Islamist für Mord in Dresden verurteilt: Ungebrochener Hass

Ein 21-Jähriger Islamist ist wegen Mordes in Dresden zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der zuständige Richter fand deutliche Worte.

Ein Angeklagter wird vor prozessbeginn von Justizbeamten in den Verhandlungssaal geführt.

Der Angeklagte, hier am 12. April vor Gericht, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt Foto: Sebastian Kahnert/dpa

DRESDEN taz | Oliver L. hat es zu keinem der Verhandlungstage in den Dresdner Gerichtsaal geschafft, er schafft es auch am Freitag nicht. Zu dem Tag, an dem Abdullah al H. vom Oberlandesgericht zu lebenslanger Haft verurteilt wird, mit besonderer Schwere der Schuld. Für eine Tat, zu der Richter Hans Schlüter-Staats bemerkt, sie mache „fassungslos“. Ein Messerangriff, vor einem Dreivierteljahr von dem Islamisten auf Oliver L. und seinen Partner Thomas L. in Dresden verübt. Den der 54-Jährige schwer verletzt überlebte – Thomas L. aber nicht.

Eine Teilnahme am Prozess wäre eine zu große Belastung für Oliver L. gewesen, sagt sein Anwalt Maximilian Klefenz. „Es hätte eine Retraumatisierung gedroht. Aber er hat die Verhandlung sehr intensiv verfolgt.“ Den ungebrochenen Extremismus des Angeklagten, die fehlende Reue. Klefenz zeigt sich deshalb erleichtert über das Urteil: „Es ist in der Sache vollkommen richtig.“ Er hoffe, dass sein Mandant nun „ein bisschen Frieden und Ruhe“ finde.

Die Tat vom 4. Oktober 2020 war – neben der religiös motivierten Ermordung einer afghanischen Asylsuchenden durch ihren Mann in Cottbus – die einzige islamistische Mordtat im vergangenen Jahr in Deutschland. Und sie war die erste hierzulande, die sich explizit gegen Homosexuelle richtete.

Oliver L., ein Kölner Lohnbuchhalter, und sein Partner Thomas L., ein Werbetechniker, waren seit acht Jahren ein Paar, wollten zusammenziehen. Am 4. Oktober 2020 waren sie als Touristen in Dresden, sie hatten Räder dabei, besuchten einen Weinberg, gingen abends in die Altstadt etwas essen. Als plötzlich Abdullah al-H. von hinten auf sie einstach.

Ein homophober, islamistischer Mord

Er habe erst an einen kumpelhaften Klaps gedacht, sagte Oliver L. als Zeuge im Prozess, zugeschaltet per Video. Dann aber sah er den Angreifer, trat nach ihm, bis dieser wegrannte. Beide Opfer gingen zu Boden, schwer verletzt, Blutlachen bildeten sich. Er habe immer wieder nach Thomas L. gerufen, erinnerte sich Oliver L. noch. Aber sein Partner starb wenig später im Krankenhaus, in seinem Rücken steckte noch eine 20 Zentimeter lange Klinge. Er war verblutet. Oliver L. überlebte nur dank einer Notoperation.

Seit April stand Abdullah al-H. für diese Tat vor Gericht. Ein 21-jähriger Syrer mit wuscheligen Locken und flaumigem Bart, 2015 nach Deutschland gekommen und hier radikalisiert, offenbar über das Internet. Erst fünf Tage vor der Tat war er aus dem Gefängnis entlassen worden, nach dem Mord zunächst flüchtig. Eine DNA-Spur am Schuh von Oliver L. überführte ihn schließlich.

Einem forensischen Psychiater hatte sich Abdullah al-H. nach seiner Festnahme für gut sechs Stunden anvertraut. Er habe schon in der Haft beschlossen, „Ungläubige“ zu töten, sagte der 21-Jährige. Deshalb habe er kurz nach der Entlassung zwei Messersets gekauft und sei in der Tatnacht durch die Innenstadt gelaufen.

