„Tatort“ aus Franken: Der Missbrauch des Missbrauchs

Die ARD inszeniert den Franken-„Tatort“ unverantwortlich und verbreitet das Narrativ: Männer werden tendenziell doch eher falsch beschuldigt.

Felix Voss und Paula Ringelhahn sehen aus dem Fenster und schauen ernst

Felix Voss und Paula Ringelhahn sind bestürzt Foto: Bayerischer Rundfunk

Vielleicht reicht es, dankbar zu sein. Dafür, dass dieser Sonntagabendkrimi keine Geschichte erzählt über ein sexuell missbrauchtes Kind. Sondern über ein zu Tode gekommenes. Nein, das ist nicht zynisch gemeint. Und natürlich ein Sakrileg: verraten, was passiert. Oder nicht passiert. Geht nicht anderes.

Im neuen Franken-Tatort „Wo ist Mike?“ suchen Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) in Bamberg einen verschwundenen Jungen – Mike. Und finden ihn dann tot in einem Schrank im Keller des Lehrers Rolf Glawogger (Sylvester Groth). Der ist gerade suspendiert. Zwei Schüler haben erzählt, er habe ihnen in den Schritt gefasst. Und dann taucht auch noch ein totes Kind in seinem Keller auf.

„Diese vermeintlichen Übergriffe auf die Jungen haben nicht stattgefunden“, sagt Glawogger. „Ich bin in die Falle getappt, die sie mir gestellt haben.“ Dass Ringelhahn sich zufällig genau in jenen Lehrer verknallt hat und stellvertretend für uns alle zweifeln soll, macht’s nicht besser.

Die Crux der Story: Glawogger ist unschuldig. Er hat weder die beiden Schüler angefasst noch Mikes Tod auf dem Gewissen. Und das bringt diesen Tatort in ein Relevanzdilemma. Denn natürlich ist es relevant, welche existenziellen Folgen es haben kann, wenn Menschen etwa der Vergewaltigung bezichtigt werden. Siehe Jörg Kachelmann.

BR-Tatort: „Wo ist Mike?“, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

Aber wir befinden uns im Jahr 2021. Der Ex-Fußballer Christoph Metzelder hat gerade eine reine Bewährungsstrafe bekommen, obwohl die Bilder und Filme, die er besaß, zeigen, wie Kinder sexuell missbraucht und vergewaltigt werden. Derzeit läuft der Prozess über ein von Münster aus bundesweit agierendes Pädophilie-Netzwerk.

Auch wieder aktuell in der Debatte: der hanebüchene, selbstverleugnende Umgang der katholischen Kirche mit ihren Würdenträgern, die systematisch Kinder missbrauchen; eine Instituttion also, die Aufarbeitung hasenfüßig betreibt, nichts geahnt haben will, eigene „Missbrauchsgutachten“ organisiert, aber keine Verantwortung übernimmt. Und die evangelische Kirche hat gerade frisch ihren Betroffenenbeirat aufgelöst. Das ist unsere Realität.

Stattdessen bespielt die ARD ihren prominenten Sendeplatz mit einer Folge, die das Narrativ bedient: Männer? Tendenziell doch eher falsch beschuldigt.

Mit Blick auf unsere Aufmerksamkeitsökonomie ist die Geschichte, die Thomas Wendrich hier erzählt – trotz Andreas Kleinerts teils effektvoller Inszenierung – nur eines: unverantwortlich. Es ist der Missbrauch des Missbrauchs.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.