heute in hamburg
: „Ich hoffe natürlich auf den Exzess“

Online-Diskussion:

„Stirbt die Vielfalt von Kultur mit Corona und mit ihr Solidarität?“: 19 Uhr, Zugang über https://attac.hamburg

Interview Lukas Door

taz: Frau Deuflhard, vernichtet Corona die deutsche Kulturlandschaft?

Amelie Deuflhard: Wir sollten zumindest extrem wachsam sein, damit das nicht passiert. Wir wurden zwar im letzten Jahr damit konfrontiert, nicht systemrelevant zu sein, dennoch ist auch das Bewusstsein gestiegen, dass Städte öde werden, wenn nichts mehr stattfindet. Ich hoffe sehr, dass die Politik klug genug ist, den kleineren Kultureinrichtungen nicht die Gelder zu kürzen. Es gibt Institutionen, die mit zehn- oder sogar fünf-prozentigen Kürzungen einfach zerstört werden könnten.

Kann die Lösung Solidarität sein?

Man merkt, dass die Kulturinstitutionen auch untereinander klar solidarisch agieren. Es existiert allerdings auch viel Unkenntnis über andere: Hier in Hamburg gibt es Theater mit einer Jahresförderung von etwa 50.000 Euro – das ist ein mittelmäßiges Jahresgehalt eines Akademikers. Damit werden diese Theater ganzjährig bespielt. Das Wissen darüber müssen wir produzieren. Und bei Gefährdung einzelner müssen wir wachsam bleiben und überzeugt handeln.

Ist das Ihr Appell?

Foto: Julia Steinigeweg

Amelie Deuflhard

62, ist seit 2007 künstlerische Leiterin der freien Spielstätte Kampnagel in Hamburg.

Absolut. Ich glaube, Corona hat uns gezeigt, dass bei vielen das solidarische Denken nicht sehr weit geht. Themen wie Impfneid hier in Deutschland sind für mich absurd, wenn abzusehen ist, dass bis Ende des Sommers wahrscheinlich jeder Impfwillige auch geimpft sein wird. Auf dem afrikanischen Kontinent, wo viele Künstler leben, mit denen ich auch zusammenarbeite, ist fast niemand geimpft. In vielen anderen Teilen der Welt sieht es ähnlich aus, weil westliche Länder die Patente nicht freigeben. Das Virus wird aber nicht verschwinden, wenn nicht global geimpft wird. Eigentlich sind wir also zur Solidarität gezwungen. Das lässt sich auch auf die Kultur übertragen.

Was erwarten Sie von Kultur post Corona?

Ich denke, die Menschen werden ein bisschen in Schockstarre verharren. Die kleineren Öffnungen im letzten Sommer haben das gezeigt. Wir durften unsere Säle nur mit einem Viertel der Zu­schaue­r*in­nen besetzen – und hatten entsprechend wenig Andrang. Was die neue Sicherheit durch die Impfungen bewirken wird, wissen wir allerdings noch nicht. Ich hoffe natürlich auf das große Fest, den Exzess. Aber wir können das nicht prognostizieren. Ich persönlich sehne mich sehr nach öffentlichem Leben, nach Theater, nach Kunst. Ich hoffe, dass es vielen Menschen so geht und sie uns irgendwann wieder die Bude einrennen.