Benin-Kunstwerke in Berlin: Bronzen für Preußen

Wie die geraubten Kunstwerke aus Benin, die im wieder errichteten Berliner Stadtschloss präsentiert werden sollen, nach Deutschland kamen.

Das Humboldt Forum in Berlins Mitte Foto: dpa

Als Felix von Luschan im Sommer 1897 die ersten Elfenbeinschnitzereien und Bronzen aus Benin zu Gesicht bekam, fiel er in eine Art Sammelrausch. Der Direkto­rial­assistent des Königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin hatte schnell den besonderen Wert dieser Kunst erkannt, wie der Historiker Glenn Penny in seiner Geschichte der deutschen Ethnologie „Die Erben Humboldts“ schreibt. Die Objekte, so Luschan, zeugten von höchster technischer Kunstfertigkeit und wären zudem von ganz eigener „Benin-Art“, wie er in seinem 1918 veröffentlichten Buch „Die Altertümer von Benin“ festhielt – was die meisten seiner Zeitgenossen in ihrer kolonialistisch-rassistischen ­Hybris den „primitiven“ Afrikanern gar nicht zugetraut hätten.

Herkunft Als Benin-Bronzen gelten mehrere Tausend Reliefs und Skulpturen, die zwischen dem frühen 16. und späten 18. Jahrhundert im Königreich Benin entstanden. Viele sind aus Bronze, andere Materialien sind Holz, Elfenbein, Leder, Koralle. Dargestellt sind oft Menschenköpfe oder -gruppen, es gibt auch Tiergestalten. Die „Bronzen“ schmückten den Königspalast und Adelshäuser „und nehmen Bezug auf Momente in der Geschichte des Reiches“, erklärt Barbara Plankensteiner, Direktorin des Hamburger Museums MARKK. Viele Werke seien „königliche Re­prä­sen­ta­tions­kunst“ gewesen, andere hätten religiös-spirituellen Zwecken gedient.

Zerstreuung Bislang ist nur teilweise bekannt, wo überall Bronzen sind. Im Rahmen der Dialog-Gruppe (Seite 44) bekam Nigeria erste Listen der europäischen Bestände. Bis Sommer soll eine Aufstellung aller Bronzen im Besitz deutscher Museen auf www.cp3c.de veröffentlicht werden. Das Projekt digital-benin will bis 2022 eine weltweite Datenbank erstellen. (taz)

Wenige Monate nach der Zerstörung und Plünderung der alten Königsstadt Benin durch britische Soldaten „über­schwemm­te“ diese Kunst den europäischen Kunstmarkt. Luschan kaufte, was das Zeug hielt. Er schickte Unterhändler zu Auktionen nach London, bat Sammler wie den deutschen Konsul in Lagos, Eduard Schmidt, für ihn zu kaufen, verhandelte mit Antiquitätenhändlern. Wohl ein paar Dutzend Bronzen kaufte er beim Hamburger Handelshaus Bey & Co, das eine Dependance in Lagos hatte. Bis 1919 hatte er so rund 580 Objekte für Berlin erstanden, damals die größte Sammlung weltweit.

Mit dem Glanz dieser Stücke will sich auch das Humboldt Forum im rekonstruierten Preußenschloss in Berlin schmücken. Bei der digitalen Eröffnung des Forums vergangenen Dezember prahlte Intendant Hartmut Dorgerloh auf die Frage nach den Bronzen, dass „uns die Leute die Bude einrennen werden“. Ab Frühjahr nächsten Jahres sollen sie live zu sehen sein.

