Priester über Segnungsaktion: „Die Kirche hinkt hinterher“

Die Segnungsaktion #liebegewinnt hat unter katholischen Geistlichen für Ärger gesorgt. Priester Wolfgang Rothe sieht die Mächtigen an ihre Grenzen stoßen.

Ein Priester segnet zwei Frauen in einer Kirche

Christine Walter und Almut Münster werden bei der Aktion #liebegewinnt in München gesegnet Foto: Felix Hörhager

taz: Herr Rothe, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, hat die Segensfeiern für alle Liebenden, auch für homosexuelle Paare, kritisiert. Warum sind bei einer so harmlosen Sache selbst eher liberale Geister in der katholischen Kirche so allergisch?

Wolfgang Rothe: Bischof Bätzing hat die genannten Segensfeiern als „nicht hilfreich“ bezeichnet. Zurückhaltender kann man kaum Kritik üben. Meinem Eindruck nach wollte er dadurch dem Vorwurf entgegenwirken, sich vor einer Stellungnahme gedrückt zu haben, und zugleich möglichen schärferen Reaktionen zum Beispiel aus den Bistümern Köln, Regensburg oder Passau zuvorkommen.

wurde 1967 in Marburg geboren. Er studierte katholische Theologie in Würzburg und Eichstätt und wurde 1996 zum Priester geweiht. Rothe hat sowohl im kanonischen Recht wie in Theologie einen Doktortitel erworben. Einige Jahre war er im österreichischen Bistum St. Pölten tätig, später wechselte er in das Erzbistum München. Rothe schrieb unter anderem Bücher über schottischen Whisky. Sein Spitzname: Whisky-Vikar. Auf diesem Feld gilt Rothe als einer der Experten in Deutschland.

Woher kommt diese reflexhafte Ablehnung vieler führender Männer in der katholischen Kirche in Sachen Homosexualität – sind das versteckte Ängste, gar Verdrängtes?

Frédéric Martel hat in seinem Bestseller „Sodom“ die These aufgestellt: „Je homophober ein Prälat ist, desto wahrscheinlicher ist er homosexuell.“ Meiner persönlichen Erfahrung nach trifft diese These im Wesentlichen zu. Den ebenfalls von Martel gezogenen Umkehrschluss hingegen wage ich zu hinterfragen: Es gibt durchaus eine ganze Reihe von homosexuellenfreundlichen Geistlichen, die nicht heterosexuell sind.

Wie erklären Sie sich überhaupt die Sex- oder Körperfeindlichkeit bei vielen Führungsfiguren der Kirche? Hat das was mit dem Zölibat zu tun? Oder an uralten seltsamen Äußerungen von Augustinus zum Thema, also zum Beispiel dass vor allem durch Sex die Sünde in die Welt komme?

Die rigide Sexualmoral der katholischen Kirche war über viele Jahrhunderte hinweg schlichtweg Mainstream – nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Gesellschaft. Die Gesellschaft hat sich – Gott sei Dank – weiterentwickelt, während die Kirche dieser Entwicklung einfach um ein paar Jahrzehnte hinterherhinkt. Das wird sie schon noch aufholen. Denn wenn sie dies nicht täte, würde sie in wenigen Jahrzehnten selbst Geschichte sein.

Die Aktion

Mehr als 100 katholische Gemeinden haben rund um den 10. Mai zu Segnungs­gottesdiensten für Liebende eingeladen. Die Aktion sollte ein Zeichen der Toleranz für gleichgeschlechtliche Paare sein. Priester Wolfgang Rothe gehört zu den Unterstützern. Dafür wurde er kritisiert und bedroht.

Der Hintergrund

Die Aktion #liebegewinnt ist eine Reaktion auf den Vatikan. Die Kongregation für die Glaubenslehre hatte am 15. März eine Note veröffentlicht, in der steht, dass die Kirche nicht die Vollmacht hat, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen. (taz)

Wie hoch schätzen Sie den Anteil an homosexuellen Priestern in der katholischen Kirche ein? Gibt es dazu seriöse Statistiken?

