Verdrängung aus dem Stadtzentrum: Abschied von einer grünen Utopie

Ein Kollektiv aus Tiny House-Bauern macht den Mirbachplatz seit über zwei Jahren zu einem kreativen Ort. Nun muss es teuren Wohnungen weichen.

Die Tiny House-Bauer: M. Warkentin, K. Maurath, R. Alfantazi, K. Hohaus, P. Grüter Foto: Stefanie Loos

Der Mirbachplatz in Weißensee ist nicht gerade ein lauschiger Ort, nur 2.000 Quadratmeter groß, eher eine Verkehrsinsel, auf die fünf Straßen zulaufen. Wer ihn bis Januar meist nur passiert hat, der hat ihn vielleicht nicht einmal richtig wahrgenommen. Aber plötzlich hat sich der Platz verändert. Fast alle Bäume, die ihn bis dahin zu einer Art geheimen, grünen Oase machten, sind gefällt. Und nun steht nicht nur die Ruine des Turms der 1945 zerstörten Bethanienkirche ziemlich nackt da.

Auch die fünf Tiny Houses, Englisch für Miniaturhäuser, die den Platz seit Herbst 2018 beleben, wirken sehr verloren. Was soll hier geschehen? Bereits vor 20 Jahren hat der Berliner Architekt Bernd Bötzel nach eigener Aussage die ersten Ideen zur Erhaltung des Bethanienturms entwickelt.

„Tower Visions“ heißt das Vorhaben, das Bötzel seitdem hier umsetzen will: Auf dem Grundriss des ehemaligen Kirchenschiffes soll ein moderner Anbau für 14 Wohnungen im „gehobenen Segment“ entstehen, wie es so schön heißt, drei weitere sogar im Turm selbst. Die Bilder der Wohnungen, die auf seiner Website anzusehen sind, sehen irre bis abgehoben aus: Graue Sofas und Flügel unter Kirchengewölben. 2007 gelang es Bötzel, den Turm zu kaufen. Im Mai 2020 wurde sein Bauantrag genehmigt, der die Sanierung des Glockenturms, der weiterhin zweimal täglich läuten soll, berücksichtigt.

Seit Januar dieses Jahres, so Bötzel zur taz, sei nun ein Investor mit an Bord, der noch nicht öffentlich genannt werden will. Ab dem dritten Quartal 2021 soll gebaut werden, die Fertigstellung ist für Mitte 2023 geplant. Die Tiny Houses, denen Bötzel 2018 die Zwischennutzung kostenfrei gestattet hatte, müssen im September weg.

Beredte Gebäude mit starken Statements

An einem sonnigen, trotzdem kalten Frühlingsnachmittag sitzen die fünf Er­baue­r*in­nen der Tiny Houses in ihrer vor allem aus Altbaufenstern kunstvoll zusammengezimmerten Sommerküche und denken darüber nach, welche Funktion der Mirbachplatz für die Nachbarschaft haben wird, wenn hier teure Wohnungen entstehen.

Der Mirbachplatz mit Kirchenruine und Tiny Houses Foto: Stefanie Loos

In der Zeit, als sie hier waren und den Platz kurzerhand „Insel Weissensee“ nannten, durfte die Eisdiele gegenüber ein paar Tische und Stühle aufstellen, auch blieben im Sommer oft Eltern mit Kindern auf dem Nachhauseweg hängen. Manchmal haben sie die Nachbarschaft zum Tonnenfeuer eingeladen. Sie haben Gemüse-Hochbeete für Urban Gardening angelegt und Tauschregale für Bücher aufgestellt.

Der Mirbachplatz wurde ein wilder, grüner, utopischer Ort mitten in der Stadt, eine Brache, wie sie in Berlin immer seltener werden.

Tiny Houses, wer den Begriff für diese aufs Wesentliche reduzierten, oft leicht von einem zum anderen Ort umsetzbaren Behausungen von wenigen Quadratmetern noch nie gehört hat: Das sind in Zeiten von Verdrängung, steigender Mieten und Enteignungsdebatten beredte Gebäude mit starken Statements. Sie erzählen vom mobilen, autarken Leben mitten in der Stadt, vom Recht dazubleiben, auch ohne Stress mit den Ver­mie­te­r*in­nen und all den täglich zu organisierenden Gegenständen, die uns so oft den weiten Blick verstellen.

„Wir haben das alles selbst gebaut“, sagt Max Warkentin, der Architektur studiert hat und auch beruflich Minihäuser entwirft und baut. „Selbst die Schrauben waren recycelt“, sagt er und grinst zufireden.