Dass die Kunstwerke eine Sensation sind, fand schon Luschan. 20 Jahre nach ihrer „Entdeckung“ resümierte er 1918: „Ganz vereinzelte Stücke hatten sich zwar schon vorher zu uns verirrt, aber die bei der Eroberung von Benin (18. Februar 1897) gemachte Kriegsbeute bildete doch die größte Überraschung, die bis dahin der Völkerkunde zuteil wurde.“

Der Ausdruck „Kriegsbeute“, der damals, so Penny, auch in Zeitungsberichten über die Benin-Bronzen verwendet worden sei, zeigt: Den Akteuren war durchaus bewusst, dass Blut an den begehrten Stücken klebte. Das war für die damals in den Anfängen steckende Ethnologie auch nichts Besonderes: „Überhaupt ist es sehr schwer, einen Gegenstand zu erhalten, ohne zum mindesten etwas Gewalt anzuwenden. Ich glaube, daß die Hälfte Ihres Museums gestohlen ist“, schrieb der Arzt und Forschungsreisende Richard Kandt 1897 aus Ruanda an Luschan.

Unrechtsbewusstsein rief das bei Luschan und seinen Nachfolgern nicht hervor: Sie wollten möglichst große Sammlungen haben – aus wissenschaftlichem Interesse, aber auch für das eigene und nationale Prestige. „Der Stolz der Museen hing davon ab, die größte, beste, umfangreichste Sammlung zu haben – ‚Männer und ihre Spielzeuge‘ eben“, sagt Jonathan Fine, Kunsthistoriker am Ethnologischen Museum Berlin und Kurator der Benin-Ausstellung im Humboldt Forum.

Felix von Luschan (1854 – 1924) Foto: bpk/Ethnologisches Museum, SMB

Als 1972 Nigeria – als Nachfolgestaat des Königreichs Benin – erstmals Deutschland und andere Länder mit Benin-Bronzen um einzelne Dauerleihgaben für seine eigenen Museen bat, schrillten hierzulande die Alarmglocken. Mit geschickter politischer Intrige wehrte der damalige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hans-Georg Wormit, den bescheidenen Wunsch der Nigerianer erfolgreich ab, wie die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy in ihrem Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst“ detailliert nachzeichnet. Wormit warnte vor einem Präzedenzfall, der Anfragen anderer ehemaliger Kolonien nach sich zöge, was langfristig den gesamten Bestand hiesiger Museen gefährden würde. Zudem seien die Objekte rechtmäßiges Eigentum der Stiftung, da „in England angekauft“.

Die Behauptung, die Benin-Bronzen seien „rechtmäßig“ in Berlin, da „legal“ erworben, zog sich durch die Argumentation der Stiftung Preußischer Kulturbesitz fast bis heute und wurde von der Politik lange Zeit fraglos übernommen. Im Jahr 2013 – Kritiker hatten da schon länger die Pläne moniert, im Humboldt Forum koloniale Raubkunst auszustellen – erklärte die Berliner Senatskanzlei auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Clara Herrmann zu den Benin-­Bronzen: „Der Senat und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind der Auffassung, dass die Objekte rechtmäßig erworben wurden und es für eine Restitution dieser Sammlung keine völkerrechtliche Grundlage gibt.“

Die Mär vom „legalen Besitz“

Auch die Bundesregierung hielt noch Ende 2018 an der Mär vom „legalen“ Besitz fest, woran Savoy in ihrem Buch erinnert. Auf eine Anfrage der AfD-Fraktion, ob sie Erkenntnisse darüber habe, „wie viele Artefakte des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in Berlin als mögliche Restitutionsgüter einzustufen sind“, antwortete sie: „Hierzu liegen den beiden Museen und daher auch der Bundesregierung keine belastbaren Erkenntnisse vor.“

Das war offenkundig gelogen: Zumindest die Museumsmacher wussten sehr wohl um die teilweise problematische Geschichte ihrer Sammlungen aus früheren Kolonialgebieten. Dennoch wurde den Forderungen nach Restitution, wie sie etwa die Gruppe Berlin Postkolonial seit Jahren erhebt, stets entgegengehalten, es müsse immer im Einzelfall geprüft werden, ob tatsächlich ein „Unrechtskontext“ vorliege. Sprich: Vor jeder Rückgabe seien aufwendige Provenienzrecherchen zu jedem Stück notwendig. Bei über 500.000 Objekten allein im Ethnologischen Museum ist es daher kein Wunder, das bislang nur wenige Restitutionen erfolgt sind.