Und dort habe er schließlich die beiden Männer entdeckt, die vertraut und gelöst gewirkt hätten – und hat zugestochen. Homosexuelle dürfe man töten, sie seien „Feinde Gottes“, da dieser nur Beziehungen zwischen Mann und Frau vorsehe, sagte Abdullah al-H. dem Psychiater. Und er würde auch wieder „Ungläubige“ töten. Dann aber entschlossener und nach Beratung mit dem IS.

Für den Täter waren sie „Feinde Gottes“

Richter Schlüter-Staats ist die Abscheu über diese Tat anzumerken. Sie mache fassungslos mit Blick auf die Opfer, aber auch auf die Beweggründe des Täters, sagt der Richter. Abdullah al-H. habe die Opfer als „Repräsentanten einer als ungläubig verhassten, offenen Gesellschaft“ gesehen, er habe sie angegriffen, weil er sie für homosexuell hielt, weil sie anders waren als er.

Schlüter-Staats spricht beißend von einer „religiösen Verblendung“ des Angeklagten, einem „selbstgezimmerten Zerrbild Gottes“ mit „absurden, gotteslästerlichen Maßstäben“. Abdullah al-H. habe geglaubt, mit seinem selbstverstandenen Dschihad trotz eigener Sünden ins Paradies zu kommen. Aber es sei das Töten von Unschuldigen gewesen, die nichts anderes taten als anders zu leben als er. „Das ist nur Egoismus und hat nichts mit Gott zu tun“, stellt der Richter klar.

Zudem attestiert er Abdullah al-H. eine „tief verwurzelte Homophobie“. Letztlich aber hätte es auch alle anderen treffen können, die der Angeklagte als „Ungläubige“ ansah. „Im Prinzip war es ihm egal, wen er tötet“, so Schlüter-Staats.

Der Angeklagte reagiert auf diese Worte nicht, schaut nur starr in den Saal. Den gesamten Prozess hatte er geschwiegen, ihn teilnahmslos verfolgt. In seinem letzten Wort sagte er nur, es spiele keine Rolle, was er hier sage, er verlasse sich auf Gott.

Verteidiger will Jugendstrafe, Richter widerspricht

Auch am Urteilstag erhebt al-H. sich nicht, als die RichterInnen den Saal betreten. „Das ist für ihn ein irdisches Gericht, das er ablehnt“, sagt sein Verteidiger Peter Hollstein. Ihm blieb am Ende nur, für eine Verurteilung von Abdullah al-H. nach Jugendstrafrecht zu plädieren – da der 21-Jährige sein Tun noch nicht überschaue.

Schlüter-Staats folgt dem nicht. Das Bild, ob der Angeklagte noch als Jugendlicher zu sehen sei, sei „ambivalent“. Aber Abdullah al-H. trete schon länger „reflektiert“ auf, mit verfestigter Ideologie, zeige keine offene Entwicklung mehr. Deshalb sei er nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen. Auch halte er den Mord bis heute für richtig, habe angekündigt, weiter töten zu wollen. Deshalb werde die lebenslange Haft mit besonderer Schwere der Schuld verhängt und vorbehaltlicher Sicherungsverwahrung. Wie es aussehe, sei Abdullah al-H. noch lange für die Allgemeinheit gefährlich.

Ganz am Ende der Urteilsverkündung wendet sich Richter Schlüter-Staats noch einmal persönlich an Abdullah al-H. Auch er selbst sei ein gläubiger Mensch, sagt er und der Angeklagte wendet ihm nun immerhin den Blick zu. „Das aber, was Sie getan haben, ist wahrhaft gotteslästerlich. Eine Sünde, die kaum zu übertreffen ist. Was wäre das denn für ein zwergenhafter, rachsüchtiger Gott, der es nötig hätte, dass ein Herr al-H. für ihn töten muss?“, fragt der Richter. Abdullah al-H. reagiert auch darauf nicht. Da gibt Schlüter-Staats nur noch den formellen Hinweis, dass er gegen „dieses irdische Urteil“ Revision einlegen könne.

