Grenzen der Debattenkultur: Kampf den Diskurswächtern

Immer enger werden die Grenzen für den politischen und kulturellen Diskurs. Doch Debatten sind immer dann gut, wenn eigene Zwänge überwunden werden.

Kopf steht über der Menge und spricht zwischen Gewehrkugeln

Wohin man auch blickt: Diskurswächter auf allen Seiten Foto: Otto Dettmer/imago

Ist es Ihnen auch schon aufgefallen? Texte, Features, Filme, Debatten – sie werden immer langweiliger. Oder anders gesagt: Das, worüber wir uns noch erregen können, wird immer belangloser.

Hier über ein Stöckchen der Empörungsstrategien springen, da mit Wortkanonen auf Spatzenhirne schießen (wie jüngst gegen ein paar besserverdienende Medien-Routiniers, die ihren soziophoben Narzissmus auch noch „humorvoll“ verbreiten müssen), das ändert nichts daran, dass Langeweile die Grundstimmung der politischen und kulturellen Diskurse geworden ist. Der Blick verengt sich auf einen schrumpfenden Konsens. Und so sieht das aus:

Schau links. Da stehen zwei Diskurswächter, die sich zugleich zoffen und ergänzen. Der eine hält Wacht über Identitätsrespekt und politische Korrektheit, fest überzeugt, dass wir es ohne ihn nicht hinkriegen, in Sprache und Bild achtsam zu sein. Das andere ist der soziale Anspruch. Das donnernde „Zwischentöne sind nur Krampf, im Klassenkampf“. (Mist, und ich habe doch so ein Faible für Zwischentöne!)

Schau rechts. Da stehen wiederum zwei Diskurswächter. Das eine ist der stramme Nazi oder Coronaleugner, der schlicht mit Gewalt droht. Wir wissen, wo du wohnst! Volksverräter. Lügen­pressler. Und der andere ist ein „konservativer Liberaler“, der behauptet, dass man doch alles noch mal ­sagen dürfen muss, damit eine Freiheit ist. Im T-Shirt (rot auf braun): „Beifall von der falschen Seite“.

Schau nach vorn. Die Diskurswächter haben hier zwei schwere Grenzmarkierungen eingeschlagen. Die eine sagt, dass man gefälligst nicht „utopistisch“ sein darf, sondern ans Machbare denken. Die andere sagt, dass man keinen Alarmismus betreiben und keine Weltuntergangsstimmung verbreiten soll. Wenn man schon kritisiert, dann soll man gefälligst „Lösungsvorschläge“ machen.

Der Raum des Sagbaren schrumpft

Schau zurück. Hier lauern die Wächter, von denen einer sich energisch jede Nostalgie verbittet. Jaja, früher war alles besser. Wir waren schon mal weiter? Verschone uns damit! Der andere verbittet sich diese abscheuliche negative Dialektik. Was soll diese Suche nach langen historischen Wurzeln, heute geht es ums Rechthaben, nicht um Dia­lektik!

Schau nach unten. Doch hier lauert schon der Diskurswächter mit der Keule „Klassismus“. Elitär oder anbiedernd, falsch ist beides. Und dann gibt es „Leute, für die das Recht, in der Scheiße zu leben, höher rangier als das, nicht in der Scheiße zu leben – für manche ist es schlimmer, wenn man sie von oben herab behandelt, als dass man sie verrohen lässt“. So jedenfalls sieht es Taylor Parkes im Hinblick auf linksliberale Patronage. Und der zweite Diskurswächter? Mach dich mal locker, Alter. So’n bisschen Regression und Entertainment, das wirste doch noch liefern können.

Schau nach oben. Je genauer du dorthin schaust, desto deutlicher wird, dass da Leute sind, die wirklich Macht über den Medienmarkt haben. Wenn du einigermaßen über die Runden kommen willst, leg dich nicht mit ihnen an. Und auch dieser Diskurswächter hat einen Begleiter, das ist der Glamour. Du kannst etwas abbekommen, vom Reichtum und von der Macht, dabei sein wenigstens, wenn sich das feiert. Ein Häppchen Kaviar hier, ein Schritt in der Sonne der Wichtigkeit?

Okay. Wir sind umzingelt von Diskurswächtern, die mit sehr unterschiedlichen Mitteln klar machen, was gesagt werden kann und was nicht. Der Raum des Sagbaren, logisch, schrumpft. Und der primäre Impuls, ihn zu begrenzen, ist nicht mehr die Kritik, sondern das Verbot oder mehr noch: ein Verschwinden-Machen, ein Zum-Schweigen-Bringen.

Langeweile und Hysterie

Die linksliberale „Cancel-Kultur“ ist dabei vielleicht nur ein hilfloser Reflex auf eine allgemeine Wanderung des Sagbaren nach rechts. Sie ist ein Klacks gegen die wirkliche Macht des Schweigen-Machens, eignet sich aber für das Pendant der Langeweile: die Hysterie. Dabei wissen wir es nur zu gut: Die Furcht davor, etwas Falsches zu sagen, wird größer als die Hoffnung, etwas Neues und „Riskantes“ zu sagen. Denn mit den erwähnten Diskurswächtern ist es ja nicht getan.

Wir leben und arbeiten in Medien, die einst das kulturelle Rückgrat der demokratischen Zivilgesellschaft bildeten und jetzt auf der Kippe stehen. Sie müssen auf Teufel komm raus einen Markt erhalten, der so prekär wird, dass jeder schlecht gelaunte Leser*innen-Kommentar eine Alarm­glocke läutet. So steht man unter einem Popularisierungszwang, und die Schlüsselfrage wird: Was kann man den Leser*innen, Zuhörer*innen, Zu­schaue­r*in­nen (noch) zumuten und was nicht?

Zugleich wird das Sparen zum zweiten Selbst­erhaltungsmittel. Der Sparzwang wiederum macht gute Arbeit für Texte, Features, Filme und Debatten stets schwieriger. Duckmäuserische Langeweile und wohlfeile Empörung über das vorhersehbar Empörungssuchende, die als Reaktion auf all das erzeugt wird, kann kurzfristig das Überleben von Medien sichern, deren glorreiche Vergangenheit … ups, da sind wir schon wieder an der Diskurswacht.

Aber schon mittelfristig ist abzusehen, dass diese Wechselbäder von Hysterisierung und Langeweile keine Basis für eine dringend notwendige Erneuerung sein können. Diskurse und Debatten sind immer nur so gut, so weit sie ihre Wäch­te­r*in­nen und ihre Zwänge überwinden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.