In der Jahrmarktwirtschaft: Ein Heer von Gauklern

In der Wirtschaftpolitik kommt man sich mitunter vor wie unter MarktschreierInnen. Hauptsache laut, Hauptsache zum Staunen.

ein roter Fliegenpilz steht im Wald

Die CDU vergleicht die Grünen mit einem Fliegenpilz: Schön, aber giftig Foto: Andreas Neumeier/imago

Wer an der Marktwirtschaft zweifelt, sollte mal auf meinen Wochenmarkt kommen: „Schöne, schööne Erdbeeren hier“, gibt es da oder „Sparjel und heimischet Jemüse, lecker und jesund!“, den Stand von Pide und Pasten mit Migrationshintergrund und dann noch den Blumenhändler mit den unglaublichen Angeboten: „Ich muss verrückt sein!“

Nur ein paar Gedankenschritte weiter lande ich schnell bei der Jahrmarktwirtschaft. Da steht gleich am Anfang ein ehemaliger Kohlehändler aus dem rheinischen Revier. Bis vor einer Woche verkaufte er noch Kruppstahl-Handbremsen gegen den Klimaschutz und niedliche Schaufelbagger für große Sandgruben. Jetzt hat er umdekoriert: Höhere CO2-Preise und mehr Ökostrom, beides früher Ladenhüter. „Klimaneutral deutlich vor 2050“ ist sein neuer Werbeslogan, auch wenn das Modell „2050“ bisher noch gar nicht geliefert wurde.

Daneben macht sich das vornehm-kühle hanseatische Handelshaus breit, das in der Vergangenheit gern mal schmallippig „Nö!“ sagte, wenn ein Kunde nach Klimaschutz fragte. Jetzt brüllt und gestikuliert der oberste Verkäufer: „Ziele haben ist schön, zu sagen, wie es geht, noch viel schöner!“, sagt es dann aber doch nicht. Im Keller wird gerade noch ein Transparent seiner Ex-Chefin versteckt: „Keine Blutgrätsche gegen die Braunkohle“.

Ich gehe weiter und komme zu meinen Lieblingen, den Magiern und Gauklern. Breitbeinig steht da der Fantastische Franke und trötet in die Menge: „Klimaneutral bis 2050? Wir sagen 2045 – ach, egal, 2040! Wer will noch mal, wer hat noch nicht?“

Neue Taschenrechnerspielertricks

Neben ihm der liberale Robin Hood und Wortakrobat, mit seinem neuen Taschenrechnerspielertrick beschäftigt: Wie teuer ist der höhere CO2-Preis für die Armen? Leider verrechnet er sich in der Eile immer wieder. Ein Doppelwesen aus dem GrünSchwarzwald verspricht, sogar schon bis 2030 bei Null-Emissionen zu sein. Dem Publikum steht vor Staunen der Mund offen. Deshalb vergisst es, dass das Wesen bisher mit leeren Händen dasteht. Es bestaunt lieber einen fliegenden Händler, der seine saarländische Windmaschine anpreist: So neuartig beschichtet, dass alle Schuldzuweisungen abprallen.

Am Ende des Weges steht die junge Bio-Frau und verkauft ruhig ihre Ware. Der Kohlehändler kommt von hinten und schreit: „Achtung, das sind alles Fliegenpilze da! Schön anzusehen, aber giftig“, und schwenkt eine CDU-interne Anweisung. Aber die KundInnen kaufen weiter wie besessen. So ist das in der Marktwirtschaft. Ich muss verrückt sein.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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