OMASGEGENRECHTS über Rechtspopulismus: „Für eine bunte Gesellschaft“

Renate Christians und Marion Geisler von OMASGEGENRECHTS über Demos früher und heute, ihre Sozialisation, das Verhältnis zu jungen Ak­ti­vis­t:in­nen.

Fototermin am Tegeler See bei Sonnenschein: Renate Christians und Marion Geisler von den "Omas gegen Rechts" lachen in die Kamera

Zwei OMASGEGENRECHTS: Renate Christians und Marion Geisler (links) am Tegeler See Foto: Tina Eichner

taz: Frau Christians, Frau Geisler, wann waren Sie das letzte Mal demonstrieren?

Renate Christians: Das war letzte Woche, am 5. April, bei einer Kundgebung zum Gedenken an den gewaltsamen Tod von Burak Bektaş vor neun Jahren in Neukölln. Gemeinsam mit seiner Familie und seinen Freunden haben wir uns gefragt, warum dieser rassistisch motivierte Mord noch immer nicht aufgeklärt wurde.

Marion Geisler: Meine letzte Demo war am 31. März gegen den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention, ein völkerrechtlicher Vertrag zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Dort haben wir unsere Internationale Solidarität mit den türkischen Frauen vor die türkische Botschaft getragen.

Sie beide sind Mitgliederinnen der OMASGEGENRECHTS.Berlin. Worum geht es der Initiative?

Renate Christians wurde 1955 in Duisburg geboren und hat in mehreren Städten quer durch Deutschland gelebt. Sie hat vier Kinder und drei Enkelkinder. Beruflich war sie als medizinische Dokumentarin tätig. Seit 2016 lebt Christians in Tegel. Bei den OMASGEGENRECHTS ist sie seit 2019 aktiv.

Marion Geisler, Jahrgang 1949, ist Urberlinerin aus Spandau. Zwischendurch hat sie auch in Köln gelebt; hat drei Kinder und acht (!) Enkelkinder. Sie war Hotelkauffrau und hat sich später mit einer Cateringfirma selbstständig gemacht. Heute lebt sie in Tegel. Geisler ist eine der Mitbegründerinnen der OMASGEGENRECHTS.Berlin. (tk)

R. C.: Vor allem geht es gegen den Rechtspopulismus. Wir stehen für eine bunte Gesellschaft ein, für Meinungsfreiheit und ganz viel Toleranz. Eben für die Werte einer offenen Gesellschaft.

M. G.: Mir ist wichtig, dass wir nicht nur „gegen“, sondern vor allem „für“ sind: Für ein offenes und friedliches Europa. Insbesondere gehört hier eine gute Flüchtlingspolitik dazu.

Muss man eigentlich eine echte Oma sein, um bei den Omas mitzumachen?

R. C.: Nein. Wir fragen nicht nach Geburtsurkunden der Enkelkinder. (Lacht) Einzige Voraussetzung ist, sich mit dem Begriff OMASGEGENRECHTS zu identifizieren. Es können ja auch Männer zu den Omas.

Es sind auch Opas in der Gruppe aktiv?

M. G.: Die Opas sind herzlich eingeladen beizutreten. Die meisten haben aber ein Problem mit der Bezeichnung. Ich glaube, Männer in unserem Alter sind es nicht gewohnt, sich in eine Gruppe einzubringen, ohne eine übergeordnete Rolle zu spielen.

R. C.: Die wollen immer gleich die Bestimmer sein! (Beide lachen)

Die Opas können also mitmachen, müssen sich aber als Omas bezeichnen.