Diese klaren Worte gab es nicht immer. Nach der Tat schwiegen die Behörden zunächst über das auch homophobe Motiv. Die Rede war von zwei angegriffenen Touristen. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden antwortete auf Fragen nur, zur sexuellen Orientierung von Opfern äußere man sich nicht. Initiativen wie der Lesben- und Schwulenverband Deutschland kritisierten das Schweigen scharf: Die Gewalt gegen LSBTI werde so unsichtbar gemacht und öffentliche Solidarität verhindert.

„Was wäre das für ein zwergenhafter, rachsüchtiger Gott?“

Tatsächlich blieben die öffentlichen Reaktionen auf den Mord überschaubar, auch aus der Politik. Die Verbände organisierten schließlich selbst Mahnwachen. Auch am Freitag veranstalten Linke eine kleine Kundgebung vor dem Dresdner Gericht, geißeln Islamismus und Queerfeindlichkeit als menschenverachtend. Der Dresdner CSD rief zum Abend zu einer Mahnwache am Tatort auf.

Oliver L. äußert sich bis heute nicht öffentlich. Aber er habe das Agieren der Behörden verfolgt, sagt sein Anwalt Klefenz der taz. Zunächst habe ihm die Kraft gefehlt, sich öffentlich einzubringen. Aber er habe das homophobe Motiv auch nicht in den Vordergrund stellen wollen. „Für ihn war es eine Tat, die jeden hätte treffen können.“

Was Oliver L. aber bis heute umtreibe, ist die Frage, ob dieser Mord nicht hätte verhindert werden können, sagt Klefenz. Denn dass Abdullah al-H. gefährlich ist, war allen bekannt. Schon 2017 wurde er vom LKA als Gefährder eingestuft. Drei Jahre saß er im Gefängnis, weil er für den IS warb und einem christlichen Mitgeflüchteten drohte, ihn zu „schlachten“. Noch in Haft griff er zwei Bedienstete an und kündigte an, „Ungläubigen“ den Kopf abzuschneiden.

Nach seiner Entlassung musste sich der Syrer drei Mal wöchentlich bei der Polizei melden und an einem Deradikalisierungsprogramm teilnehmen, was er auch tat. Parallel überwachte ihn der Verfassungsschutz. Der beließ es aber offenbar vor allem bei einer aufgestellten Kamera vor der Gemeinschaftsunterkunft von Abdullah al-H.: Denn weder bekamen die Behörden den Messerkauf mit, noch die Mordtat.

Polizei überwachte den Täter, erfolglos

„Das wird für Herrn L. immer ein ganz bitterer Beigeschmack bleiben“, sagt Anwalt Klefenz. Oliver L. frage sich bis heute, wie intensiv wirklich observiert wurde. Warum es keine Fußfessel gab.

Richter Schlüter-Staats äußert sich auch dazu. Er sei in dieser Frage vorsichtig, aber es könnten unmöglich in diesem Land alle Gefährder rund um die Uhr überwacht werden. Vielleicht hätte man die Tat verhindern können, vielleicht in China. „Aber nicht in der Gesellschaft, in der wir alle leben wollen.“ Klefenz sagt dazu später: Auch sein Mandant wolle keinen Polizeistaat. Aber die Frage bleibe, ob wirklich alle bestehenden Mittel ausgeschöpft wurden.

Unstrittig ist das Leid von Oliver L. Bis heute ist er in psychologischer Behandlung, fühlt sich nicht mehr sicher, konnte lange Zeit nicht normal laufen. Ein Rechtsmediziner sagte im Prozess, der 54-Jährige habe „unglaubliches Glück“ gehabt: Wäre der Messerstich nur wenige Millimeter anders verlaufen, hätte er die Bauchhöhle getroffen und ebenso tödlich sein können.

Für Oliver L. aber sei das Schlimmste, dass Thomas L. nie mehr wiederkommen werde, sagt Klefenz. „Ob dieser Schmerz jemals heilen wird, ist unklar.“

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