Mord an jüdischer Rentnerin in Paris: Verkiffter Antisemitismus

Frankreichs Präsident schließt eine Legalisierung von Cannabis aus. Das hat auch mit dem umstrittenen Urteil im Fall einer ermordeten Jüdin zu tun.

Menschen mit Plakaten vor dem Eiffelturm

Gerechtigkeit für Sarah Halimi – das forderten Tausenden am vergangenen Wochenende in Paris Foto: Michel Euler/ap

PARIS taz | Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron schließt eine Legalisierung von Cannabis und jeden Kompromiss im Kampf gegen Drogen aus. Im aktuellen Kontext wünscht er zudem, dass die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit unter Drogeneinwirkung neu geregelt wird.

Anlass dafür ist ein umstrittenes Kassationsurteil im Fall der im April 2017 von Kobili Traoré in einem Zustand geistiger Verwirrung getöteten Sarah Halimi. Das Verbrechen wird in strafrechtlicher Hinsicht ungesühnt bleiben, da der Täter für unzurechnungsfähig erklärt worden ist. Die Schwester von Sarah Halimi hat angekündigt, sie wolle nun in Israel den Prozess gegen Traoré anstrengen, der in Frankreich nicht stattfinden kann.

Am 14. April hatte auch die höchste gerichtliche Instanz eine entsprechende Kassationsbeschwerde der Angehörigen des Opfers gegen einen Entscheid des Pariser Berufungsgerichts abgewiesen und damit definitiv eine strafrechtliche Verantwortung des Täters ausgeschlossen.

Dieser befindet sich derzeit in psychiatrischer Behandlung. Die Pariser Berufungsrichter hatten Sicherheitsmaßnahmen (zum Schutz der Gesellschaft) für mindestens zwanzig Jahre angeordnet, wie dies im Fall einer verminderten Zurechnungsfähigkeit eines Straftäters vorgesehen ist. Die Entscheidungen stützen sich auf heute geltende Gesetzestexte und die Rechtspraxis in Frankreich sowie auf Gutachten von insgesamt acht psychiatrischen Experten.

Der Entscheid empört: „Gerechtigkeit für Sarah Halimi“ haben am Sonntag auf dem Trocadéro-Platz in Paris und auch in anderen Städten Frankreichs Tausende von Demonstrierenden gefordert. Sie empfinden es als schockierende Rechtsverweigerung, dass Kobili Traoré, der vor vier Jahren seine Nachbarin in einem Zustand von geistiger Verwirrung und Wahnvorstellungen brutal getötet hatte, sich nicht vor einem Gericht verantworten soll.

Jüdische Gemeinschaft schockiert

Der zur Tatzeit 27-jährige Traoré hatte, als er seine 65-jährige Nachbarin ohne erkennbaren Anlass angriff, „Allahu akbar“ gerufen und sein Opfer als „Satan“ bezeichnet. Der antisemitische Charakter seiner Tat war nach den Ermittlungen auch für die Justiz gegeben. Deshalb ist für die jüdische Gemeinschaft Frankreichs, die in den letzten Jahren mehrfach Ziel terroristischer Attacken war, die Vorstellung, dass Traoré „ungestraft davonkommt“ besonders schockierend.

„Jewish lives matter!“ war auf Schildern von Demonstranten auf dem Trocadéro zu lesen. Einmal mehr würden mit dem Kassationsentscheid antisemitische Verbrechen „banalisiert“, sagen sie. Der Vorsitzende des Repräsentativen Rats der Jüdischen Institutionen Frankreichs (CRIF), Francis Kalifat, meint: „Wie kann die Justiz unseres Landes den antisemitischen Charakter eines Verbrechens anerkennen, dem Täter aber gleichzeitig eine Straflosigkeit gewähren? Das ist eine schizophrene Justiz.“

In den psychiatrischen Gutachten wird festgehalten, Traoré habe in einer Form von Delirium gehandelt, das auf einen massiven und langjährigen Konsum von Cannabis zurückzuführen sei. Der Artikel 122.1 des französischen Strafgesetzbuchs besagt lediglich, dass eine Person „strafrechtlich nicht verantwortlich ist, die zur Tatzeit unter psychischen oder neurologischen Störungen leidet, welche ihr Urteilsvermögen und ihre Selbstkontrolle beeinträchtigt haben“. Hinsichtlich der Ursachen dieser verminderten Zurechnungsfähigkeit wird dabei kein Unterschied gemacht.

Das soll sich nun nach dem Willen von Staatspräsident Emmanuel Macron rasch ändern. „Wenn jemand Drogen nimmt und deshalb ‚wie verrückt‘ wird, sollte das meiner Ansicht nach nicht seine Schuldfähigkeit vermindern“, erklärte Macron in Le Figaro. Er hat seinen Justizminister Éric Dupond-Moretti beauftragt, mit einer dringlichen gesetzlichen Präzisierung diesbezüglich Abhilfe zu schaffen.

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