Fanproteste im englischen Fußball: Aufstand gegen Ausverkauf

Das Spiel zwischen Manchester United und dem FC Liverpool musste wegen Fanprotesten abgesagt werden. Anhänger hatten das Stadion gestürmt.

Fans mit grünen und roten Rauchtöpfen

Bunter Protest gegen den Kommerzfußball: Fans vor dem Stadion in Manchester Foto: Rui Vieira/dpa

MANCHESTER taz | Was am Anfang noch nach einer Drohung geklungen hatte, wurde Wahrheit im Laufe dieses Sonntagnachmittags. „We decide when you will play!“, sangen die Fans, die sich vor dem Hotel „The Lowry“ im Norden der Innenstadt Manchesters versammelt hatten, wo sich Manchester United auf die Partie gegen den FC Liverpool vorbereitete. Wir entscheiden, wann ihr spielt – und in diesem Fall entschieden die Fans, dass gar nicht gespielt wurde.

Sie blockierten den Mannschaftsbus, während vor dem Stadion Old Trafford mehrere Tausend Menschen protestierten, mit Plakaten, Schals und Rauchtöpfen, jeder Menge Alkohol und noch mehr Wut. Rund 100 Fans, so die Schätzung der Greater Manchester Police, verschafften sich sogar Zugang zum Stadion, das in der Coronapandemie eigentlich für Zuschauer gesperrt ist. Sie stürmten den Platz und produzierten damit die stärksten Bilder dieses Nachmittags, an dessen Ende die erste Spielabsage im Zeitalter der Premier League wegen Zuschauerprotesten stand. Und es war nicht irgendein Spiel, das hier dem Volkszorn zum Opfer gefallen war: der amtierende Rekordmeister Manchester United gegen den einstigen Rekordmeister Liverpool, das ist immer noch der populärste Termin im Kalender des Inselfußballs.

Der Unmut des Publikums hatte zwei Gründe, die eng miteinander verbunden sind. Einerseits richtete sich die Wut gegen die US-amerikanischen Besitzer von Manchester United, die Glazer-Familie. Sie legten bei ihrer Übernahme 2005 einen großen Teil des Kaufpreises als Schulden auf den Verein um. Bis heute sollen die Eigentümer den Klub mehr als eine Milliarde Pfund an Verbindlichkeiten, Zinsen und Dividenden gekostet haben. Sportlich ist Manchester United abgerutscht – die bisher letzte Meisterschaft gab es 2013.

Andererseits richtete sich der Zorn gegen den jüngsten Versuch internationaler Großklubs, in eine Super League auszubrechen. Aus der Premier League wollten sich sechs Vereine an dem Elitewettbewerb beteiligen, neben Manchester United waren das Manchester City, Liverpool und die Londoner Vertreter Arsenal, Chelsea und Tottenham. Die Szenen in Manchester waren die Fortsetzung und die bisher höchste Eskalationsstufe der Zuschauerproteste, die in den vergangenen zwei Wochen schon an anderen englischen Standorten zu besichtigen waren.

Die Fans auf der Insel fühlen sich ermächtigt durch das Scheitern der Super League und entdecken gerade den zivilen Ungehorsam für sich, nachdem weite Teile des Publikums dem Verkauf des Spiels an Oligar­chen, Investoren und Wüstenstaaten in den vergangenen Jahren unkritisch beigewohnt hatten.

Solidarität mit den Fans

Und sie bekommen viel Unterstützung, trotz der teilweise wüsten Szenen von Sonntag mit Stadionsturm, fliegenden Flaschen und verletzten Polizisten und Ordern. „Viele können Probleme damit haben, wie die Demonstrationen gelaufen sind. Doch die Legitimität des Protests steht außer Frage“, schrieb der Independent: „Das passiert, wenn man den Volkssport zu sehr ausbeutet.“

Die Ex-Profis Gary Neville, Roy Keane (Manchester United) und Jamie Carragher (Liverpool), die eigentlich das Spiel aus dem Old Trafford als Experten für Sky Sports kommentieren sollten, treten seit Wochen als Anwälte der Fans auf. Sie schlugen sich auch in diesem Fall auf die Seite der Demonstranten. Die erzwungene Spielabsage sei „eine Warnung an die Eigentümer der Vereine“, sagte Neville. Und: „Die Fans haben gesprochen.“

Es ist davon auszugehen, dass die Proteste von Sonntagnachmittag längst nicht das Ende des aktuellen Zuschaueraufstands in England waren. Wie wirksam sie sein werden, ist allerdings fraglich. Um ihre Beliebtheit bei der örtlichen Bevölkerung in England haben sich in Übersee ansässige Klubbesitzer wie die Glazers noch nie gekümmert.

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