Die Initiative entstand 2017 in Österreich, um gegen die Koalition der liberalkonservativen ÖVP mit der rechtspopulistischen FPÖ unter Kanzler Sebastian Kurz zu protestieren. Seit Frühjahr 2018 ist die Initiative auch in Deutschland aktiv. In Berlin gründete sich die Gruppe. Als sich am 27. Mai 25.000 Ber­li­ne­r:in­nen einer AfD-Demo entgegenstellten, waren die Omas bereits dabei. Die offizielle Gründung fand am 9. Juni 2018 statt, anschließend protestierten die Omas gegen einen AfD-Frauenmarsch. Es gibt zwei Berliner Gruppen, außerdem sind verschiedene Stadtteilgruppen aktiv. Mittlerweile folgen mehrere Tausend Menschen den Omas in den sozialen Netzwerken. Die OMASGEGENRECHTS haben eine Webseite, sie sind auf Instagram, Facebook, Twitter und Youtube zu finden. (tk)

M. G.: Sie müssen ganz tapfer den Oma-Button tragen, ja. Das machen auch einige. Vielleicht gelingt es uns ja in Zukunft noch besser, die Opas zu überzeugen.

Sind Sie durch Ihre Familien politisch sozialisiert worden?

R. C.: Mein Elternhaus war so was von unpolitisch. Zuerst habe ich gegen meine Eltern rebelliert, später war ich dann in der Studentenbewegung aktiv. Ich folgte meinem Gefühl, dass in der Welt etwas nicht richtig läuft: Tschernobyl, Vietnamkrieg, egal wo man hinsah, alles konnte einfach nicht wahr sein.

M. G.: Meine Mutter war begeistertes BDM-Mädchen und mein sehr viel älterer Vater ein arisierter Deutschjude und CDU-Mitglied. Mein Opa und mein Onkel dagegen waren glühende Sozialdemokraten. Da wurde sich in Diskussionen nichts geschenkt; manchmal sind Stühle geflogen. Die Auseinandersetzungen fand ich schon als Kind spannend. Mit 16 begann ich mithilfe meines Vaters eine Hotellehre und geriet so ins Berliner Studentenleben. Dort waren wir sofort im Bannkreis um Rudi Dutschke und mittendrin in den Anti-Vietnam-Demos. Da lernten wir auch Polizeiaufgebote und Wasserwerfer kennen. (Lacht)

R. C.: In dem Sinne war das mit dem Demos für uns kein Neuland: Manche der neuen Omas zucken ja schon, wenn sie einen Polizeihubschrauber sehen. Uns dagegen macht keine martialisch bewaffnete Polizeibrigade Angst. (Beide lachen)

Marion Geisler

„Mir ist wichtig, dass wir nicht nur ʼgegenʽ, sondern vor allem ʼfürʽ sind: Für ein offenes und friedliches Europa“

Sie blicken auf ein politisches Leben zurück.

R. C.: Zuerst war ich Umweltschutzbeauftrage in der Propsteisynode, einer evangelischen Kirche in Helmstedt. Später war ich in den Friedensgruppen und in der Anti-Atomkraft-Bewegung aktiv. Irgendwann gibt es natürlich eine Phase im Leben, in der man beruflich eingespannt ist. Mit der Rente habe ich wieder angefangen, auf Demos zu gehen.

M. G.: Schon mit 16 bin ich in die Jung-Gewerkschaft eingetreten, war Schülersprecherin, später Elternvertreterin, Wahlhelferin, Flüchtlingshelferin und noch so vieles mehr. Mein politisches Engagement zieht sich durch mein ganzes Leben. In den 1990er Jahren wurde ich dann in der Spandauer Bürgerbewegung gegen rechts aktiv. Das war wegen der Rudolf-Heß-Aufmärsche. Zu Hitlers Geburtstag zogen NPD und Republikaner vor das Gefängnis, wo Heß sich das Leben genommen hat. Schließlich hat unser Protest bewirkt, dass das Gefängnis abgerissen und der Platz nach der NS-Widerstandsgruppe Weiße Rose benannt wurde.

Wann wurde Ihnen klar, dass es jetzt gilt, sich gegen rechts zu positionieren?

