die woche in berlin
: die woche in berlin

Der ignorante Umgang des FC Union mit Hygieneregeln nervt. Die jüngsten Lockerungen derselben dagegen sind überwiegend erfreulich. Mit dem Deal zwischen dem Senat, der Vonovia und der Deutsche Wohnen ist die Forderung nach Vergesellschaftung nicht vom Tisch

Gutsherrenart beim FC Union

Nervtötende Ignoranz gegenüber den Coronaregeln

Eine Sause mit 4.000 Menschen hat Union Berlin am vergangenen Wochenende gefeiert, um die sensationelle Qualifikation der Männer für die Conference League zu begießen. Ja, es gibt sie noch, die Fans, die glücklich sind über die Teilnahme an einem völlig bedeutungslosen Format, das vor allem die Uefa reicher machen soll und wahrscheinlich in fünf Jahren wieder eingestampft wird. Einmal europäisch spielen ist der Traum, der Fans bis in die dritte Liga hinunter die mageren Jahre ertragen lässt. Weniger freudig reagierten Medien, Politik und Breitensport darauf, dass ohne Masken und Abstand gefeiert wurde und der Klub am Treiben fröhlich teilnahm. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller kündigte ein „Nachspiel“ für Union an, und Thomas Härtel, Präsident des Landessportbunds Berlin, twitterte: „Und wir versuchen unter Einhaltung der Hygieneregeln den Amateur- und Breitensport zu öffnen!“

Nun kann man angesichts stark sinkender Infektionszahlen durchaus für mehr Lässigkeit plädieren. Die Fans im Stadion waren getestet, die Feier draußen. Nervtötend ist eher die dauerhafte Ignoranz von Union Berlin bei diesem Thema. Man wollte zu Beginn der Pandemie trotz eindringlicher Warnungen noch vor vollem Haus gegen den FC Bayern spielen. Dirk Zingler drängte im vergangenen Jahr permanent darauf, wieder Fans ins Stadion zu lassen. Der große Zampano des FCU interessierte sich nie besonders dafür, wie solidarisch das mit anderen Menschen ist, solange es Union guttun konnte. Entsprechend klang die Erläuterung: „Wir spüren aber seit Wochen im Grunde genommen, […] dass die Menschen ein bisschen rausstreben aus der Situation.“ Deshalb, so Zingler weiter, „haben wir uns gestern dazu entschieden, um diesem Druck nochmal Raum zu geben“. Auf Deutsch: Dirk Zingler weiß, was das einfache Volk bewegt, und hat nach Gutsherrenart beschlossen, dass es jetzt auch mal reicht mit Verboten. Und sowieso, „sie hätten sich Zugang wahrscheinlich verschafft“. Kann man halt nichts machen.

Richtig ist, dass die Feierei – wenn nicht auf dem Union-Gelände – natürlich irgendwo anders stattgefunden hätte. Massenpartys und Massenwut gab es zum Ende der Männerfußballsaison nicht nur in Berlin, sondern allerorten, etwa beim Aufsteiger aus Bochum (7.000 Fans), beim Absteiger Werder Bremen (1.500 Fans), in Rostock und in Köln. Es ist unglaubwürdig, dass sich darüber jetzt alle empören, denn das war vor der Saison absehbar und wurde tausendfach prophezeit. Der Fußball macht sein Geld mit Emotionen. Auf- und Abstieg und internationaler Wettbewerb dienen dazu, besonders viel davon und ergo Geld zu produzieren. Eine sensationelle Quali oder ein Titel kommt für viele Fans in der Bedeutung kurz nach dem Hochzeitstag oder der Geburt des Kindes. Den Massenrausch in einer emotionalen Extremsituation zu unterdrücken ist schwer. Wer diese Kultur ganz gezielt fördert, darf sich über die Ergebnisse nicht wundern. Alina Schwermer

Endlich wieder Pizza auf Porzellan

Nach der Corona-Notbremse: Die Normalität kehrt zurück

Es kann ein durchaus erhebendes Gefühl sein, die Pizza Margherita nicht mehr aus einer Pappschachtel daheim essen zu müssen – sondern von Porzellan, an einem Tisch, der nicht der eigene ist, wo man nach zu vielen Monaten Homeoffice inzwischen jede Kerbe mit Namen kennt. Es ist großartig, endlich wieder in der Schlange vor dem Einlass zum Sommerbad stehen zu dürfen. Nachmittags sind wieder deutlich mehr Kids mit Cellokasten oder Gitarre auf dem Rücken unterwegs: Die Musikschulen sind auch wieder offen.

Lauter Kleinigkeiten, lauter nebensächliche Beobachtungen eigentlich – aber der Fakt, dass man sie registriert, zeigt umso deutlicher: Die Normalität ist zurück, zumindest ein Stück weit. Seit dem Pfingstwochenende ist die Bundesnotbremse mit den strengen Auflagen außer Kraft, nachdem die 7-Tage-Inzidenz in Berlin lange genug unter der 100er-Marke lag. Es gilt wieder das Berliner Infektionsschutzgesetz, genauer die „Siebte Änderungsverordnung der Zweiten SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung“.

Die siebte Änderung der zweiten Verordnung – vielleicht nimmt sich ein Spieleentwickler das mal vor und entwickelt daraus eine Art Quiz zum Verzweifeln: Welche Kontaktbeschränkungen galten in der dritten Änderungsverordnung? War kontaktloser Sport im Außenbereich für Kinder unter zwölf Jahren in der fünften Änderung erlaubt? Egal inzwischen, zum Glück.

