Nicht Mensch, nicht Roboter

Schneider TM verbindet auf seinem neuen Album Elektro mit Zukunftsszenarien und lässt auch den „iBot“ wieder aufleben

Foto: Editions Mego

Von Thomas Winkler

Die Acht ist im Kartenspiel nicht gerade die allerstärkste Karte, erst recht nicht im Vergleich zum Ass. Wenn also Schneider TM die „Ace of Spades“ zur „The 8 of Space“ verändert, dann bedeutet das nicht nur, dass da einer seine Motörhead gehört hat, sondern signalisiert einerseits also eine gewisse Bescheidenheit, bezieht sich aber auch gleichzeitig auf die höhere Mathematik, wo es schon mal um achtdimensionale Räume gehen kann.

Kurz gesagt: Es ist ein wenig kompliziert, was Dirk Dresselhaus, der Wahlberliner, der sich hinter dem Projektnamen Schneider TM versteckt, auf seinem aktuellen Album veranstaltet. Dabei ist die musikalische Umsetzung des Titelsongs noch der simpelste Aspekt: Aus dem hyperventilierenden Hochgeschwindigkeits-Hardrock des Originals wird ein gemütlich klapperndes Stück spartanischer Electro-Pop, dessen nahezu desinteressierter Gesang sich vertraut an die reduzierten Beats schmiegt.

Auch ansonsten puckert und tuckert, klickt und klackert es, dass es eine wahre Pracht ist. Einerseits fühlt man sich an die Forschertage der elektronischen Klangerzeugung erinnert, als jedes futuristische Geräusch noch mühsam widerspenstigen, unberechenbaren Instrumenten abgerungen werden musste. Andererseits kann man „The 8 of Space“ aber auch sehr deutlich anhören, dass Dresselhaus nicht erst seit gestern Musik macht und voller Hingabe am Design jedes einzelnen Tons geschraubt hat.

Zu dieser Meisterschaft musste Dresselhaus ein gehöriges Stück Weg zurücklegen. Der gebürtige Bielefelder war eine der zentralen Figuren des ostwestfälischen Rock-Undergrounds, spielte bei den Hip Young Things bis 1997 standhaft Gitarre, hatte aber schon 1992 damit begonnen, mit seinem Nebenprojekt Locust Fudge Indie-Rock-Strukturen mit elektronischen Elementen aufzuweichen, was damals einer Pionierleistung gleichkam. Sukzessive legte Dresselhaus das Rockinstrumentarium immer mehr zur Seite, ergänzte seinen Spitznamen Schneider mit der Abkürzung für Trademark zum clubkompatiblen Produzenten-Alias, zog nach Berlin und entwickelte sich zum Elder Statesman der Indietronica.

Mittlerweile 50 Jahre alt, hat Dresselhaus nahezu überall, wo in dieser Stadt Musik gemacht wird, die Finger drin, improvisiert da mit Echtzeitmusik-Kolleg*innen, legt dort bei Festivals oder in Galerien auf, kooperiert mit jungen Künst­le­r*in­nen und alten Legenden, komponiert für Theater und Film.

Folgerichtig lebt auch das neue Werk von dieser langen Geschichte, immer wieder rekapituliert Schneider TM alte Ideen, recycelt für „The 8 of Space“ bekannte Konzepte. Allen voran den sogenannten „iBot“, eine Figur, die immer wieder in Schneiders Stücken auftauchte, eine Verbindung aus Mensch und Technologie, kein Mensch mehr, aber auch nicht bloß ein Roboter, der unsicher in die Zukunft blickt, was ja nun wieder sehr menschlich ist. Nun bekommt das Ding auch noch eine Seele, wenn Dresselhaus mit computerhaft verfremdeter Stimme singt: „I am an iBot with a soul/ I run on petrol, electricity and coal.“

Die Kohle und das Öl, die das Mensch-Maschine-Wesen verbrennt, ist im Zusammenhang mit dem retro-futuristischen Klangdesign auch ein Hinweis auf die Vergänglichkeit der Zukunftsvisionen. Dresselhaus zieht in „iBot (With A Soul)“ ganz ausdrücklich eine Linie vom „Club of Rome“ und den jahrzehntealten Warnungen der Umweltschutzbewegung zur aktuellen „virus hysteria“ und „planet lockdown“.

Die Musik, die bewusst Science-Fiction-Klischees aus den Sechzigern verarbeitet, setzt dank einer nicht nur leisen Melancholie eine schmucke Patina an, die sie fast wiederverwendbar erscheinen lässt. Aber das ist natürlich ein Trugschluss. „The Trip (Is The Goal)“ heißt der letzte Song, und er mag mit seinen lustig knacksenden Beats aufgeräumt klingen, aber Dresselhaus singt: „Let it get all right/ Before we all die.“

Schneider TM: „The 8 of Space“ (Editions Mego)