die woche in berlin
: die woche in berlin

Die Berliner SPD einigt sich nach langem Tauziehen auf die ersten drei Listenplätze für die Bundestagswahl und beschert Michael Müller die Poleposition. In sieben Jahren soll die Straßenbahnlinie M10 zum Hermannplatz fahren und dabei den Görlitzer Park durchqueren. Und der Mietendeckel ist Geschichte!

Gerade noch zur Besinnung gekommen

SPD setzt zu Recht Müller an die Spitze ihrer Bundestagsliste

Es gibt noch Hoffnung für die SPD. Beinahezustimmung zu Enteignung, Versuch, der gerade gewählten Spitzenkandidatin zu schaden, Beinaherausmobben von Wolfgang Thierse – vieles war zuletzt geschehen, was einen an der Partei von Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder zweifeln lassen konnte. In dieser Woche aber hat die Berliner SPD genau das Richtige, Vernünftige und Logische getan und ihren Nochregierungschef Michael Müller und nicht etwa Ex-Juso-Chef Kevin Kühnert auf Platz 1 ihrer Kandidatenliste für die Bundestagswahl gesetzt. Offiziell passiert das zwar erst beim Landesparteitag am 24. April, doch innerhalb der großen Kreisverbände ist man sich einig, was der Parteivorstand am Montag bestätigte.

Es ist schon bezeichnend, dass das überhaupt eine Nachricht ist. Aber bei der SPD in ihrem gegenwärtigen Zustand konnte man tatsächlich nicht komplett ausschließen, dass sie einen Mann, der ein mittelgroßes Bundesland in einer nicht einfachen Dreierkoalition führt und seit Monaten sämtliche Coronakrisensitzungen leitet, nicht sicher in den Bundestag schicken will. Dort sieht Müller mit 56 Jahren – nach einem Vierteljahrhundert im Abgeordnetenhaus und nach fast sieben Jahren als Regierender Bürgermeister – seine Zukunft, auf Bundesebene würde er auch gern Minister für Bau oder Wissenschaft sein.

Natürlich darf langes Dabeisein keine Aneinanderreihung von Topjobs garantieren und schon gar nicht nach dem Versorgungsgedanken. Aber wenn Müller seinen aktuelle Posten schlecht ausfüllen würde, dann hätte ihn seine Partei schon längst durch einen Besseren ersetzen müssen. Folglich kann Müller nicht so viel falsch gemacht haben – oder die Sozialdemokraten haben einfach keinen Besseren.

Nun bei der Bundestagswahl diesen Mann zu düpieren, ihn nur auf den (zudem nicht sicheren) Platz 3 der SPD-Landesliste zu setzen und den Spitzenplatz Kühnert, einem 31-Jährigen ohne Parlaments- und Regierungserfahrung, zu geben, allein um Verjüngung und Wandlungsfähigkeit zu zeigen, wäre gegen alle Logik gewesen. Und zugleich gegen alle Vernunft: Mit welcher Motivation hätte Müller bis zur Wahl weitere fünf Monate als Regierungschef durchstehen können und sollen, in denen es nicht nur mit Blick auf Corona noch vieles in Berlin zu regeln gibt?

Letztlich ist es möglich, dass sich Müller und Kühnert beide im Bundestag wiedersehen. Dazu braucht die SPD, die bei der Wahl 2017 in Berlin mit rund 18 Prozent der Stimmen fünf Bundestagssitze holte, ähnlich viele Zweitstimmen (die sie in Umfragen auf Landesebene derzeit hat), darf aber gleichzeitig möglichst wenige Wahlkreise gewinnen. Sonst kommt nämlich die Landesliste über Platz 1 oder 2 hinaus nicht zum Zuge. Stefan Alberti

Nicht in meiner Grünanlage

Pläne für die Tram zum Hermannplatz sorgt für Ärger

Super eigentlich: Nur drei Jahre, nachdem die Verkehrsverwaltung angefangen hat, über die Trassenführung der M10 zum Hermannplatz nachzudenken, ist die Entscheidung schon da und die Planung kann beginnen. Okay, das war ironisch. Laut Koalitionsvertrag sollte in dieser Legislaturperiode schon der Bau beginnen. Jetzt wird es 2028, bis man wieder per Tram von Friedrichshain nach Neukölln rollen kann.