R. C.: Für mich ist das einfach eine Grundvoraussetzung politischen Denkens. Jeder müsste gegen rechts sein, da reicht ein Blick darauf, was die Nazis geschaffen haben oder was die AfD an Sprüchen loslässt.

M. G.: Ein wirklicher Wachrüttler war für mich der NSU-Nagelbombenanschlag in der Keup­­straße in Köln. Schon damals gab es ja das Gerede, dass das Familienclans gewesen seien. Ich war am nächsten Tag vor Ort, und mir war sofort klar: Das waren Nazis. In Hoyerswerda brannten ja schon die Flüchtlingsheime. Da war klar: Die Gesellschaft muss sich auflehnen.

Es gibt die extreme Rechte in Deutschland nicht erst seit der AfD. 1968 erhielt die NPD in Baden-Württemberg fast 10 Prozent, 1989 die Republikaner in Westberlin über 7 Prozent.

M. G.: Stimmt. Ich habe einmal Franz Schönhuber, dem Bundesvorsitzenden der Republikaner, einen Leserbrief geschrieben. Da bekam ich ein Schreiben zurück mit einem Galgen und dem Schriftzug „Du hängst“. Ich dachte damals, die gehen bald unter. Sind sie aber nicht.

Gibt es heute eine neue Qualität beim Rechtsextremismus der AfD?

R. C.: Die Salonfähigkeit. Dass Menschen anderer Nationalitäten derartig diskriminiert werden können, noch dazu im bürgerlichen Mantel.

M. G.: Und das Selbstbewusstsein. Dass sie sich mitsamt ihren Fahnen und Tätowierungen auf die Straße trauen. Wohlwissend, welchen Schrecken sie verbreiten.

Vonseiten der extremen Rechten wird immer wieder das Bild der durch Mi­gran­t:in­nen bedrohten Rent­ne­r:in­nen gezeichnet. Was entgegnen die Omas dem?

R. C.: Wenn wir für die Rechte von Geflüchteten demonstrieren, heißt es von denen, wir sollten uns doch einen nach Hause nehmen, damit wir was für zwischen die Beine haben. So bedroht sehen die uns also gar nicht. Sie „gönnen“ uns ja sogar noch was. (Beide lachen)

Ein Aufkleber im Großaufnahme, von zwei Fingern gehalten, darauf der Schriftzug "Omas gegen Rechts"

Klebend ein Zeichen setzen Foto: Tina Eichner

M. G.: Genau, da braucht’s Humor. In Halle (Saale) gibt es einen stadtbekannten Rechtsextremisten, Sven Liebich, der einige Omas bedrohte. Da sind wir mit 80 Omas aus ganz Deutschland auf einer Veranstaltung von ihm aufgetaucht. „Jetzt komm her!“, haben wir gerufen und dabei getrommelt und gepfiffen. Das war toll, die mussten rennen, als sie uns gesehen haben. Die Polizei hat die Nazis dann mit mehreren Wannen vor uns Omas beschützt. (Beide lachen)

Wie hat sich der antifaschistische Widerstand im Vergleich zu etwa den 68er-Protesten verändert?

M. G.: 1968 ging es darum, die Nazi-Vergangenheiten ins Tageslicht zu rücken. In der bleiernen Adenauer-Zeit ist ja alles unter den Teppich gekehrt worden. Bis heute wurde zu wenig aufgedeckt, etwa in Hinblick auf die Nazivermögen. Auch die von den Nazis benannten Straßen müssen endlich umbenannt werden.

R. C.: Die 68er-Proteste richteten sich gegen andere Sachen: Den Vietnamkrieg, die autoritären Regierungen, Tschernobyl. Das waren linke Proteste gegen starre gesellschaftliche Formen. Das lässt sich nicht vergleichen.

