Sternenstaub
in
meiner
Stube

Foto: Thomas Imo/photothek/imago

Da liegt er schon wieder, na toll. Der Blick wandert durch die Wohnung auf der Suche nach Zerstreuung, oder einer kurzen Bildschirmpause, der Blick kennt hier nach einem Jahr gesteigerter Homeofficelifelivingzeit jeden Winkel, jeden Fleck auf der Raufasertapete, jede Spinnwebe und jede einzelne Stelle, an der sich in unerklärlicher Geschwindigkeit neue Staubflusen ansammeln.

Hausstaub, Hausmensch, die friedliche Koexistenz ist unmöglich. Der Staubsauger arbeitet täglich, besonders an dieser einen Ecke da neben dem Bett, wie kommt der Staub dahin, was will er dort, warum kriecht er ausgerechnet in die Fugen zwischen die Dielen, wieso bleibt er nicht einfach weg, er nützt nichts und er tut nichts außer sich immer wieder zu sammeln und vor sich hin zu existieren, das bringt nichts, das trägt nichts bei, das sieht nicht gut aus, das geht nicht, das stört.

Der Blick wandert aus dem Fenster auf der Suche nach der restlichen Welt. Draußen sammeln sich Gesichter in der Sonne, endlich Sonne. Drinnen sammeln sich Fussel und Feinstaub und Fasern und Bakterien und Milben und Milbenkot und Hautschuppen und: kosmischer Staub. Etwa 40 Tonnen komischer Staub rieseln jeden Tag aus dem Weltraum auf die Erde – intergalaktisch, interstellar, interplanetar, zirkumplanetar – und ein Großteil davon muss in dieser Wohnung landen, es kann nicht anders sein.

Dann sammelt sich alles, was zusammengehört, Fussel und Feinstaub und Fasern und Bakterien und Milben und Milbenkot und Hautschuppen und das Weltall, vielleicht einfach bloß um auf Dielen herumzuliegen, jeden Tag, mehr nicht. Da liegen wir also zusammen, in Teilchen. Und der Blick wandert auf die Wollmaus auf der Suche nach dem Universum.

Lin Hierse