Von lustlos bis unruhig

Fünf Typen der Langeweile gibt es, fand das internationale Forschungsteam um den Psychologen Thomas Götz heraus – und seit einem Jahr Pandemie kennen wir vermutlich alle von ihnen

Von Stella Schalamon

Die indifferente Langeweile

Sie haben den ganzen Tag mit Uni-Seminaren auf Zoom verbracht. Jetzt nur noch diese eine letzte Vorlesung, dann endlich den Laptop zuklappen und aufs Sofa. Aber, oje: Die Augen fallen schon fast zu. Und worüber redet die Professorin da eigentlich? Irgendwie interessiert Sie das gar nicht. Wenn es doch bloß keine Pflichtveranstaltung wäre. Was soll’s, Sie lehnen sich einfach zurück und lassen die Vorlesung an sich vorbeiziehen. Eigentlich ganz entspannend. Das internationale Forschungsteam um Thomas Götz bezeichnet diesen Typ Langeweile in seiner Studie von 2006 als indifferente Langeweile. Sie sind zwar gleichgültig und ziehen sich von der Außenwelt zurück, empfinden es aber doch als Erholung, nach dem langen Tag herunterzufahren. Solange Sie nicht zu oft in ihr versacken: Beobachten Sie mal, wohin Sie die dahinplätschernde Langeweile führt.

Erregung: gering

Wertigkeit: leicht positiv

Die reaktante Langeweile

Och nö, Ihre Chefin hat Ihnen schon wieder eine dieser schier endlosen Excel-Tabellen ins Homeoffice geschickt, und die sollen Sie jetzt akribisch durchsehen und kontrollieren. Sie wissen schon jetzt: Das wird Sie den ganzen Tag beschäftigen. Sie können Ihrer Chefin aber nicht sagen, wie sehr Sie diese Tabellen anöden. Jetzt sitzen Sie davor, die Spalten und Zeilen verschwimmen vor Ihren Augen, wütend markieren Sie alles mit dem Mauszeiger, die Entfernen-Taste lockt verheißungsvoll. Wieso kann diesen ollen Job eigentlich kein Computerprogramm machen? Wuaaah! Bei reaktanter Langeweile wollen Sie so schnell wie möglich der Situation entkommen und empfinden eine starke Abwehrreaktion gegen die Personen, die für diese Situation verantwortlich sind. Sie ist Ihnen hochgradig unangenehm, Sie sind unruhig oder sogar aggressiv. Nutzen Sie die Langeweile dazu, sich zu überlegen, wie Sie die Situation für sich erträglicher machen können oder was Sie ändern müssen, um aus ihr herauszukommen.

Erregung: sehr hoch

Wertigkeit: sehr negativ

Die kalibrierende Langeweile

Es ist der erste Frühlingstag. Der Auftrag, der Sie die letzten Wochen beschäftigt hat, ist abgegeben, und die Kinder konnten nach negativem Schnelltest doch spontan in die Ferien bei den Großeltern. Jetzt wäre endlich mal Zeit, all das zu tun, wonach Sie sich gesehnt haben: mit dem Buch in der Sonne liegen, ei­ne*n Freun­d*in zum Spazierengehen treffen, dieses neue Rezept ausprobieren, die Blumentöpfe bepflanzen, mit dem*­der Part­ne­r*in einen Film gucken. Ihre Gedanken huschen hin und her. Sie wollten doch eigentlich was alleine machen. Aber so ein bisschen Gesellschaft könnte auch nett sein. Das Wetter ist viel zu gut, um drinnen zu bleiben. Aber die Badewanne wäre so gemütlich. Die kalibrierende Langeweile macht Sie unentschieden und unsicher. Sie bleiben aber gleichzeitig offen für Situationen, die Sie aus diesem Ihnen unangenehmen Zustand herausholen – wenngleich Sie nicht aktiv danach suchen. Geben Sie sich dieser Langeweile ruhig einmal hin.

Erregung: höher

Wertigkeit: leicht negativ

Die apathische Langeweile

Es ist ja nicht so, dass Ihr Leben vor dem Lockdown besonders abwechslungsreich gewesen wäre. Aber ab und zu ist wenigstens die Familie vorbeigekommen, hat Kuchen mitgebracht. Manchmal haben Sie die Nach­ba­r*in­nen im Hof auf einen Plausch getroffen. Jetzt kommt niemand mehr vorbei, die Hoftreffen ergeben sich nicht mehr. Sie stehen jeden Tag irgendwann auf, essen, schlagen lustlos die Zeitung auf und wieder zu, schauen aus dem Fenster, besprühen Ihre Grünpflanzen, um dann wieder schlafen zu gehen. Die Eintönigkeit ist unerträglich. Sie fühlen sich ihr ausgeliefert und hilflos. Alles ist irgendwie egal geworden. Die apathische Langeweile haben die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen erst in einer Folgestudie 2013 entdeckt. Sie erinnert an Depressionen, weil Sie es kaum schaffen, jeden Tag aufs Neue aufzustehen, und Sie eine starke Unlust empfinden. Sie sollten versuchen, so schnell wie möglich aus dem Zustand herauszukommen. Zögern Sie nicht, sich Hilfe zu suchen.

Erregung: sehr gering

Wertigkeit: sehr niedrig

Es ist Lockdown und auch noch Sonntag. Arbeiten müssen Sie heute nicht, die Fenster haben Sie gestern schon geputzt, die letzte Folge der Netflix-Serie gerade zu Ende geschaut und die Corona-App Ihrer Freun­d*in­nen steht wieder auf Rot. Und jetzt? Sie gucken umher, können nicht still sitzen und tigern durch die Wohnung. Die suchende Langeweile empfinden Sie wegen der Unruhe zwar als unangenehm. Sie lässt Sie aber offen und aktiv nach Wegen suchen, aus diesem Gefühl herauszukommen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Sie so auf einmal Ihre vertrockneten Pinsel und Farben heraus­kramten, die Möbel umstellten oder mit Ihrem alten Skateboard ein paar Runden drehten. Es lohnt sich also für Sie, sich auf diese Langeweile einzulassen.

Erregung: höher

Wertigkeit: negativer