M. G.: 1968 ist auch nicht der richtige Bezugspunkt. Wir müssen aufpassen, dass sich 1933 nicht wiederholt! Das ist die Gefahr: Wieder haben wir ein Vielparteiensystem, wieder wird die europäische Frage neu gestellt. Das verängstigt viele Menschen. Da müssen wir peinlichst aufpassen, dass die Nazis nicht alles zerstören, was wir erkämpft haben.

Also keine Entwarnung, trotz der kürzlichen Wahlverluste der AfD?

R. C.: Nein. Auch weil nicht nur die AfD, sondern überall in Europa die rechten Parteien An­hän­ge­r:in­nen haben. Eigentlich bin ich ein echter Fan der europäischen Idee. Aber viele osteuropäische Länder werden autoritär regiert. Da werden Pressefreiheit und Frauenrechte eingeschränkt. Dazu die unerträgliche Situation in den griechischen Flüchtlingslagern oder in denen an den Außengrenzen. Wenn ich an Frontex denke, diese europäische Wehrmacht gegen die Flucht, dann wird mir schlecht.

Wie haben Sie beide die Coronademos erlebt?

M. G.: Ich war auf dem Aufmarsch im August in Mitte, wo später die Reichstagstreppen gestürmt wurden. Das war für mich ein einziger Karnevalszug: Gandhi-, Jesus- und „John Lennon lebt“-Schilder. Daneben die „Heil Hitler!“-schreienden Reichsflaggenträger. Wir haben uns nur angebrüllt, für mich war das die Hölle. Und dieser Begriff, Querdenken, mit dem habe ich Probleme. Als wir die Notstandsgesetze infrage gestellt haben, war das auch Querdenken. Doch heute wird ja nicht gesagt, wofür oder wogegen quergedacht wird. Würden sie das sagen, wäre schon viel gewonnen.

R. C.: Bei den Coronademos fühlte ich mich deplatziert. Viele wollten einfach nur reden. Da bringt es nichts zu rufen: „Ihr marschiert mit Rechten“. Da muss man zuhören und fragen: „Wo drückt der Schuh?“

Aber wenn doch NPD- und AfD-Kader mitmarschieren?

M. G.: Ja, das muss man laut sagen, das geht nicht. Und die Nazikader sind ja offensichtlich anwesend. Die Organisatoren müssten sich da klar distanzieren und Nazis eindeutig ausschließen …

… was nicht passiert.

R. C.: Bei dem „Wir müssen reden“-Marsch in Steglitz, da hat sich der Veranstalter schon distanziert. Er sagte auch, dass er nicht jeden fragt, welche politische Richtung er hat. Aber da gab es niemanden mit rechten Bannern oder Buttons. Ich glaube, die muss man von den mit Nazis durchsetzten Querdenkern unterscheiden.

Hier war der Gegenprotest also nicht gerechtfertigt?

R. C.: Ich wollte zumindest kein Teil davon sein. Das kann ja jeder selbst entscheiden.

M. G.: Ich habe weiter teilgenommen. Ich habe das so empfunden, dass ich nicht gegen die Demonstration als solche demonstriere, sondern zeige, dass ich eine Oma gegen rechts bin. Dass ich genau hinsehe, wer da läuft. Dafür wurde mir auch aus der Demo Sympathie gezeigt.

Sie tragen beide sogenannte „Pussyhats“, also selbst gestrickte Wollmützen, die im Rahmen US-amerikanischer Proteste für Frauenrechte entstanden sind. Die Omas sind also auch Feministinnen?

R. C.: Alle. Durch die Reihe. Alle Feministinnen.

Dazu passt, dass sich die Omas dem Aktionsjahr gegen den Paragrafen 218 StGB angeschlossen haben, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt. Wie hängt der Kampf gegen rechts mit dem Kampf für Frauenrechte zusammen?

