heute in hamburg
: „Wir wollen die Gefahren nicht wahrhaben“

Digitaler Workshop:

„Energiewende – warum so langsam?!“, 18 Uhr, Anmeldung unter www.naju-hh.de/jugend/klima-coaches

Interview Lukas Door

taz: Herr Hagedorn, warum wird die Energiewende in Deutschland so langsam umgesetzt?

Gregor Hagedorn: Ich glaube, ein Großteil ist auf fehlerhafte Planung zurückzuführen. Es gibt keine ausreichende Kopplung zwischen operationalen Zielen und den konkreten Klimazielen des Pariser Abkommens. In den Medien wird zudem häufig ein Augenmerk auf gute Nachrichten gelegt: Immer wieder wird im Hinblick auf die Energiewende Strom erwähnt, welcher allerdings nur 20 Prozent unseres Energiebedarfs deckt. Ein Anstieg der erneuerbaren Energien beim Strom um 40 bis 50 Prozent klingt im ersten Moment sehr gut, bezieht sich aber nur auf einen Bruchteil des Gesamtproblems.

Ab welchem Punkt kann man überhaupt von einer erfolgreichen Energiewende sprechen?

Von einer erfolgreichen Wende kann man ausgehen, wenn das Energiesystem in Deutschland im Jahr 2035 bis 2040 CO2-Neutralität erreicht hat.

Halten Sie das für realistisch?

Ich sage, ich halte das für machbar. Wenn jeder Mensch begreifen würde, dass wir momentan auf Kosten zukünftiger Generationen leben und dass unser jetziges Handeln unzureichend ist, dann wäre dieses Ziel durchaus erreichbar. Wir betreiben momentan so etwas wie Appeasement-Politik, eine Beschwichtigungspolitik, ähnlich wie Großbritannien gegenüber Deutschland vor Beginn des zweiten Weltkrieges. Wir wollen die offensichtlichen Gefahren nicht wahrhaben und hoffen darauf, dass das Schlimmste nicht eintritt. Wichtig wäre allerdings, vorsorglich etwas mehr zu tun, als gerade nötig erscheint, vor allem in den nächsten zehn Jahren.

Machbar heißt ja allerdings nicht gleich realistisch …

Foto: Steffen Brüggemann

Gregor Hagedorn

55, ist Akademischer Direktor am Museum für Naturkunde Berlin. 2019 initiierte er die Bewegung Scientists for Future.

Tatsächlich realistisch wird das Ganze dann, wenn wir einsehen, dass wir einem Risiko ausgesetzt sind, welches die Existenz der Welt bedroht und das verheerendere Auswirkungen haben könnte als ein Atomkrieg. Auf der anderen Seite ist es allerdings ebenso wichtig, der Krise mit Motivation und Tatendrang statt mit Angst zu begegnen.

Glauben Sie, das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz wird die Energiewende ausreichend beschleunigen?

Das Urteil alleine genügt nicht. Es reflektiert allerdings, dass das Bundesverfassungsgericht ähnlich hohe Risiken sieht. Durch den aktuellen Umgang mit dem Klima wird die intergenerationale Gerechtigkeit verletzt und Freiheiten zukünftiger Generationen werden stark eingeschränkt. Somit haben nicht nur finanzielle Schulden, sondern erstmalig auch reale Klimaschulden, die unsere Kinder tragen müssen, Verfassungsrang. Die Regierung ist nun rechtlich daran gebunden, entsprechend konsequent zu handeln.