Zu viel Druck

Der Biologe Jürgen Geist forscht, was Kraftwerke mit Fischen machen

Zwischen den Kieseln der Alpenflüsse brüten sich Huchen-Eier aus, die daraus schlüpfenden Larven fressen erst ihren Dottersack, dann andere Fischeier, Kleinkrebse und Insektenlarven, die im gut durchspülten Flussgrund leben. „Die spezialisierten Arten mit komplexen Lebenszyklen sind besonders gefährdet“, sagt Jürgen Geist, der als Professor das Institut für Aquatische Systembiologie der TU München leitet. Da der Mensch die Gewässer so stark verändert habe, können sich Fischeier nicht entwickeln, erzählt Geist bei einem Rundgang. Neben Keschern, Reusen und Booten stehen hier Bottiche, in denen junge Störe schwimmen. In einem Kunststoffbecken stehen 170 unterarmlange Huchen Flosse an Flosse unter den automatischen Fütterungsklappen. Geist zählt auf, warum immer mehr Fische verschwinden: Flüsse werden gestaut, Ufer versiegelt, das Abwasser aus Kläranlagen chemisch belastet, Sand und Boden werden vom Regen als Feinsediment in die Flüsse gespült, weil Menschen immerzu im Erdreich wühlen. 77 Prozent der Wanderfischarten in Deutschland sind offiziell in mäßigem bis schlechtem Zustand. 57 Prozent der heimischen Fischarten stehen auf der Roten Liste bedrohter Tierarten.

In den Flüssen fehle den Jungfischen das „vielfältige Mosaik an Lebensräumen“, sagt Geist. Er zeigt auf zwölf künstliche Flussbetten aus Holz und Plastikplanen. Mal fließt dort Wasser der Moosach aus Schläuchen über Kies, mal über feinen Sand, mal breiten sich Algen in den Kästen aus, mal schliert Feinsediment in den 50 Zentimeter breiten Versuchsflüssen. Selbst die Nasen leiden unter der Verschlammung, hat einer der Studierenden in den künstlichen Flussbetten herausgefunden. Nasen (Chondrostoma nasus) haben ihren Namen, weil ihr Oberkiefer wie eine Stupsnase aussieht. Sie raspeln Algen von Steinen und sorgen so dafür, dass der Kies locker bleibt, sich kein Faulschlamm bildet und die kleinen Hohlräume am Flussgrund erhalten bleiben, in denen die Larven von Huchen bis Eintagsfliegen heranwachsen.

Wasserkraft ist in Bayern, was die Kohlekraftwerke für Nordrhein-Westfalen sind. „Ein sehr emotionales Thema“, wie Geist sagt. Ein Dialog zur Befriedung der Gemüter über die Wasserkraft sei vor rund zehn Jahren wegen „verhärteter Positionen gescheitert“. Die Betreiber der kleinen Wasserkraft konnten auch professionell moderiert nicht mit Wissenschaftlern und Umweltpolitikerinnen reden. „Das wäre jetzt anders“, sagt Geist. „Jetzt haben wir belastbare Daten und können in die Diskussion einsteigen.“ Das Bayerische Landesamt für Umwelt hatte Jürgen Geist 2014 beauftragt, die Auswirkungen der Wasserkraftanlagen auf Fische zu untersuchen. Sechs Jahre lang hat er mit Gewässerökologinnen und Fisch-Biologen untersucht, wie Fische durch die unterschiedlichen Turbinentypen in Wasserkraftwerke kommen. Am meisten hat ihn überrascht, dass selbst moderne und mutmaßlich fischfreundliche Anlagen die Fische verstümmeln, zerquetschen und töten. „Die Sterblichkeit liegt zwischen 7 und 70 Prozent“, sagt Geist. Er hat Huchen und Äschen durch die Anlagen geschickt, aber auch künstliche Fische mit Chip. So kann er am Computer nachempfinden, wie die Tiere in den Turbinen herumgewirbelt werden. Die echten Fische hatten oft gebrochene Gräten oder Blasen in den Augen, wenn Geist sie aus dem Wasser fischte. Das zeigt ihm, dass die Fische unter starkem Druck in den Turbinen gelitten hatten. Die Schwimmblasen waren mal zusammengeklappt oder geplatzt. Je schneller sich die Turbinen drehten, je tiefer die Fische fielen, desto mehr Fische starben. Da Fische mit der Hauptströmung schwimmen, sind viele der Fischtreppen und anderen menschlichen Hilfskonstrukte wirkungslos. Auch Rechen vor den Turbinen helfen nur selten – die meisten Fische quetschen sich zwischen den Stäben hindurch.Ulrike Fokken