Corona und Übergewicht: Nach der Fat-Tax das Impfprivileg

Wer dick ist, erlebt oft Diskriminierungen und wird vielerorts abgelehnt. Jetzt gibt es allerdings zum ersten Mal ein Privileg.

Behandschuhte Hände ziehen eine Impfspritze auf

Menschen mit einem BMI über 30 sind bei der Impfung in der Stufe „erhöhte Priorität“ eingeordnet Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Dick sein bedeutet ein Leben voller erschwerter Zugänge. Wortwörtlich gesprochen etwa durch dickenfeindliches Möbeldesign. Sei es im Flugzeug, im Café oder in Konferenzräumen: Ab bestimmten Körpermaßen betritt maus nicht einfach einen Raum und lässt sich auf die nächstbeste Sitzmöglichkeit fallen. Sie könnte brechen oder zu eng sein. Abstrakter ist der Zugang zu Zärtlichkeit.

Ich meine nicht nur Intimität, sondern die Tatsache, dass dicken Menschen selten Verletzlichkeit zugestanden wird. Da sind Physiotherapeut_innen, die sich vor dicken Körper ekeln. Da sind aber auch diese Gedanken darüber, ob Leute mich eigentlich genauso sehr als Bedrohung wahrnehmen würden, wäre ich zierlich und nicht fett. Dicke Leute, so der Mythos, haben dickere Haut. Du kannst sie härter anpacken. Sie können das ab.

Oder der Zugang zu Sicherheit. Obwohl es nicht legal ist, die Verbeamtung von Menschen mit einem BMI über 30 pauschal abzulehnen, gibt es immer wieder Fälle, in denen entsprechende Anträge erst durch juristische Verfahren bewilligt wurden. Manche Versicherungen, wie die bei Berufsunfähigkeit, gibt es für dicke Menschen nur gegen Risikozuschlag oder manchmal auch gar nicht.

Die sogenannte Fat-Tax, also Dickensteuer, ist auch beim Klamottenkauf fällig: Den Aufpreis zahlen dicke Leute nicht nur beim Buchen eines Flugzeugsitzes, sondern auch beim Shoppen. Davon abgesehen, dass nicht jede Kleidung in allen Größen erhältlich ist, kostet sie oft mehr. Im Klartext heißt das: Nachdem ich ewig darauf warte, ob und wann es einen bestimmten Style in meiner Größe gibt, während skinny Leute ihn monatelang vorher präsentieren, darf ich für den mittlerweile ausgelutschten Style noch schön draufzahlen. Nein, danke.

Ungebetene Diättipps

Noch sorgfältiger wähle ich meine Ärzt_innen aus. In Netzwerken für mehrgewichtige Personen checke ich, welche Praxen empfohlen werden. Ungebetene Diättipps von medizinischem Personal, das keine Ahnung davon hat, wie viel ich mich bewege, wie ich mich ernähre, wie ich lebe, nerven. Ich will am liebsten schreien: „Bitch, ich weiß, wie maus abnimmt, ich hatte den Großteil meines Lebens eine Essstörung.“

Doch jene falschen Annahmen sind nicht die Hauptsache; das sind solche Fälle, in denen dicke Menschen statt der Krebsdiagnose von Ärzt_innen den Ratschlag bekommen, ihr Gewicht zu reduzieren. Dieser Tage wendet sich das Blatt. Während meine gesunden schlanken Freund_innen noch keinen Corona-Impftermin in Aussicht haben, überlege ich, was ich zu meinem anziehe und ob ich vorher ins Solarium soll, damit das Foto von meinem geimpften Arm mehr ballert.

Verbirgt sich hinter der pauschalen Einstufung von Menschen mit Ü-30-BMI als Risikogruppe Fat-Shaming? Mag sein. Ist der BMI ein fragwürdiges Konzept? Safe. Feiere ich diese Entscheidung trotzdem? Definitiv. Zum ersten Mal springt aus meinem Gewicht ein Privileg für mich raus. Yallah, Fatccine auf Ex!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.