Renate Christians

„Die Jungen sollen uns nicht kopieren, sondern rausgehen und machen. Sie sollen wild und laut sein und auf ihre Weise protestieren. Wir machen einiges anders, auch weil wir manches nicht mehr können“

R. C.: Da muss man sich nur die AfD-Äußerungen anhören. Für die AfD gehören Frauen an den Herd. Sie sollen Kinder bekommen und dem Mann ein nettes Zuhause bieten. Das ist eine antifeministische, patriarchale Partei.

M. G.: Schon 1968 haben wir gegen Paragraf 218 protestiert, auch gegen Paragraf 175, der Homosexualität unter Strafe stellte. Das Frausein und der Kampf für die eigenen Rechte wird alle Generationen verfolgen. Und Erdoğan, Orbán und Co. zeigen: Frauenrechte werden wieder beschnitten! Die polnischen Frauen kämpfen um ihre körperliche Autonomie. Wenn Frauen nicht mehr entscheiden dürfen, ob sie ihre Kinder austragen, wird ihnen alles genommen.

Laut Grundsatzpapier der Omas geht es auch darum, die „ältere Frau als öffentliche politische Kraft“ ins „kollektive Bewusstsein“ zu bringen. Was ist damit gemeint?

R. C.: Wir wollen nicht als Oma mit Kopftuch und Schürze, sondern als agierende Frauen wahrgenommen werden. Anders als unsere Mütter werden wir auch so gesehen: Egal wo wir sind, junge Menschen sind von uns begeistert. Politischer Protest ist Sache aller Generationen.

M. G.: Wir sind einfach lebendige Omas am Puls der Zeit. Wir haben ja auch noch Sex! (Lacht) Wir wollen laut und bunt sein, einfach nicht zu übersehen!

Besonders präsent sind die Omas auch auf Demos von Fridays for Future. Welche Entwicklung hat die Klima- und Umweltbewegung durchgemacht?

M. G.: Wir haben großartige Erfolge erzielt. Vor 30 Jahren demonstrierten wir gegen Atomkraftwerke – und die werden jetzt abgeschaltet. Sich auf die Gleise zu legen, hat sich also gelohnt.

R. C.: In meiner Zeit als kirchliche Umweltbeauftragte habe ich mich dafür eingesetzt, dass die Müllverbrennungsanlagen verboten werden. Wurden sie nicht – aber ein neuer Filter wurde eingebaut. Das sind kleine Gedanken, die wirklich wichtig sind. All das ist aber nichts gegen die For Future-Bewegung.

Die Omas stoßen sicher auf viel Zustimmung, wenn sie auf FFF-Demos unterwegs sind. Hat man Ihnen dort schon mal vorgeworfen, Teil der umweltsündigen Generation zu sein?

R. C.: Natürlich machen wir uns Gedanken darüber, was wir früher nicht richtig gemacht haben. Ich war Raucherin. Im Auto, mit den Kindern drin. Das war völlig egal.

M. G.: Wir sind auch ohne Kindersitze in den Urlaub gefahren – und haben gequalmt!

R. C.: Und die haben überlebt! (Beide lachen)

M. G.: Mein Sohn sagt heute: Mama, davon können noch Spätschäden kommen. Der ist jetzt 50, verliert gerade alle Haare und sagt nun, das wäre mein Nikotin. (Beide lachen)

In der Hymne der Österreicher OMAS heißt es: „Die Neoliberalen/ bereiten uns ein Grab./ Das Grab heißt Märkte, Märkte!/ und wir saufen derweil ab.“ Gibt es auch bei den Berliner Omas einen kapitalismuskritischen Grundkonsens?

R. C.: Nein, ich denke nicht. Das ist auch nicht unser Anliegen, da irgendwem etwas vorzuschreiben. Wir würden dann auch weniger Omas sein.