Der renommierte Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller geht davon aus, dass bis zu 30 Prozent der katholischen Priester schwul sind. Aus meiner Erfahrung würde ich das eher als die unterste Grenze betrachten. Aber wie dem auch sei: Ob jemand schwul ist oder nicht, sollte meiner Meinung nach keine Rolle spielen – auch nicht bei einem Priester. Wenn der Vatikan (übrigens erst seit 2005) behauptet, Männer mit „tiefsitzenden homosexuellen Tendenzen“ seien, weil sie angeblich keine „korrekte Beziehung zu Männern und Frauen“ aufbauen können, für den Priesterberuf ungeeignet, ist das eine Behauptung, die durch nichts begründet ist – mit anderen Worten: Sowohl diese Behauptung als auch ihre Konsequenz sind absoluter Blödsinn.

Sind in der Kirche vor allem die Männer homosexuellenfeindlich, die dieser sexuellen Neigung vielleicht eher nahestehen – oder ist das jetzt Hobbypsychologie?

Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang noch einmal Frédéric Martel zu zitieren: „Je lautstarker ein Prälat die Schwulen kritisiert, je stärker seine homophobe Obsession ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er unaufrichtig ist, und desto vehementer versteckt er etwas vor uns.“ Ich halte Martels These nur in einem Punkt für ergänzungsbedürftig: Es sind keineswegs nur die Prälaten, auf die das meiner Erfahrung nach zutrifft, sondern nahezu alle, die sich homophob gebärden.

Warum ist überhaupt die Segnung homosexueller Paare für die Reaktionäre in vielen Kirchen so ein weltweites Symbol geworden, dass sie für einen angeblich perversen, verweichlichten Westen steht, in der die Moral flöten gehe?

Bestimmte Kreise und Personen in der Kirche betrachten die Segnung homosexueller Partnerschaften als Angriff auf die heterosexuelle Ehe. Wenn sich allerdings der Wert der heterosexuellen Ehe daran bemisst, dass dergleichen homosexuellen Personen vorenthalten wird, scheint es sich dabei – zumindest in den Augen jener Kreise und Personen – um keinen Wert an sich zu handeln. Tatsächlich verliert die heterosexuelle Ehe nichts von ihrem Wert, wenn dergleichen auch homosexuellen Paaren offensteht.

Pfarrerin segnet zwei Männer in einer Kirche

Brigitte Schmidt segnet Ralf Michael Berger and Andreas Helfrich in Köln Foto: Andreas Rentz

Papst Franziskus zeigt in Gesprächen oft viel Sympathie für Homosexuelle – aber wenn es dann ans Lehramtliche geht, winkt er noch die konservativsten Positionen durch. Das ist doch schizophren, oder?

Zumindest weckt Papst Franziskus durch solche Äußerungen Hoffnungen, die anschließend brutal enttäuscht werden. Das ist zunächst einmal schmerzlicher, als wenn diese Hoffnungen gar nicht erst geweckt worden wären. Andererseits verändert er durch solche Äußerungen ganz behutsam das Gesprächsklima in der Kirche. Unter seinen Vorgängern hätte ich ein Interview wie dieses nicht führen können, ohne ernsthaft meinen Job zu gefährden.

Wird sich die Kirche noch in unseren Lebzeiten mit dem Thema Homosexualität aussöhnen oder muss da erst eine neue Generation in der Kirche an die Macht kommen?

„Macht“ ist ein gutes Stichwort. Nicht nur in Staat und Gesellschaft, sondern auch intern stoßen die Mächtigen in der Kirche immer öfter an die Grenzen ihrer Macht. Denn wer sich autoritär gebärdet, verliert in einer demokratischen Gesellschaft schnell an Autorität. Umgekehrt wächst Autorität mit guten Argumenten. Und da es weder humanwissenschaftliche noch theologische Argumente dafür gibt, Homosexualität moralisch anders zu beurteilen als Heterosexualität, ist die Aussöhnung mit diesem Thema letztlich nurmehr eine Frage der Zeit.

Haben die Homo-Segnungen das Potenzial, die katholische Weltkirche zu spalten?

In einer Weltkirche, die in unterschiedlichen Ländern und Regionen mit ganz unterschiedlichen Problemen und Entwicklungen konfrontiert ist, muss nicht überall alles gleich sein. Die Einheit der Kirche würde durch eine vielfältige Lebenspraxis nicht bedroht, sondern bereichert. Ich halte den katholischen Glauben für stark genug, die Einheit der Kirche zu wahren, auch wenn hierzulande homosexuelle Paare gesegnet werden, anderswo aber (noch) nicht.

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