die woche in berlin
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Die bundesweite Corona-Notbremse gilt, aber wirkt sie auch? Nach der Wasserversorgung ist nun auch das Stromnetz fast wieder in der Hand des Landes Berlin. Und die Kandidaten und Programme der drei Regierungsparteien für die Abgeordnetenhauswahl im September stehen jetzt fest

Mürbe vom ewigen Dauerlockdown

7-Tage-Inzidenz sinkt. Aber auch die Laune der Ber­li­ner

Seit einer Woche zieht Berlin gemeinsam mit den anderen Bundesländern an der Corona-Notbremse – und doch, sie bremst. Zwar ist die deutlich gesunkene 7-Tage-Inzidenz wohl auch dem Umstand geschuldet, dass die Senatsverwaltung für Gesundheit für ihren Covid-Lagebericht nun nicht mehr die eigenen Zahlen der Gesundheitsämter als Grundlage nimmt, sondern – der bundesweiten Einheitlichkeit halber –, auf die Statistik des Robert-Koch-Instituts vertraut. Stand Donnerstag lag der 7-Tage-Wert da nur noch bei 130 – nachdem die Berliner Zahlen bis zum vergangenen Wochenende um den Wert 150 pendelten (und der Bremseffekt kann das noch nicht sein).

Man muss das aber mathematisch auch gar nicht im Detail durchdringen, um zu verstehen: Das Einzige, was in Berlin derzeit noch nach oben geht, ist die Zahl der wenigstens schon einmalig Geimpften, die lag gen Wochenende nämlich bei immerhin fast einem Viertel der BerlinerInnen. Und das stimmt doch schon ein bisschen optimistischer als in den vielen Wochen zuvor.

Zufrieden sind die BerlinerInnen allerdings trotzdem nicht. Im Gegenteil: Parallel zur 7-Tage-Inzidenz sinkt auch die Zustimmung der Bevölkerung zum Pandemiemanagement des Senats. Nur noch 30 Prozent finden gut, wie die rot-rot-grüne Koalition die Krise händelt (oder honorieren zumindest den Versuch), hatte am Mittwoch eine Umfrage von Infratest dimap im Auftrag von RBB und Berliner Morgenpost ergeben. Im Februar waren es immerhin noch 44 Prozent gewesen, die dem Senat ihr Wohlwollen ausgesprochen hatten.

Kann man sich darüber wundern? Eigentlich überhaupt nicht. Denn tatsächlich kommt von dem Gefühl, dass da jetzt ein Land kollektiv die Notbremse zieht, nicht besonders viel an. Der größte Teil der Bevölkerung ist mürbe vom inzwischen monatelangen Dauerlockdown. Und die Notbremse fühlt sich auch nicht anders an als die angezogene Handbremse, mit der man ohnehin unterwegs war bisher.

Paradoxerweise wäre die Akzeptanz der Notbremse beziehungsweise des „Pandemiemanagements“ vielleicht sogar größer, wenn sie ein bisschen mehr wehtun würde. Aber de facto sind die Auswirkungen der im Vorfeld heiß diskutieren nächtlichen Ausgangssperre ab 22 Uhr überschaubar. Weil sie Ausnahmen kennt, etwa das Joggengehen bis 24 Uhr, weil sie nicht kontrollierbar ist, weil es bei dem bescheidenen Frühlingswetter bisher ohnehin keine lauen Nächte im Park zu verbringen gibt. Zudem ist das Berliner Infektionsschutzgesetz, etwa was die erlaubten Kontakte und die Homeoffice-Regelungen angeht, sogar strenger als die Bundes-Bremse.

Da bleibt das Gefühl, dass man da etwas Notbremse nennt – aber tatsächlich ist es nur die alte Handbremse, die nur noch ein bisschen lauter quietscht, und man weiß gerade auch nicht so genau, wofür man sich da quält. Kleinere Zugeständnisse, wie die Tatsache, dass jetzt auch Genesene nicht mehr der Testpflicht beim Shoppen unterliegen? Nett, aber geht im Nachrichtengetöse auch gleich wieder unter.

Ein größeres Signal wäre, mit Blick auf den nun anbrechenden Mai, eine vorsichtige Öffnungsperspektive für die Außengastronomie. So weit ist die magische 100, unterhalb der die Inzidenz liegen müsste, nicht mehr weg.

Anna Klöpper

Infrastruktur in öffentliche Hand

Senat kauft das Stromnetz vom Konzern Vattenfall zurück

Vor acht Jahren sprachen sich in einem Volksentscheid 83 Prozent für die Rücküberführung des Stromnetzes in kommunalen Besitz aus – der Erfolg scheiterte lediglich knapp an der zu geringen Wahlbeteiligung. Dass der Senat diese Woche beschlossen hat, das Stromnetz vom schwedischen Konzern Vattenfall zurückzukaufen und damit zu rekommunalisieren, darf also durchaus als Vollzug des Mehrheitswillens der interessierten Stadtöffentlichkeit verstanden werden.

Zweifelsohne ist die Entscheidung richtig, denn die Infrastruktur einer Stadt – in diesem Fall Leitungen, Umspannwerke, Netzknoten und -stationen – hat nichts in den Händen privater Konzerne und ihrem Profitstreben verloren. Das sahen Mitte der 1990er Jahre noch weniger Menschen so: Damals verkaufte Berlin seine Mehrheit an dem städtischen Elektrizitätsversorger Bewag an ein Industriekonsortium, das nach mehreren Weiterverkäufen im Vattenfall-Konzern aufging. Repariert wird also ein Fehler der Vergangenheit.

