Berlins Kultur in der Coronakrise: Wann hebt sich der Vorhang?

Angesichts sinkender Inzidenzzahlen möchten Berlins Kulturschaffende endlich wieder loslegen. Am Montag könnten erste Entscheidungen fallen.

Menschen sitzen mit Maske in einem Theater

Kurzes Glücksgefühl: maskierte und getestete Be­su­che­r*in­nen im BE Ende März Foto: reuters

BERLIN taz | Berlins Kulturschaffende scharren mit den Hufen. Seit Freitag liegt die 7-Tage-Inzidenz in der Stadt knapp unter 100. Damit ist ein Ende der bundesweiten Corona-Notbremse in Sicht, die seit Ende April galt und sogar Kulturveranstaltungen mit einer kleinen Zahl von Teil­neh­me­r*in­nen unter freiem Himmel untersagte. Auch das unterbrochene Pilotprojekt, für das ein vorab getestetes Publikum insgesamt acht ausgewählte Kulturinstitutionen besuchen kann, darunter die Philharmonie und das Berliner Ensemble, könnte wieder aufgenommen werden.

Und es gibt Hoffnung für die stillgelegte Kulturbranche: Am Montag wird Kultursenator Klaus Lederer (Linke) im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses über eine Lockerung für Kulturveranstaltungen diskutieren. „Wir wünschen uns einiges“, sagte seine Sprecherin Anja Scholtyssek der taz vieldeutig. Der Senat dürfte am Dienstag zudem über Lockerungen für die Gastronomie entscheiden. Dem Vernehmen nach könnten die neuen Regeln ab Pfingsten gelten.

Sinkt die 7-Tage-Inzidenz an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen unter 100, wird die vom Bundestag beschlossene Notbremse zwei Tage danach außer Kraft gesetzt. Das heißt: Theoretisch wären ab Ende dieser Woche wieder (Kultur-)Veranstaltungen möglich; zumindest die ebenfalls wegen der Notbremse geschlossenen Museen könnten wieder öffnen.

Die Notbremse wurde in der Berliner Kulturszene, die seit mehr als einem Jahr existenziell mit den Coronabeschränkungen zu kämpfen hat und sich dennoch in weiten Teilen solidarisch zeigte, wie ein letzter Schlag ins Gesicht kurz vorm finalen K. o. empfunden. „Inzwischen drängen sich bei Sonnenschein sowieso die winter- und coronamüden Menschen in den Parks, der Notbremse zum Trotz“, hieß es oft. Von „Kulturverbot“ und „Offenbarungseid“ sprach etwa die Berliner Club Commission.

Andrea Röber, Komische Oper

„Wir werden alles versuchen zu retten, was möglich ist.“

„Seid ihr denn verdammt noch mal des Wahnsinns?“, fragte Janika Gelinek, die zusammen mit Sonja Longolius das Literaturhaus Berlin leitet, in einem Gastbeitrag in der Welt. Und fügte hinzu: „Wie viele Au­to­r*in­nen und Künst­le­r*in­nen aller Sparten haben jetzt schon leise aufgegeben, nachdem ihre ökonomischen und/oder psychischen Ressourcen verbraucht waren?“

Wie Gelinek sah auch Katharina Kwaschik aufgrund der Notbremse zu wenig Wertschätzung für die Kultur. Im Winter hatte die Schauspielerin mit Kol­le­g*in­nen eine Petition für den Schutz von Kultur im Grundgesetz auf den Weg gebracht. Zur taz sagte sie: „Wir mögen weniger Umsätze bringen als andere. Trotzdem ist die Debatte bei Kulturveranstaltungen wichtiger denn je. Wir können uns viel zu wenig miteinander verständigen, es herrscht so viel Häme.“ Und Janika Gelinek spitzte zu: „Bei vielen Kulturveranstaltungen geht es darum, sich auf Differenzen einzulassen und auszuhalten, sich mit Welten auseinanderzusetzen, die man nicht auf Anhieb versteht. Das fehlt wirklich eklatant.“

Viele setzten auf Open Air

Da die größere Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus nach wie vor in Innenräumen herrscht, hatten etliche Häuser und Ver­an­stal­te­r*in­nen seit Anfang des Jahres in der Hoffnung auf besseres Wetter viel Energie in die Konzeption von Veranstaltungen unter freiem Himmel gesteckt – inklusive ausgeklügeltem Hygienekonzept. Darunter sind zum Beispiel die Berlinische Galerie, das Literaturhaus Berlin und das Deutsche Theater, das eigens zwei Außenspielstätten auf dem Theatervorplatz und im Innenhof für 130 beziehungsweise 80 Zu­schaue­r*in­nen entworfen hat. „Es war wie so vieles in letzter Zeit eine Herausforderung“, so DT-Sprecherin Luisa Männel zur taz. Doch auch die Möglichkeit für Aufführungen unter freiem Himmel schloss die Notbremse explizit aus.

Praller Kultursommer?

Inzwischen herrscht aber dank sinkender Inzidenzzahlen beim Deutschen Theater, bei Janika Gelinek, Katharina Kwaschik und vielen anderen die große Hoffnung, dass man sich bald endlich wieder bei Kulturveranstaltungen wird begegnen können, wenigstens mit kleinem Publikum und draußen. Wie Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD), der von einem „prallen Kultursommer unter freiem Himmel“ ausgeht, hoffen auch sie, dass Berlins Kulturschaffende und -interessierte ihr großes Nachholbedürfnis ausleben werden können. „Niemand wird am Ende nichts gemacht haben“, da ist sich Kwaschik ganz sicher.

Dafür spricht auch, dass selbst große Häuser wie die Komische Oper angesichts der sinkenden Inzidenzzahlen positive Signale senden. Kurz nach Verabschiedung der Notbremse hatte die Komische Oper als erstes großes Theater in Berlin die Saison verloren gegeben, unter anderem, weil diese ja ohnehin schon im Juni endet. „Das Bedürfnis nach der Reaktivierung der Kultur ist groß“, sagte nun Sprecherin Andrea Röber. „Wir werden alles versuchen zu retten, was möglich ist.“ Das lässt auf Liederabende, Konzerte in privaten Hinterhöfen und ein Chorprojekt hoffen.

Ein weiterer Wackelkandidat ist die in diesem Jahr zweigeteilte Berlinale: Das Festival fürs Publikum war vom Winter auf die zweite und dritte Juniwoche verschoben worden. Die Veranstalter setzen nun auf eine reine Open-Air-Ausgabe, wie sie Ende April mitteilten. „Die Berlinale-Leitung befindet sich diesbezüglich in enger Abstimmung mit der Senatskanzlei“, erklärt dazu Anna Grieben vom Presse- und Informationsamt des Landes Berlin.

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