Portrait der Stadt Venedig: Auch eine Kampfschrift

Autorin Petra Reski beschreibt die Probleme, die das Leben in der Lagunenstadt schwer machen: Massentourismus, Korruption, Umweltzerstörung.

Gondel im Kanal

Stillstand während des Lockdowns in Venedig Foto: Christian Jungeblodt

Seit 1991 lebt Petra Reski in Venedig und schreibt von dort aus über das Leben in der Lagunenstadt. In ihren Reportagen und Büchern bleibt das Persönliche nie außen vor – In Werken wie „Der Italiener an meiner Seite“, „Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern“, „Von Kamen nach Corleone. Die Mafia in Deutschland“ oder auch in der Krimireihe mit Staatsanwältin Serena Vitale ist die 1958 in Unna geborene Autorin stets präsent – als kritischer Geist, die auch den politischen Kampf nicht scheut.

Sie hat bei der Kommunalwahl in Venedig für die Bürgerliste Terra e Acqua 2020 kandidiert, sich für nachhaltigen Tourismus engagiert, hat die „Vergewaltigung“ durch Massentourismus und Immobilienspekulation, das politische Versagen in Hochwasserfragen und das Agieren der multinationalen Kreuzfahrtgesellschaften angeprangert. Ihr neues Buch erscheint nun zu einer Zeit, in der Venedig so still ist wie lange nicht mehr. Manche haben die Hoffnung, dass nach der Pandemie ein Umdenken einsetzen könnte.

Ein „ungeschöntes Porträt der schönsten Stadt der Welt“ will Reski in ihrem Buch zeichnen – und das gelingt ihr auch prächtig: Mit Witz, aber auch Leidenschaft und Kampfeslust beschreibt sie die Probleme, die das Leben in Venedig so schwer machen: Korruption und Massentourismus, die Feinstaubemissionen der Kreuzfahrtschiffe, kaum mehr bezahlbare Wohnungen, dazu der Klimawandel, das Zugrundegehen alteingesessener Geschäfte, der Exodus der echten Venezianer. Es schaut nicht gut aus für diese Stadt.

Reski kennt die politischen Hintergründe und nimmt kein Blatt vor den Mund. Die Zwangsvereinigung der Stadt mit den geldgierigen Gemeinden auf dem Festland ist ein Grundübel. Vor allem von Bürgermeister und Unternehmer Luigi Brugnaro hält sie nichts. Die großen Projekte zur Hochwasserbekämpfung sind allesamt gescheitert. Millionen wurden in der Lagune versenkt. Dass Reski dennoch in Venedig geblieben ist und warum – auch darüber schreibt sie.

Venedig ist pandemiebedingt Zona Rossa, eine Sicherheitszone, in der das öffentliche und kulturelle Leben fast vollständig heruntergefahren wurde. Die Touristen sind nicht mehr da. Auf dem Marktplatz patrouillieren einige Soldaten und Polizisten. Die Stadt ist zwar schön leer, aber sie wirkt auch traurig und verlassen. Was vorher zu viel war, ist jetzt zu wenig. Viele Gewerbetreibende und Gastronomen stehen vor dem Ruin.

Buchtipp: Petra Reski, Als ich einmal in den Canal Grande fiel: Vom Leben in Venedig, 2021, 272 Seiten, 18 Euro

Von Freunden wie dem Fischer Alberto, einem „Lagunenfisch“, der nach Mestre verzogen ist. Noch ein echter Venezianer weniger. Von der Liebe und dem „Venezianer an ihrer Seite“, von den Resten des Alltags, die es in Venedig doch noch gibt. Von der Geschichte dieser Stadt. Von der eigenen Geschichte in Venedig, die kurz nach dem Mauerfall begann. Das war die Zeit, als Venedig ab Nachmittag noch zu sich selbst finden konnte.

„An dem Tag, an dem ich Venedig zum ersten Mal betrat“, erinnert sich Reski, „befand sich an der Stelle der Dior-Boutique noch das Cinema San Marco und wenige Meter weiter das Rokokotheater Ridotto.“ Doch schon bald nach Reskis Ankunft wurde das ganze Areal, der Block der Calle Vallaresso, an Benetton verkauft.

Noch ist Verschnaufspause

Heute gilt es für das zu kämpfen, was noch da ist, was noch nicht an ausländische Investoren verkauft wurde. „Nicht mal die Pestepidemie von 1630 war so effektiv bei der Beseitigung der letzten Venezianer wie die Erfindung der Ferienwohnung“, schreibt sich Reski in Rage. „Wo früher Venezianerinnen mit ihren Einkaufswagen aus dem Haus traten, stehen heute Menschen, die daran scheitern, an der Tür für ihr Airbnb-Apartement den richtigen PIN-Code einzugeben.“

Dieses Buch ist eine Kampfschrift: „Venedigs Kreuzfahrtterminal gehört einer Aktiengesellschaft, deren Mehrheitseigner die Kreuzfahrtgesellschaften und der venezianische Flughafen sind. Von ihnen nachhaltigen, umweltfreundlichen Tourismus zu erhoffen, ist so, als würde man vom Islamischen Staat einen Friedensmarsch erwarten.“

Doch dann kam Corona in die 50.000-Einwohner-Stadt mit den jährlich 30 Millionen Touristen. „Noch nie haben wir Venedig so erlebt. Kein einziges Kreuzfahrtschiff weit und breit. Keine Taxiflottillen, keine Ausflugsschiffe, die durch die Lagune pflügen. Nur Farben und Stille. Venedigs Vergewaltigung ist vorübergehend ausgesetzt.“

Die Stille dieser Tage ist vollkommen ungewohnt. Es ist beinahe wie ein neues Leben: „Es ist so still, dass ich höre, wie das Wasser lebt. Es keucht, es kaut, es schmatzt. Es nagt röchelnd an den Fundamenten der Häuser und bündelt das Licht zu kleinen, gleißenden Punkten, die auf dem Kanal tanzen, es ist Wasser, das verwandelt.“

Was kommt dann?

Am Ende des Buchs steht die Frage: Was kommt jetzt? Was kommt nach Corona? Wird es so weitergehen mit Billigflügen, Airbnb und Kreuzschiffen, welche die Fundamente der Stadt ruinieren? Mit diesem Fluch, der auf keiner Stadt so schwer lastet wie auf Venedig? Mit dem „Venice model“, wie Tourismusexperten sagen, wenn sie von der Zerstörung einer Stadt sprechen? Ein wenig ratlos bleibt man nach der Lektüre.

Als Tourist in dieser Stadt ist man selbst Teil des Systems, das Reski zu Recht geißelt. „Als ich einmal in den Canal Grande fiel“ ist ein Buch, das uns dazu bringen sollte, endlich umzudenken. Reski schreibt mit viel Witz und bissigem Humor, doch hat selbst kaum Hoffnung: „Heute besteht das Leben in Venedig vor allem darin, einer Stadt beim Sterben zuzuschauen.“

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