Corona-Schutz für sozial Benachteiligte: Impftermine von der Erzieherin

Da in ärmeren Vierteln das Coronarisiko höher ist, erhalten Bremer Eltern ein Impfangebot von der Kita. In Hamburg hält man davon nichts.

Gummistiefel in einer Kita

In Bremen gibt es Impftermine jetzt auch in der Kita – zumindest in ärmeren Stadt­teilen Foto: Sina Schuldt/dpa

BREMEN taz | Eltern, die am Donnerstagmorgen ihre Kinder in den evangelischen Kindergarten „Seewenjenstraße“ im Bremer Stadtteil Gröpelingen brachten, wurden am Eingang von den Leiterinnen der Kita mit einer ungewöhnlichen Frage empfangen: Ob sie sich vielleicht impfen lassen wollen, gegen Corona? Nicht in der Kita, sondern an zentralen Plätzen im Viertel, von Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Deutschen Roten Kreuzes, die im Auftrag der Bremer Gesundheitsbehörde schon seit Januar in mobilen Impfzentren im Land Bremen unterwegs sind.

Am Montag geht es los mit den Impfungen, 20 Kindertagesstätten im Stadtteil vergeben seit Donnerstag dafür rund 2.000 Codes – zwei pro Kind – die zu einem bestimmten Impfslot einladen, damit nicht alle auf einmal kommen. Gröpelingen, das zu den ärmsten Stadtteilen zählt und derzeit in Bremen auch am stärksten von Corona betroffen ist, soll nur der Auftakt sein, weitere ähnliche Stadtteile sollen folgen.

Auf diese Weise will die Bremer Gesundheitsbehörde dafür sorgen, dass auch diejenigen gegen Corona immunisiert werden, die sich aus Unwissenheit oder Skepsis gegenüber der Impfung nicht selbst auf die Suche nach einer Ärztin machen, die sie impft. Insbesondere da sie derzeit auch nicht vom Impfzentrum eingeladen werden, weil das nicht wissen kann, dass sie zur Priorisierungsgruppe 3 gehören.

In dieser – der bisher größten – befinden sich nämlich nicht nur Personen über 60 Jahre und solche, die in bestimmten Berufen arbeiten wie im Lebensmitteleinzelhandel oder bei Behörden, sondern auch „Personen, bei denen aufgrund ihrer Arbeits- oder Lebensumstände ein deutlich erhöhtes Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus besteht“. So steht es in der Empfehlung des Robert-Koch-Instituts.

Impfskepsis in Armenvierteln

Und in ärmeren Vierteln ist die Infektionsgefahr besonders groß, wie es vor zwei Wochen am Beispiel Köln deutschlandweit diskutiert wurde. In Bremen ist dies schon seit Herbst bekannt, als die Gesundheitsbehörde erstmals die Inzidenzen auf Stadtteilebene veröffentlichte. Die Begründung für die hohen Infektionsraten lautet heute wie damals: enge Wohnverhältnisse, prekäre Beschäftigung, mangelnde Sprachkenntnisse, fehlender Zugang zu seriösen Informationen über das Infektionsrisiko.

Um die Neuansteckungen zu senken, setzt Bremen seit März wie Hamburg und andere Kommunen auf eine verstärkte Aufklärung vor Ort. Zudem hoffen die Behörden, dass auch die Impfungen dazu führen, dass weniger Menschen in den ärmeren Vierteln erkranken und sich das Virus nicht mehr so stark ausbreiten kann.

Das Problem ist dort aber nicht nur, dass die Betroffenen nicht von den Impfangeboten erreicht werden und womöglich weniger stark eigeninitiativ werden als Menschen mit mehr individuellen und finanziellen Ressourcen. Auch die Skepsis gegenüber den Impfstoffen ist offenbar größer.

Belegt ist dies für Menschen aus Familien mit Einwanderungsgeschichte, die in den ärmeren Vierteln teilweise die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen. „Es zeigt sich, dass Personen mit Migrationshintergrund eine geringere Impfintention aufweisen als Personen ohne Migrationshintergrund“, heißt es in der Zusammenfassung einer Erhebung im Rahmen des Cosmo-Monitoring, eines Gemeinschaftsprojekts verschiedener internationaler Institute unter Federführung der Universität Erfurt.

Die For­sche­r*in­nen weisen allerdings darauf hin, dass dort auch das Alter der Cosmo-Teilnehmer*innen eine Rolle spielen kann. Diejenigen mit Migrationshintergrund seien jünger als die Vergleichsgruppe. Die For­sche­r*in­nen empfehlen, „eine kultursensitive Gesundheitskommunikation“ zu betreiben, „um die Impfakzeptanz und die Impfbereitschaft zu stärken“.

In Bremen gingen die Verantwortlichen aber einen Schritt weiter. Weil es nach ihrer Einschätzung – die von vielen Fachleuten aus dem Sozial- und Gesundheitssystem geteilt wird – nicht reicht, Flyer zu verteilen, sollen dort die Kindertagesstätten für das nötige Vertrauen werben.

Der Plan scheint aufzugehen. Nach Angaben von Carsten Schlepper, dem Geschäftsführer des Landesverbandes evangelischer Kindertagesstätten in Bremen, konnten die Leiterinnen der Kita „Seewenjenstraße“ am Donnerstag 150 von 400 Impfcodes vergeben.

„Die waren ordentlich beschäftigt“, sagte Schlepper der taz. „Die Skepsis ist sehr groß.“ Die Gesundheitsbehörde erhofft sich, dass sich die Kita-Aktion im Stadtteil herumspricht. „Wir wollen im nächsten Schritt weitere Mul­ti­pli­ka­to­r*in­nen ansprechen“, sagt Lukas Fuhrmann, Sprecher der Bremer Gesundheitsbehörde.

Hamburg sieht das Problem nicht

In Hamburg hält man nichts von mobilen Impfteams oder einer Terminvergabe über Kitas. Die Gefahr höherer Ansteckung bestünde „nicht, weil man sich in einem bestimmten Viertel aufhält“, sagt Sozialbehördensprecher Martin Helf­rich.

Gleichwohl könnten Lebensumstände und soziale Lage eine Rolle spielen. Deshalb habe auch Hamburg am Montag die über 21.000 Beschäftigten des Lebensmittel-Einzelhandels zum Impfen aufgerufen. Außerdem erhielten eine Reihe von Arztpraxen in Hamburger Stadtteilen mit höherer Armutsquote wie Wilhelmsburg, die Veddel, Billstedt und Jenfeld 100 zusätzliche Impfdosen pro Woche, um „in ihrem Umfeld“ mehr impfen zu können.

Für Deniz Çelik, Gesundheitspolitiker der Hamburger Linken, ist das halbherzig. „100 zusätzliche Impfdosen pro Woche und Praxis sind ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt er. Zumal es in diesen Stadtteilen generell weniger Praxen gebe. Außerdem gebe es eben eine Hürde, dorthin zu gehen. Die Linke hatte am Mittwoch in der Bürgerschaft beantragt, dass Hamburg – wie in Köln – mobile Impfteams in benachteiligte Quartiere schickt, die dort jeden impfen, der es möchte. Das lehnten SPD und Grüne allerdings ab.

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