Dasselbe gilt für die neue Strecke Weißensee–Heinersdorf–Pankow, die im Nordosten, wo viel gebaut wird, komplizierte Busverbindungen ersetzen soll. Aber besser spät als nie, und was die M10 angeht, hat Senatorin Regine Günther trotzdem Recht, die am Dienstag sagte, die Streckenverlängerung werde „Ost und West noch stärker verbinden“ und „Netzlücken im Herzen der Stadt“ schließen.

Vielleicht – wer weiß – hat es mit der Vorentscheidung ja so lange gedauert, weil man in der Verkehrsverwaltung die Wut der KreuzbergerInnen über die Durchschneidung des Görlitzer Parks fürchtete. Die sich dann tatsächlich wie ein verfrühtes Sommergewitter in den sozialen Medien zusammenbraute, um sich über Günther und Co. zu entladen.

Mit ein bisschen Donnergrollen wird es aber nicht seine Bewandtnis haben. Der Widerstand wird sich erst richtig formieren. Und auch wenn das jetzt keine Sympathiepunkte gibt, muss es mal gesagt werden: Die „Nicht in meiner Grünanlage“-Mentalität derer, die da jetzt aufschreien, ist schwer erträglich.

Da werden Szenarien heraufbeschworen, als solle die A100 den Görli queren. „Die schöne Ruhe ist dahin!“, hallt es durch Twitter, auch von Menschen, die den nicht wirklich beschaulichen Park sonst gar nicht rough genug finden können. Schreckliche Unfälle mit spielenden Kindern malt man sich aus, als schössen die Trams aus dem Hinterhalt über den Rasen. Und dass gleichzeitig das Görlitzer Ufer autofrei werden soll, interessiert komischerweise die wenigsten.

Kein Zweifel: Die Verbindung durch den Park macht mit Abstand am meisten Sinn, sie ist direkt und intuitiv. Die NutzerInnen wollen ja auch ein Ziel erreichen und nicht zu Erholungszwecken um die Kurven quietschen. Die PlanerInnen sind jetzt gefragt, Park und Gleise schonend und elegant zu kombinieren.

Ein Nebenhieb auf die Verwaltung muss aber noch sein: Die sollte sich künftig besser überlegen, ob sie mit schicken Visualisierungen potenzielle Bauvarianten scheinbar präjudiziert. Das betrifft insbesondere den Verlauf der M10 durch die dann autofreie Falckensteinstraße: Auf dem idyllischen Bild, das verbreitet wurde, scheint es, als teilten sich Tram, Fahrräder und Fußgänger exklusiv die Straße – für Müllabfuhr, Fahrdienst oder Lieferwagen gibt’s noch nicht mal einen Stellplatz.

Auch das sorgte auf Twitter für Debatten. Von der Verkehrsverwaltung heißt es nun: So genau dürfe man diese Bilder nicht nehmen. Dann sollte man sie aber nächstes Mal einfach weglassen.

Claudius Prößer

Berlin kriegt eins auf den Deckel

Das Verfassungsgericht erklärt den Mietendeckel für nichtig

Die Un­ter­stüt­ze­r*in­nen des Mietendeckels hatten viel spekuliert, wie die mit Sehnsucht und Bangen erwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über dieses bisher beispiellose Gesetz ausfallen würde. Karlsruhe könnte, so ein häufiger Gedanke, die Festschreibung der Mieten für fünf Jahre akzeptieren, aber die Obergrenzen und die daraus folgende mögliche Absenkung zu hoher Mieten kippen. Ein Kompromiss also, den alle als Sieg hätten verbuchen können: Regierung, Opposition, Mieter*innen, Vermieter*innen. Es kam anders: Donnerstag erklärte das Gericht, nur der Bund habe die Kompetenz, ein solches Gesetz zu erlassen. Damit ist es nichtig. Der Mietendeckel ist nach nur 14 Monaten zerbrochen. Erste Mietnachforderungen dürften in Kürze in Briefkästen landen.

