„Junge Welt“ im Verfassungsschutzbericht: Fehl am Platz

Laut Innenministerium verstößt Marximus gegen die Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Da hat wohl jemand was falsch verstanden.

Marx-Engels-Denkmal.

Verfassungsfeindliches Symbol? Marx-Engels-Denkmal in Berlin Foto: Erik Irmer

Ist der marxistische Klassenbegriff verfassungsfeindlich? Wenn man dem CDU-Politiker Günter Krings, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, folgt, dann ist das so. Krings hat eine Kleine Anfrage der Linksfraktion zur Nennung der Tageszeitung junge Welt (jW) im Verfassungsschutzbericht beantwortet. Dort bescheinigt er dem Marxismus, gegen die „Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ zu verstoßen.

„Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum ‚bloßen Objekt‘ degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der Einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln.“

Mittels des Klassenbegriffs wird allerdings kein Mensch „einem Kollektiv untergeordnet“. Vielmehr wird jeder Mensch im Rahmen der Sozialstrukturanalyse einer (als „Klasse“ bezeichneten) Großgruppe zugeordnet. Das tun alle Soziologen, auch solche, die dem Klassen- den Schichtbegriff vorziehen.

Man muss übrigens kein Marxist sein, um zu erkennen, dass Deutschland eine Klassengesellschaft ist. Einer kleinen Minderheit der Bevölkerung gehören die Unternehmen, Banken und Versicherungen, während die große Mehrheit ihre Arbeitskraft verkaufen muss, um gut leben zu können.

Auch klassenlose Gesellschaft wäre dann verfassungsfeindlich

Zudem ist Krings’ Antwort zu entnehmen, dass auch das Ziel einer klassenlosen Gesellschaft verfassungsfeindlich ist – also die Beseitigung dessen, was doch der Menschenwürde widerspricht. Das „wesentliche Ziel“ einer „marxistischen Grundüberzeugung“ ist es laut Krings, „die freiheitliche Demokratie durch eine sozialistische/kommunistische Gesellschaftsordnung zu ersetzen“.

Nicht die Demokratie soll jedoch durch eine andere Gesellschaftsordnung ersetzt werden, sondern das kapitalistische Wirtschaftssystem. Hier urteilt ein Jurist über den Marxismus, der ihn offenbar nicht versteht oder bösartig verdreht. Jemand wie er ist daher fehl am Platze.

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hat bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und zuletzt das Buch „Ungleichheit in der Klassengesellschaft“ veröffentlicht.

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