Walburga feiert nicht

Die Walpurgisnacht wird seit Jahrhunderten begangen. Doch Partys fallen dieses Jahr leider aus. Lediglich Kundgebungen sind erlaubt

So schön-feurig ging es in früheren Jahren in der Walpurgisnacht im Mauerpark in Prenzlauer Berg zu Foto: Björn Kietzmann

Von Heiko Werning

Der Frühling macht den Menschen wuschig. Wenn alles um ihn herum blüht, balzt und befruchtet, drängt es ihn, da mitzutun. Irgendeine mythologisch-religiöse Begründung findet sich ja immer, und schon hat man so etwas wie das Fest Beltane, zu dem keltische Unter- und Oberwelt sich ganz nah kamen, Elfen sichtbar über Hügel sprangen und also ein guter Anlass gefunden war, ein neues Jahr zu beginnen samt entsprechenden Silvesterritualen. Damals halt noch am 30. April.

Von Region zu Region bildete sich ein ganzes Panoptikum von Ritualen und Bräuchen. Durch alle wabert die Libido. Mal wurden Birken umgehauen und der Liebsten vors Haus oder auf den Dorfplatz gestellt – denn was bildet Liebe und Fruchtbarkeit besser ab als ein sterbender Baum?

Mal sprang man übers Feuer, um die Partnerwahl ordentlich anzuheizen. Und mal ging es wohl auch ganz direkt zur Sache, wie wir aus maximal seriöser Quelle (schamanen-garten.de) erfahren: Denn in der Nacht zum 1. Mai „schießt die Kraft in die Bäume“, „vermählt sich die Götterwelt“, „wird der neue Hirschkönig erkoren“, geht es mithin also um „Vereinigung“. Klares Resultat: „Kinder, die in dieser Nacht gezeugt wurden, galten von jeher als Wesen mit besonderen Gaben.“

Dazu passt der Hinweis auf Wikipedia (Sektion „Tradition und Brauchtum“), „dass Mädchen mit entblößten Genitalien über Steine rutschten, um sich dabei ihren Liebhaber zu wünschen“ … „Ruhig bleiben und Dildos benutzen“, möchte man ihnen da heute mit der coronazeitgerechten Werbung von Dildoking zurufen.

Doch wo es um Frauen und Sex ging, war schon früh von Hexen die Rede, die in dieser Nacht auf ihre ­Besen steigen, um zum auch ­Blocksberg genannten Brocken im Harz zu fliegen. Wenn ihnen das zu weit weg war, tat es auch der Hügel um die Ecke. In Berlin stieg der ­Hexentanz auf dem Scharfen Berg in Tegel, der auf der entsprechend benannten ­Insel Scharfenberg liegt und dessen Gipfel im Lauf der Jahrhunderte ganz platt getanzt worden sein soll.

Den hehren Christenmenschen behagte das archaische Brauchtum nicht, und so bemühten sie sich, es wie üblich zu kapern und in ihre Bahnen zu lenken. Zumindest beim Namen ist ihnen das vollumfänglich gelungen. Denn die Walpurgisnacht geht zurück auf den 1. Mai, den Tag der Heiligsprechung der Äbtissin Walburga, die im 8. Jahrhundert von England aus nach Deutschland kam, um die hiesigen Heiden zu missionieren. Den Begriff „Walpurgisnacht“ prägte der Leipziger Autor Johannes Praetorius 1668, populär wurde er durch Goethes „Faust“.

Zunehmend dienten die Walpurgisnachtfeiern eher dazu, Hexen zu vertreiben, statt mit ihnen zu feiern. Statt der aus magischen Zutaten gefertigen wolluststeigernden und berauschenden „Hexensalbe“ gibt’s nur noch Maibowle, und spätestens mit der flächendeckenden Einführung des „Tanzes in den Mai“ schien diese Entwicklung vollendet.

Demonstrationen Wegen der Coronamaßnahmen sind Feierlichkeiten zur Walpurgisnacht auch im Freien verboten. Demonstrationen bleiben grundsätzlich erlaubt. So fordert die Initiative Take Back The Night zur „wütenden feministischen Demo ohne Cis-Männer in Kreuzberg“ auf. Treffpunkt 20 Uhr am Spreewaldplatz – bedenklich knapp vor der nun beschlossenen Ausgangssperre (siehe Seite 52). Die Initiative Hände weg vom Wedding ruft in Fortschreibung der Tradition der Antikapitalistischen Walpurgisnacht zur Demonstration „Von der Krise zur Enteignung“ auf, Treffpunkt 17 Uhr am Leopoldplatz.

Die traditionellen Feiern im Harz mit physisch anwesendem Publikum entfallen coronabedingt, dafür aber lädt der Harzer Tourismusverband unter www.harzinfo.de zur „digitalen Walpurgisnacht“, an dem deshalb sogar Berliner*innen problemlos teilnehmen könnten – Hexerei! (wer)

Bis die Frauenbewegung in den 1970ern den Hexenbegriff für sich reklamierte und die Walpurgisnacht emanzipatorisch-feministisch besetzte. Spätestens mit „Bibi Blocksberg“ war diese wilde Phase bürgerlich eingehegt, und so begann die neue Prominenz der Walpurgisnacht in Berlin nach der Wiedervereinigung zunächst auch eher unpolitisch in Prenzlauer Berg als Happening der neu in den Bezirk geströmten Einwohner*innen. Mit zunehmender Gentrifizierung politisierte sich die Nacht wieder, bis es Mitte der 1990er zu Ausschreitungen kam. Allmählich wurde die Walpurgisnacht im Berliner Festtagskalender zur echten Konkurrenz für den schon etwas ausgezehrten Revolu­tionären 1. Mai in Kreuzberg.

Schließlich zog sie als Antikapitalistische Walpurgisnacht in den Wedding, die von den Weddingern zwar weitgehend ignoriert wurde, dort aber plötzlich zu neuer Ernsthaftigkeit fand – jetzt ging es wieder um eine linksradikale Gesellschaftsutopie jenseits des Kapitalismus. Wie sie durch die Pandemie kommt, bleibt abzuwarten. Im letzten Jahr wurde sie behördlicherseits aus Seuchenschutzgründen auf eine Minikundgebung auf dem Leopoldplatz gestutzt, bizarrerweise bewacht von Hunderten Polizisten, die selbst eher wenig auf Masken und Abstandsregeln gaben, während die Revolutionäre, brav maskiert und auf die Solidarität mit den Vulnerablen achtend, ihre Umsturzparolen hochhielten.

Nach dem Stopp des Mietendeckels gäbe es 2021 eigentlich genug Schub für ein Revival, doch die per Verspätung der Notbremse beschleunigte Pandemie dürfte dank Ausgangssperre größeren nächtlichen Aktivitäten in Berlin entgegenstehen. Da hilft wohl auch nicht, dass ebenjene Walburga eine Schutzheilige gegen Krankheiten und Seuchen aller Art ist. Eigentlich wird Heilung versprochen, wenn man zwischen zwei Maifeuern herläuft – nun werden sie gar nicht erst entzündet, damit man nicht krank wird. Und das, obwohl die Maskierung eigentlich ohnehin zum festen Repertoire jeder Walpurgisnacht-Hexenfeier gehört. Es sind eben verrückte Zeiten.