik müssen wir weiter pushen.“

Gefährliche Diskussion: Harald bleibt erst mal still und kommentiert gar nicht mehr. Sie streiten oft leidenschaftlich, wenn es um Politik geht. Aber nicht so heftig, dass einer sagen müsste: „Heute schläfst du auf der Couch.“ Die beiden lachen. „Gestern Abend waren wir aber kurz davor“, sagt Harald halb im Ernst, halb im Scherz. Alexandra lacht noch lauter.

Gemeinsames: „Wir haben sogar davon geträumt, dass wir zusammenarbeiten“, sagt Harald. Nun erfülle die Coronapandemie ihre Träume. Sie machen beide Homeoffice. Beim Verein Arbeit und Leben Sachsen managt Harald Projekte, die politische Bildung für ihre Stadt anbieten. Und Alexandra bringt Jugendliche in Deutschland und in Griechenland zusammen. Im April hat das Deutsch-Griechische Jugendwerk in Leipzig und Thessaloniki die Arbeit aufgenommen, um Ideen und Begegnungen zu fördern.

Glaube: „Wir streiten aber nicht nur, wir haben ein gemeinsames Menschenbild, die gleiche Weltanschauung und die gleichen religiösen Ansichten“, sagt Harald. Er ist in der DDR geboren, ein echter Sachse, sein Vater war „Verfechter des Sozialismus“. „Daher habe ich ein positives Bild der DDR – von Zusammenhalt und Solidarität geprägt.“ Trotz des herrschenden Atheismus sucht Harald Antworten auf vielen Fragen bei Gott. Die Frage „Was ist der Sinn des Lebens“ bringt ihn mit 14 Jahren zur evangelischen Kirche. Bis heute findet er die Hoffnung nicht in seiner Partei, der SPD, sondern in seiner Gemeinde in Leipzig. „Mein Glauben hilft mir, die Dinge im Leben besser einzuordnen“, sagt Harald. Und seiner Frau? „Wir beide glauben an Gleiches. An Gott“, antwortet Harald und sagt noch: „Das führt zu einer großen Nähe zwischen uns.“

Ein Schrank, auf dem ben ein Röhrenradio steht

Alte Dinge werden wieder modern Foto: Thomas Victor

Kirche: Alexandra ist griechisch-orthodox getauft. „Mir ist es wichtig, die Traditionen zu befolgen“, sagt sie. Dafür hat auch ihr Mann Verständnis, so dass Ostern zum Beispiel nach griechischen Traditionen gefeiert wird. Und auch die Kinder müssen unbedingt orthodox getauft werden. Die Religion gehöre zur griechischen Identität. Eine Griechin zu sein, heißt für Alexandra, mit der griechisch-orthodoxen Kirche verbunden zu sein. „Obwohl ich die Kirche stark kritisiere, weil sie sich in die Politik einmischt.“

Vor dem Fernseher: „Die großen wichtigen Fragen des Lebens“ beantwortet die Familie gemeinsam, zurzeit vor dem Fernseher. Harald hat dafür ein ganzes Regal mit DVDs angeschafft. „Die Pandemie verhindert ja, dass wir wie früher ins Gotteshaus gehen“, sagt Harald und fügt hinzu: „Viele der DVDs werden wir auch nach der Pandemie behalten.“ Alexandra zieht eine DVD aus dem Regal. Darauf steht: „Der junge Messias“, ein Drama, das die Kindheitsgeschichte von Jesus Christus erzählt.

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