Im Fall der Benin-Bronzen zog das Argument der notwendigen Einzelfallrecherche allerdings besonders schlecht. Denn für alle Objekte, die Luschan ab 1897 gekauft hat, gleich ob von Konsul Schmidt oder von anderen Zwischenhändlern, gilt: „Sie wären höchstwahrscheinlich nie auf den Kunstmarkt gekommen, wären Luschan nie angeboten worden, wenn sie nicht aus den Schreinen, aus den königlichen Palästen, aus den Palästen der Adeligen in Benin geraubt worden wären.“ So erklärt es Jonathan Fine.

Eine demütige Geste, die koloniales Unrecht wiedergutmachen will, ist das wohl kaum

Es war ein geschickter Schachzug des nigerianischen Botschafters in Berlin, Yusuf Tuggar, wenige Tage vor der digitalen Eröffnung des Humboldt Forums im Dezember öffentlich (auf Twitter) darauf hinzuweisen, dass sein Land seine Kulturschätze zurückfordere. Auch wenn die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und das Auswärtige Amt dies zunächst abwehrten, indem sie behaupteten, es gebe gar kein „offizielles“ Rückgabe­ersuchen der nigerianischen Regierung: Die Diskussion über die Bronzen war wieder in den Schlagzeilen, die reale Eröffnung des Humboldt Forums ab September – die der „Ost-Spange“ mit der Benin-Ausstellung ist für Frühjahr 2022 vorgesehen – drohte international zur Peinlichkeit zu werden.

Die Erklärung der deutschen Museen vom 29. April, mit der sie nun „substanzielle Rückgaben“ an Nigeria anbieten, die ersten für 2022, war daher überfällig. Noch allerdings ist unklar, wer darüber entscheidet, welche Objekte wann zurückgehen. Die Nigerianer? Die deutschen Museen? Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, sagt, all dies müsse nun „im Dialog“ mit Nigeria geklärt werden. Auch Lars-Christian Koch, der Direktor des Ethnologischen Museums Berlin, spricht von den „Interessen der nigerianischen Seite, die im Vordergrund stehen“. Implizit heißt dies freilich, dass Berlin und die anderen deutschen Museen ihre Interessen durchaus in die Verhandlungen mit den Nigerianern einbringen werden. Eine demütige Geste, die koloniales Unrecht wiedergutmachen will, ist das wohl kaum.

Fest steht immerhin: Unter den ersten Objekten, die 2022 zurückgehen, werden „mit Sicherheit“ (Parzinger) Stücke aus Berlin sein. An einer Benin-Schau im Humboldt Forum halten die Macher dennoch fest – auch wenn sie nun wohl ein paar Leerstellen haben wird beziehungsweise Gipsabdrücke anstelle von Originalen. Ursprünglich war geplant, rund die Hälfte der 506 Berliner Benin-Objekte zu zeigen. Wie viele es nun sein werden, werden die Verhandlungen mit Nigeria ergeben.

Dass die Ausstellung stattfinden soll, ist für Kurator Fine trotz der jüngsten Entwicklungen eine Selbstverständlichkeit: „Ich glaube, es ist oft hilfreich, dass, wenn man Objekte restituiert, man sie zuerst ausstellt. Es ist wichtig für die Öffentlichkeit zu sehen, was zurückgeht, warum es zurückgeht, und sich selber dazu eine Meinung zu bilden.“

Ohnehin sei geplant gewesen, dass einer der beiden Räume der Benin-Ausstellung die Plünderung von 1897 thematisiert. „Hierfür fragen wir Vertreter aus Nigeria und Europa ganz direkt: Was bedeuten Ihnen die Benin-Bronzen, was soll mit ihnen in Zukunft passieren? Das Thema war schon lange Mittelpunkt der Ausstellung.“

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