Ein Schlusspunkt wird damit auch dem jahrelangen Streit um die Vergabe der notwendigen Konzession gesetzt, die Bedingung dafür ist, das Stromnetz zu betreiben. Schon 2014 lief die Konzession für Vattenfall aus. Gegen das Vergabeverfahren hatte sich der Konzern juristisch gewehrt und damit den Mitbewerber, den Landesbetrieb Berlin Energie, ausgebremst. Jetzt kommt dieser zum Zug. Vattenfall bekommt dafür 2,14 Milliarden Euro.

Die Summe soll den Landeshaushalt nicht belasten, sondern über Kredite finanziert werden, die dann aus dem Gewinn des Netzbetriebes – etwa 100 Millionen Euro pro Jahr – zurückgezahlt werden. Nach demselben Modell will übrigens auch das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen die Entschädigungen für die Wohnungsunternehmen bezahlen. Dass der Senat beim Stromnetz zeigt, dass das geht, dürfte der Initiative Auftrieb geben.

Eine umstrittene Frage bleibt: Wird auch die Genossenschaft Bürger Energie Berlin zukünftig am Betrieb des Stromnetzes beteiligt? Der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag hatte sich auf die genossenschaftliche Beteiligung festgelegt. Und das Ziel ist weiter richtig: Es geht nicht mehr nur um die Dualität Staat oder Markt; eine demokratische Gesellschaft heutzutage muss bei öffentlichen Unternehmen Bür­ge­r*in­nen und damit auch Kun­d*in­nen einbinden. Erik Peter

Zweifelsohne ist die Ent­scheidung richtig, denn die Infra­struk­tur einer Stadt hat nichts in den Händen privater Konzerne mit ihrem Profit­streben verloren

Erik Peter über die Entscheidung des Senats, das Stromnetz für 2,14 Milliarden Euro zurückzukaufen

Auch in Berlin gilt: die Würfel sind gefallen

Parteitage bei SPD, Linkspartei und Grünen zurren alles fest

Wie zitierte doch jüngst der Nicht-Römer, aber gleichfalls machtorientierte Markus Söder einen Machthaber früherer Zeiten, Julius Cäsar? „Alea iacta est“, die Würfel sind gefallen.

Das lässt sich nach dem vergangenen Wochenende nun auch für die Abgeordnetenhauswahl am 26. September sagen. Kandidaten und Programme stehen weitgehend fest, Franziska Giffey, Klaus Lederer und Bettina Jarasch sind bei Parteitagen von SPD, Linkspartei und Grünen von den eigenen Leuten noch mal ausgiebig beklatscht worden. Spätestens ab jetzt gilt: Außerhalb der eigenen Blase jene begeistern, die der jeweiligen Partei nicht mehr allzu viel abgewinnen können (vor allem Giffey) oder die einen noch gar nicht kennen (vor allem Jarasch).

Die im Juni nochmals tagende CDU hingegen – große Umfrageverliererin des parteiinternen Söder-Laschet-Machtkampfs – kann vorerst nur hoffen, dass sie genauso stark auch in die andere Richtung mitgerissen wird, falls sich der Abwärtstrend auf Bundesebene wieder wendet. Sechs Prozentpunkte haben die Berliner Christdemokraten in der jüngsten Insa-Umfrage weitgehend ohne eigenes Zutun verloren. Von 22 Prozent auf 16 sind sie abgerutscht, während die Grünen von 18 Prozent auf 25 stiegen.

Eine Sache fällt bei dieser Umfrage noch mehr ins Auge: Die SPD, die auf Bundesebene – obwohl es ja nicht bei ihr, sondern bei der CDU einen Führungsstreit gab – auf nur noch 13 Prozent abgesackt ist, hat in Berlin gegen den Trend leicht hinzugewonnen und liegt nun bei 19 Prozent. Trotz pandemiebedingten Ausfalls großer Wahlkampfveranstaltungen scheint sich allmählich die Bekanntheit und persönliche Beliebtheit von SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey bemerkbar zu machen. Seit Wochen tourt die Noch-Bundesministerin in kleinem Stil, aber medienwirksam durch die Bezirke. Und das zieht offenbar.

Für sie und die Sozialdemokraten wird es ein Wettlauf mit der Zeit: Werden bis spätestens Ende der Sommerferien genug Menschen geimpft sein, damit große Wahlveranstaltungen erlaubt sind? Damit Giffey die größtmögliche Zahl von Menschen erreichen kann? Denn Talkshows und digitale Kandidatenrunden hin oder her – die Neuköllner Ex-Bürgermeisterin begeistert am meisten im direkten Kontakt.

Zusätzlich spannend macht die Sache dabei, dass die drei aktuellen Koalitionspartner mit so unterschiedlichen Ansagen oder zumindest interpretationsfähigen Äußerungen zu künftigen Bündnissen in den Wahlkampf gehen. Während die Linkspartei den konservativen Part gibt, nichts ändern und in jetzigen rot-rot-grüner Zusammensetzung weitermachen will, gibt es bei den Grünen dafür bloß eine Priorisierung, allerdings unter grüner Führung.

Eine „Ausschließeritis“ von Optionen lehnt Jarasch nach den Erfahrungen der Thüringen-Wahl 2020 ab. Giffey erweckte hingegen kürzlich in einem Interview den Eindruck, sich für ein Bündnis mit CDU und FDP erwärmen zu können – dem in der Umfrage aber drei bis vier Prozentpunkte zu einer Mehrheit im Parlament fehlen. Und der von dem Bayern Söder zitierte Römer Cäsar hat an anderer Stelle noch etwas gesagt: „Veni, vidi, vici“, ich kam, sah und siegte. Während das Sätzchen mit den Würfeln für alle passt, wird diese Worte am 26. September mit Blick auf das Rote Rathaus nur einer oder – mutmaßlich – eine sagen können. Stefan Alberti

das war‘s