Was jetzt wichtig ist: Die Inzidenz sinkt weiter, im Laufe der Woche lag der Wert bei unter 40, und mit diesem Abwärtstrend geht es aufwärts. Am Dienstag will der Senat über weitere Lockerungen ab kommendem Freitag beraten, einen entsprechenden Stufenplan hat die rot-rot-grüne Koalition bereits beschlossen.

Vor allem der Sport soll davon profitieren, auch drinnen in den Fitnessstudios schwitzen ginge dann etwa wieder. „Voraussetzung für die Umsetzung sind stetig sinkende Inzidenzen“, heißt es da. Haben wir!

Jetzt ist nur noch die Frage, ob Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) tatsächlich ihre Linie wird halten können: kein Präsenzunterricht vor den Sommerferien. Wenn man alles wieder darf – außer zur Schule zu gehen – und die Inzidenz auch kein Argument mehr ist, muss vielleicht noch eine Änderungsverordnung her. Anna Klöpper

Der Druck der Straße wirkt

Die Vonovia will die Deutsche Wohnen übernehmen

Deutschlands größter Vermieter kauft Deutschlands zweitgrößten Vermieter, und Berlins SPD kriegt sich nicht mehr ein vor Jubel? Die Reaktionen der Hauptstadtgenossen sind nur verständlich vor dem Hintergrund des Wahlkampfs und der politischen Bedrohung, die die Partei im Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen sieht. Aber von vorne.

Am Dienstag traten die Chefs der beiden Immobilienkonzerne Vonovia und Deutsche Wohnen mit dem Regierendem Bürgermeister Michael Müller und seinem Finanzsenator Matthias Kollatz (beide SPD) vor die Presse und verkündeten den Beginn einer wunderbaren Freundschaft sowie den Anfang vom Ende des Kapitalismus auf dem brutalen Berliner Wohnungsmarkt. Die Vonovia will die Deutsche Wohnen übernehmen und damit zum mächtigsten privaten Akteur mit 150.000 Wohnungen allein in Berlin aufsteigen.

Das Vonovia-Portfolio, wie es im Maklersprech heißt, entspricht zwar weniger als 10 Prozent aller rund 1,9 Millionen Wohnungen in der Stadt. Die Firma erhält kein Monopol, aber massive Marktmacht. Und 150.000 Einheiten müssen ja nicht das Ende der Einkaufstour sein, auch wenn von diesen erst mal 20.000 ans Land veräußert werden sollen.

Über dieses im Detail noch unklare Angebot freuten sich Müller und Kollatz genauso wie über das Versprechen des neuen Supervermieters, die Mieten in den nächsten fünf Jahren zu deckeln und irgendwann 13.000 Wohnungen zu bauen. Schließlich liefert dieses Angebot nach Einschätzung der beiden Sozis den Beleg, dass Verhandlungen letztlich mehr für die Mie­te­r*in­nen bringen als Konfrontation. Ein Argument, mit dem die SPD nach dem Scheitern des Mietendeckels im Wahlkampf punkten will: Seht her, die SPD, die über Jahrzehnte die Stadt­ent­wick­lungs­se­na­to­r*in stellte und für die Misere auf dem Wohnungsmarkt politisch verantwortlich ist, setzt sich auch für Mie­te­r*in­nen ein.

Die Konfrontation wird vor allem von der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen forciert. Am Mittwoch gab die Landeswahlleiterin bekannt, dass bereits rund 200.000 Ber­li­ne­r*in­nen für den Volksentscheid über die Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen unterschrieben haben. Eine Abstimmung parallel zur Wahl am 26. September dürfte also kommen.

Das dürfte auch Vonovia und Deutsche Wohnen bewusst sein. Ohne den Druck der Straße wäre es wohl nicht zu den Zugeständnissen an die Politik gekommen. Lohnen wird sich der Deal – wenn er zustande kommt, die Aktionäre müssen noch zustimmen – für Vonovia dennoch. Bei einer Kaufsumme von 18 Milliarden Euro kostet eine Wohnung der Deutschen Wohnen im Schnitt gut 115.000 Euro, ein Schnäppchen angesichts der jüngsten Preisentwicklung. Zudem dürfte der Name Deutsche Wohnen verschwinden, zuletzt ein Synonym für Raffgier.

Doch die Forderung nach Vergesellschaftung ist damit nicht vom Tisch. Im Gegenteil, die Initiative hat – ohne das zu wollen – einen ersten Erfolg errungen und kann nun argumentieren, dass es jetzt ums Ganze geht. Zweifel an den geläuterten Großkapitalisten sind angebracht: Wer glaubt denn, dass rendite­orientierte Unternehmen sich in einem boomenden Markt zu sozialen Vermietern wandeln? Dazu kommt: Eine SPD, die wunderbare Freundschaften mit der Bau- und Immobilienlobby pflegt, hatte Berlin über Jahrzehnte. Das Ergebnis ist bekannt. Bert Schulz

Eine SPD, die wunderbare Freundschaften mit der Bau- und Immobilien­lobby pflegt, hatte Berlin über Jahrzehnte. Das Ergebnis ist bekannt

Bert Schulz über den Deal zwischen dem Senat und den Immobilienunternehmen Deutsche Wohnen und Vonovia