Neuer Inspektor-Takeda-Krimi: Wenn Roboter morden könnten

Henrik Siebolds Krimi „Inspektor Takeda und die stille Schuld“ beleuchtet nicht nur die Zukunft der Pflege. Er erinnert auch an den „Bluterskandal“.

Roboterhand schüttelt Menschenhand

Ambivalente Fähigkeiten: Hand eines Assistenzroboters 2018 in Garmisch-Partenkirchen Foto: Sven Hoppe/dpa

HAMBURG taz | Und wieder hat er einen hoch aktuellen, spannenden Hamburg-Krimi geschrieben. Nicht nur, dass auch Henrik Siebolds inzwischen fünfter Takeda-Krimi, „Inspektor Takeda und die stille Schuld“ von der Spannung zwischen Japanischem und Deutschem lebt, wenn sich der Tokioter Austausch-Kommissar bei der Hamburger Kripo zurechtzufinden versucht. Anhand der Beziehung zwischen Takeda und der Ermittlerin Claudia verhandelt Siebold zudem die Frage, wo die Grenze zwischen kulturellen Unterschieden und individuellen Eigenheiten verläuft; und wo genau die Ursachen für Missverständnisse liegen.

Aber es geht auch plakativer – etwa, wenn Takeda anstelle einer klaren Antwort stets „ja und nein“ sagt. Oder wenn er wegen seiner – in Japan selbstverständlichen – Power-Naps als vermeintlich Obdachloser aus dem deutschen Café fliegt. Andererseits ist dieser Kenjiro Takeda, nächtens auf dem Fischmarkt-Anleger Saxofon spielend, bald Hauptattraktion im Jazzclub „Bird’s“, dessen Publikum seine schrillen Tiraden zu schätzen weiß.

Der Japan-Bezug der 2016 begonnenen Takeda-Serie kommt nicht von ungefähr: Henrik Siebold – eines von mehreren Pseudonymen des Autors Daniel Bielenstein – lebt in Hamburg, ist aber in Japan aufgewachsen und hat später auch in Tokio studiert. Auf seiner Homepage nennt Bielenstein Japan „ferner Spiegel“ und „Sehnsuchtsort“.

Er weiß also, wovon er spricht, kennt auch die Ambivalenzen des Landes und benennt sie auch in diesem Roman. So ist der in Japan entwickelte Pflegeroboter „Lisa“ stets in der Nähe, wenn Brände und Morde an Alten passieren, sei es in der Seniorenresidenz, sei es zuhause. Ein, zwei, acht Menschen kommen so ums Leben, und sie scheinen erst mal nichts gemeinsam zu haben.

Roboter mit kindlichen Augen

Nebenbei erfährt man, dass Konstruktion und Programmierung von Pflegerobotern eines der wenigen Technologie-Segmente ist, in dem Japan heute noch dem Konkurrenten China voraus eilt. Und dass es darum umso wichtiger ist, Geräte wie Lisa auch am deutschen Markt zu etablieren. Aber ihre Schöpfer wissen auch um hiesige Skepsis, deshalb ist Lisa weiblich, etwas kleiner als ein Mensch und hat kindlich große Augen.

Lisa lernt, wie in der Künstlichen Intelligenz üblich, durch Beobachtung: Sie soll ja im deutschen Umfeld agieren, muss also die hiesigen Eigenheiten kennen. Aber genau dieses Beobachten weckt Misstrauen und Angst. Nicht nur, dass die PflegerInnen in besagter Seniorenresidenz fürchten, eines Tages großflächig durch solche Roboter ersetzt zu werden. Sie fühlen sich von Lisa auch kontrolliert – und vermuten, dass das entfernt menschenähnliche Gerät Arbeitstempo und etwaige Fehler speichert und an die Chefin weitergibt.

Dazu kommt eine Merkwürdigkeit: Was eine Lisa lernt, wissen dann angeblich gleich alle aus derselben Serie – aber im entscheidenden Moment erkennt Lisa #2 die Ermittlerin Claudia nicht wieder. Weitere Ungereimtheiten tun sich auf, zumal nicht mal Lisas Konstrukteure ganz genau zu wissen scheinen, was sie so alles kann. Also sorgen sie sich, dass etwas schief gelaufen sein – und der Roboter tatsächlich gemordet haben könnte.

Der Science-Fiction-Autor Isaac Asimov ersann in den 1940er-Jahren vermeintlich fest installierte Gesetze, denen zufolge ein Roboter keinem menschlichen Wesen Schaden zufügen darf (oder durch Untätigkeit zulassen, dass der Mensch Schaden nimmt). Aber im Krimi nun – und wohl noch mehr in der Realität – scheint die Idee auf, dass es auch das Gegenstück geben könnte: Roboter zum Kriegführen, Roboter ausdrücklich zum Töten programmiert.

Wie also sicher sein, dass nicht Lisa mit ihrer eingebauten Injektionsnadel den Alten die tödliche Überdosis Insulin gespritzt hat? Ein beunruhigendes Zukunftsszenario, das rechtzeitig und öffentlich diskutiert gehört. Einen wichtigen Beitrag leistet Siebold mit diesem Krimi, ohne dabei in trockene Wissenschaftsexkurse zu verfallen.

Schließlich, nachdem Ermitt­lerInnen und KonstrukteurInnen allerlei Möglichkeiten ergebnislos untersucht haben, merken sie dann doch noch, dass die drei eigentlich gemeinten Toten etwas verband: Als Wissenschaftler waren sie mitverantwortlich für den „Bluterskandal“ der 1980er-Jahre.

Damals hatte die US-amerikanische Firma Cutter Laboratories – eine Bayer-Tochter, bei der auch deutsche Wissenschaftler arbeiteten – Blutkonserven nach Japan verkauft, über die bekannt war, dass sie mit HIV infiziert sein könnten. Eigentlich hätte man diese Vorräte, deren Verkauf die USA und andere Länder längst gestoppt hatten, vernichten müssen. Aus Profitgier entschied Cutter aber 1984, dieses Blut unter anderem nach Japan zu vertreiben – auch gegen dortige Bedenken, wie Siebold im Nachwort schreibt. Etliche japanische Hämophilie-PatientInnen, die das Plasma wegen seiner Gerinnungsfaktoren bekamen, erkrankten an Aids und wurden von der Gesellschaft massiv ausgegrenzt, ja: teils nicht einmal medizinisch behandelt.

Henrik Siebold: „Inspektor Takeda und die stille Schuld“. Aufbau Verlag 2021, 366 S., 10 Euro

1985 stellte Cutter diese Geschäfte ein, bei denen auch Korruption auf japanischer Seite eine Rolle gespielt hatte. Erst 1996 sagte Bayer als letzter von fünf verantwortlichen Konzernen den 400 Betroffenen, die 1989 vor Gericht gegangen waren, eine Entschädigung zu: Jedes Opfer sollte 630.000 Mark bekommen, dazu eine Rente von bis zu 2.000 Mark monatlich. Zu diesem Zeitpunkt waren 40 Prozent der KlägerIn­nen allerdings in Folge der Infektion gestorben. Und die Geschichte ist nicht zu Ende. Das Thema mag in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend vergessen sein, aber das Trauma bleibt lebendig: in „Inspektor Takeda und die stille Schuld“ in Gestalt des Sohnes eines der Opfer.

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