Karlsruhe sagte nichts zum Inhalt des Gesetzes: Ob, wie nun vielfach gefordert, der Bund einen Mietendeckel umsetzen könnte, bleibt offen. Die Entscheidung fiel indes einstimmig: Eine derbe Klatsche für jene Juristen der rot-rot-grünen Koalition, die dem Land die Gesetzgebungskompetenz zugesprochen hatten.

In seiner brüsken Art erinnert die Entscheidung an eine andere aus Karlsruhe. 2006 lehnte das Gericht Berlins Klage auf Finanzhilfen ab; das mit vielen Milliarden Euro verschuldete und einkommensschwache Land sei in keiner Haushaltnotlage, für die der Bund in die Bresche springen müsse. Berlin könne noch reichlich sparen, so die Begründung, etwa in der Verwaltung, bei Unis oder Kultur. Und das Land besitze viele landeseigene Wohnungen, die es verkaufen könne.

Bei der Entscheidung von Donnerstag schließt sich der Kreis. Der Mietendeckel, vorerst letztes Mittel nach einer ganzen Reihe wohnungspolitischer Maßnahmen, ist auch deshalb notwendig geworden, weil das Land zu viele eigene Wohnungen verkauft hat – zu Preisen, über die die heutigen Großeigentümer noch immer herzlich lachen. Die Einkommen wiederum sind in Berlin auch deswegen so niedrig, weil sich die Stadt lange Jahre kaputtsparen musste.

Nach der Entscheidung 2006 stand die Stadt unter Schock, übrigens nicht nur Rot-Rot, sondern auch die Opposition. Die Gefühlslage seit Donnerstag ist ähnlich. Auch CDU und FDP dürfte das arrogante Feixen noch vergehen: Denn es sind auch ihre Wähler*innen, die jetzt weniger Geld zur freien Verfügung haben.

Im Oktober 2006 reagierte der damalige SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin mit den Worten: „Uns hilft keiner mehr, wir müssen uns selber helfen.“ Wie eine solche Selbsthilfe nach der Mietendeckelpleite aussehen soll, ist unklar. Die Verdrängungsprozesse verlaufen schneller, als die Politik wieder Wohnungen kaufen kann, um dämpfend auf die Mieten einzuwirken. Zudem dürfte das Geld knapper werden wegen der Aufwendungen für die Folgen der Coronapandemie. Für eine Rettung ist Berlin auf die Hilfe des Bundes und einer andersfarbigen Bundesregierung angewiesen, die es Berlin explizit erlauben würde, einen neuen Mietendeckel aufzulegen. Ob und wann das passiert? Wer weiß. Die nächsten Jahre könnten düster werden.

Die Rettung aus der Krise nach der Karlsruher Entscheidung 2006 waren übrigens Tou­ris­t*in­nen und Investor*innen, die infolge der globalen Finanzkrise in Massen in die Stadt gespült wurden. Denn, so die Begründung, hier „lebt es sich ja noch so billig“. In der Folge stiegen vor allem die Immobilienpreise. Das Ergebnis sehen wir heute. Bert Schulz

argumente 10, das war‘s

Der Mietendeckel ist nach nur 14 Monaten zerbrochen.Erste Mietnach­­­forderungen dürften in Kürze in Briefkästen landen

Bert Schulz über das Urteil des Verfassungsgerichts zum Mietendeckel und zu seinen Auswirkungen