Blick in die Sterne: Rabee Alfantazi in seiner Jurte auf dem Mirbachplatz Foto: Stefanie Loos

„Wir wussten, dass das hier nicht von Dauer ist“, sagt der Garten- und Landschaftsbauer Kornelius Maurath, dem hier das größte der Tiny Houses gehört. „Und trotzdem war es in letzter Zeit schwer, sich noch zu motivieren, zum Beispiel diese Sommerküche zu bauen.“ Jetzt macht er sich große Sorgen, denn das Haus, das er gebaut hat, ist zwar transportabel, aber wirklich so groß, als hätte es zwei Stockwerke.

Weißensee ist noch ein recht grüner, ruhiger Bezirk, es gibt den Weißen See nebst Kreuzpfuhl, Goldfischteich und Faulem See, überall viel Grün drum herum. Auch macht interessante Architektur wie das vor rund 100 Jahren errichtete Munizipalviertel den Kiez interessant. Man merkt bis heute, dass es als ganzes kommunales Viertel mit guter Infrastruktur geplant war, neben zahlreichen Wohnhäusern befinden sich dort das Primo-Levi-Gymnasium, ein Stadtteilzentrum, ein Wohnheim für junge Erwachsene mit Lernschwierigkeiten.

Die Angst vor Verdichtung geht um

Andererseits gibt es in Weißensee viele Gewerberäume, die leer stehen, auch laden Plätze und Straßen wie die laute Berliner Allee und der Caligariplatz nicht gerade zum Chillen ein. Hinzu kommt die berechtigte Angst der Kiez­be­woh­ne­r*in­nen vor zu starker Verdichtung. Das hat unter anderem ein kürzlich zu Ende gegangener Dialogprozess zwischen Anwohnern und Bezirk ergeben, bei dem es um die Erneuerung des künftigen Sanierungsgebiets rund um die Langhansstraße ging. Der Druck von außen wächst, Familien vor allem aus dem benachbarten Prenzlauer Berg ziehen hinzu, weil sie sich dort keine Wohnungen mehr leisten können.

Weil auch der Mirbachplatz mit dem Bethanienturm zu diesem Gebiet gehört, hätte der Bezirk ein Vorkaufsrecht. Bezirksbügermeister Sören Benn (Linke) sagt der taz, man habe zwar das Vorkaufsrecht geprüft, aber es gebe bislang keinen Bedarfsträger, der dieses Projekt finanziell stemmen könnte. „Fakt ist leider: Jeder, der hier erwirbt, müsste einen hohen Preis zahlen, um dafür ein Gebäude zu erhalten, das derzeit nicht mehr als eine Ruine ist.“ Anders gesagt: Wer den Mirbachplatz für die Nachbarschaft erhalten will, der muss auch den Erhalt des Turms finanzieren.

Die Stimmung unter den Tiny- House-Bewohner*innen auf dem Platz ist derzeit nicht unbedingt wütend, eher gedrückt, trotz aller Nachteile, die der kleine Platz mit dem hohen Verkehrsaufkommen über die zweieinhalb Jahre, die sie hier sind, mit sich brachte. Man habe sich immer gut mit dem bisherigen Eigentümer Bernd Bötzel verstanden, ebenso mit den meisten Nachbar*innen, so die Künstlerin und Initiatorin Pia Grüter, der das kleinste Haus auf dem Platz gehört, ein schickes, schwarzes Haus, das ins einer Form an einen Pferdeanhänger erinnert und wirklich nur das Nötigste bietet: Einen Schlafplatz, einen Arbeitsplatz, eine Miniküche und etwas Stauraum.

„Im Augenblick schauen wir uns nach Alternativen um“, sagt sie. Bernd Bötzel, so Grüter, habe sich vor etwa einem Jahr darum bemüht, ein Grundstück in Neukölln zu vermitteln, daraus sei aber leider nichts geworden. Laut eigener Aussage sucht er weiter nach Alternativen für die Gruppe.

Es ist wohl eher unwahrscheinlich, dass sie als Gruppe zusammenbleiben werden. Da ist zum Beispiel jemand wie Rabee Alfantazi, der es vor zwei Jahren im Flüchtlingsheim nicht mehr ausgehalten und sich auf dem Platz eine gemütliche Jurte mit überzeugendem Blick in den Sternenhimmel gebaut hat: Er hat schon Aussicht auf einen anderen Ort. Einige werden wohl Berlin verlassen, bei anderen stehen nun erst mal andere Projekte im Vordergrund. „Unsere Zeit auf der Insel war auch ein Nährboden für neue Ideen“, sagt Pia Grüter. „Wir wollen nicht nur melancholisch sein.“

Ach, übrigens: Wer einen Ort weiß, der kann gern eine Mail an die Bewohner der Tiny Houses in Weißensee schreiben: insel.weissensee@gmail.com.

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