M. G.: Wir sind ja ganz unterschiedliche Charaktere und aus allen sozialen Schichten. Bei uns protestiert die Putzfrau neben der Wirtschaftswissenschaftlerin. Das gefällt mir an der Initiative so gut, dass keine Unterschiede gemacht werden. Uns eint die Ablehnung von Faschismus und Rechtsextremismus. Das steht drauf, und das ist auch drin. Kapitalismuskritik sparen wir uns fürs Private auf.

Über die sozioökonomischen Ursachen von Xenophobie könnten die Omas schon sprechen, oder?

M. G.: Sicher. In den 1930er Jahren war es die große Arbeitslosigkeit, heute ist es die Angst vor solchen Verwerfungen. Aber die Ursachen zu analysieren ist für uns kein vorrangiges Thema. Uns geht es darum, dass sich diese mörderische Ideologie nicht ausbreitet.

Können jüngere Ak­ti­vis­t:in­nen etwas von den Älteren lernen?

R. C.: Nein, die Jungen sollen uns nicht kopieren, sondern rausgehen und machen. Sie sollen wild und laut sein und auf ihre Weise protestieren. Wir machen einiges anders, auch weil wir manches nicht mehr können.

M. G.: Ich erinnere mich an die Blockade des „Dritten Wegs“ in Hohenschönhausen. Da hat die Jugend fünf Stunden lang die Straße blockiert! Und wie der Schwarze Block aus allen Büschen rauskam: Das war fantastisch! Wir wollen unterstützen, nicht fordern. Wir würden auch Brote schmieren oder Suppe kochen.

Wo sind für Sie die Grenzen des politischen Protests?

R. C.: Gewalt, ganz klar. Jeder darf laut und radikal sein, aber körperliche Angriffe überschreiten die Grenze. Ein Beispiel sind die Querdenkerproteste in Kassel, wo Journalisten und Polizisten angegriffen wurden. Dass es aus ist, wenn einer auf dem Boden liegt, nennt sich Demonstrationskultur.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Polizei?

R. C.: Persönlich? Gut. Kürzlich hatte ich einen Begleitpolizisten neben mir, das war ein fescher Mann, wir haben uns gut verstanden. (Lacht) Letztlich muss die Polizei uns und die Demo, gegen die wir protestieren, schützen. Doch es gibt immer wieder nicht tolerierbare Übergriffe. Das beobachte ich. Und sage klar: Nicht alle Polizisten machen ihre Aufgabe neutral. Vielleicht lernt die Polizei durch die Querdenkerproteste, die rechte Gefahr ernst zu nehmen. Ich hoffe, dass da ausgemistet wird. Dass die Rechtsradikalen in Polizei, Militär und Ausländerbehörden keine Zukunft haben. Wir werden darauf achten.

Es kann also eine Polizei ohne Rechte geben?

M. G.: Ich denke schon. Die Zivilgesellschaft schaut ja genau hin. Auch die Journalisten, die immer wieder den Finger in die Wunde legen.

Letzte Frage, bitte ergänzen: Ich höre mit dem Demonstrieren auf, wenn …

M. G.: … die AfD unter 5 Prozent ist? Nein, eigentlich auch dann nicht.

R. C.: Unsere Oma Elisabeth kommt im Elektrorollstuhl zu den Demos. Ich denke, den schaffe ich mir dann auch an, wenn die zweite Hüfte ebenfalls kaputt ist. (Beide lachen)

Korrektur: Im ursprünglichen Interviewtext hieß es: „In Halle (Saale) gibt es einen stadtbekannten Rechtsextremisten, Sven Liebich, der einer Oma einmal drohte, sie zu vergewaltigen.“

Tatsächlich hat Liebich aber nach eigenen Angaben den Omas vorgeschlagen: „So fordern wir Sie, liebe Omas, auf in das nächstgelegene Flüchtlingsheim zu gehen und eure drei, möglicherweise schon vertrockneten Löcher, hinzugeben. Auf, dass es weniger Vergewaltigungen in Deutschland gibt.“

Darauf reagierten die Demonstrantinnen. Die Redaktion

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